Die Mafiosi von nebenan

 

In der Innenstadt gibt es kaum eine Straße ohne ein italienisches Restaurant, eine Eisdiele, eine Stehpizzeria: Die Gäste sitzen auf großen, sonnenbeschienenen Terrassen – da, wo Erfurt am schönsten ist, warten Kellner mit langen weißen Schürzen auf Kundschaft. Die Orecchiette alla Norma kosten acht Euro, zum Nachtisch gibt es den Eisbecher Gondola Veneziana, und wer auf dem Teller etwas übrig lässt, wird von den Kellnern gefragt, ob sie den Rest einpacken sollen.

Allein 65 junge Männer aus San Luca sind laut BKA-Bericht in den vergangenen beiden Jahren nach Deutschland gekommen, um in Restaurants zu arbeiten, junge Männer ohne Vorstrafen, aber mit engsten Familienbanden: Söhne, Neffen oder jüngere Brüder von Mafia-Bossen, die schon wegen Erpressungen, Entführungen, Rauschgift- oder Waffenhandel verurteilt wurden. Junge Männer, die dort einzogen, wo die Restaurants ihrer Clanangehörigen stehen – und die von einem Stützpunkt zum anderen wechseln, von Duisburg nach Weimar, von Weimar nach München, von München nach Erfurt.

Erfurt wird seit Mitte der neunziger Jahre zu einem Knotenpunkt der ’Ndrangheta ausgebaut, nachdem der Clan der Pelle-Romeo aus Duisburg zwei seiner Statthalter geschickt hat, die verschiedene Immobilien und Restaurants kauften. Den Investitionen der Mafia in Erfurt, so heißt es im BKA-Bericht, liegt ein komplexes System zugrunde: »Vertrauenspersonen werden mit der Durchführung der Kaufverhandlungen beauftragt. Zur Übernahme von Objekten werden teilweise Gesellschaften gegründet und Beteiligungen festgelegt. Bei den Konzessionären handelt es sich in der Regel um reine ›Strohmänner‹, die in der Hierarchie der Organisation auf einer der unteren Ebenen stehen und fast ausschließlich verwandt mit den Hauptorganisatoren sind. Diese halten sich bewusst im Hintergrund. Die Herkunft der Investitionsgelder ist unklar und steht im deutlichen Widerspruch zur finanziellen Potenz der Personen, die öffentlich als Inhaber der Gastronomiebetriebe auftreten.«

Innerhalb des Clans Romeo und Pelle ist von einer mafiatypischen Abschottung und Aufteilung in sogenannte operative Arme auszugehen, stellt das BKA fest. Der operative Rauschgiftarm in Deutschland dürfte von einem Italiener geleitet werden, der Restaurants und Feinkosthandel in der Nähe der niederländischen Grenze betreibt. Die finanziellen Belange könnten von seinem Cousin, dem sogenannten Manager des Clans, der international zur Festnahme ausgeschrieben ist, koordiniert werden. Die Erfurter Statthalter des Clans wiederum investieren die Rauschgiftgelder. Das Blutbad von Duisburg, so das BKA, unterstreiche nur »die enge Verzahnung der in Italien ansässigen Clans der ’Ndrangheta aus San Luca« mit in Deutschland befindlichen Clanangehörigen.

Karsten Rudolph, der innenpolitische Sprecher der SPD im Düsseldorfer Landtag, kennt den BKA-Bericht nicht. Ihn ärgert das. Und als er im Landtag nachfragte, wie es sich mit der Mafia in Nordrhein-Westfalen verhalte, hieß es immer nur: »Es gibt keine neue Lage.« Deshalb hat er noch vor den Sommerferien eine Große Anfrage an die Landesregierung gerichtet. Wie viele der 61 Restaurants der kalabrischen Clans sind in Nordrhein-Westfalen? Oder: Wie viele der Mitglieder der Clans wurden von deutschen beziehungsweise nordrhein-westfälischen Behörden in den vergangenen zehn Jahren verhaftet?

»Wir können doch nicht umstandslos zu unserem romantischen Italienbild zurückkehren«, sagt Karsten Rudolph. Aber wie sollten Parlamentarier Gesetze beschließen, fragt er, wenn sie nicht wüssten, wie die Wirklichkeit aussieht?

Der Duisburger Kriminalkommissar Heinz Sprenger sitzt im Grünen und bewacht seine Goldfische. Im Garten steht ein von ihm getrimmter kugelförmiger Ahornbaum, der dem Park von Versailles alle Ehre machen würde. Daneben glitzert ein kleiner Teich, der manchmal einen Fischreiher anlockt.

Seit zwei Jahren arbeitet der Kommissar an der Aufklärung des Duisburger Blutbades. Wie viele Verdächtige hat er schon verhört, die immer das gleiche Band abspulten: Alle sind arme, vom Staat allein gelassene Waldarbeiter, die nach Deutschland kamen, um sich eine Existenz aufzubauen. Keiner hat je etwas von der ’Ndrangheta gehört, alle werden von Staat und Justiz verfolgt. Und wenn Geld gefunden wird, so wie die 575.000 Euro in der Wohnung des Giovanni Strangio, dann liegt das daran, dass sehr viele Pizzas verkauft worden seien. Oder man habe von Angehörigen Geld bekommen. Manchmal wird eine Schenkungsurkunde aus Italien nachgereicht.

Seit zwei Jahren fährt der Kommissar immer wieder nach Reggio Calabria, um sich mit den italienischen Kollegen auszutauschen. Bei jedem Treffen sei die Zusammenarbeit besser geworden, erzählt Sprenger, ja, man könne sogar von einem freundschaftlichen Verhältnis reden. Mehr sagt er nicht. Denn am Himmel ist ein Schatten zu sehen. »Jetzt muss ich aufpassen«, ruft Sprenger und springt auf. Aber dieses Mal zieht der Fischreiher weiter.

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