Beschwingt vom schönen „Reluctant Fondamentalist“, (an dem die Kritiker natürlich etliches bekritteln) habe ich meine gegen russische Filme (= Erde, Männer mit Rasputin-Bart und -Blick, Linoleum, Ölstrich und Teilnahmslosigkeit) existierenden Vorbehalte verdrängt und den russischen Wettbewerbsbeitrag gesehen, auch weil in der Beschreibung verheißen wurde, dass er irgendwo spielen würde, der Ort also nicht von Bedeutung sei – weil es um Gefühle ginge, universelle. Sein Titel ist Programm: Izmena bedeutet Betrug, und darum dreht sich alles. Frau betrügt Mann, Mann betrügt Frau. Aber dann steckten da doch wieder jede Menge russische Erde und teilnahmlose Blicke drin, von der Trostlosigkeit der Landschaft, dem Ölstrich und dem Linoleum ganz zu schweigen. Als sich die Protagonistin Erde in den Mund steckte, wollte ich schon flüchten, ich habe dann noch etwas ausgeharrt, weil das Filmfest eben erst gestern begonnen hat, und da ist man noch geduldig. Aber als sie begann, die abgeschnittenen Barthaare ihres Mannes zu essen, konnte ich nicht mehr.
Angesichts der Tatsache, dass die russischen Filme, die ich nicht gesehen habe, in der Regel gewinnen, habe ich den Regisseur vermutlich um die Chance seines Lebens gebracht. Aber da ich erst nach der ersten Hälfte geflüchtet bin, hat er vielleicht noch die Aussicht auf einen Silbernen Löwen.
Heute morgen dann der französische Beitrag: Superstar. Die Geschichte eines Mannes, der berühmt wird und nicht weiß warum. Natürlich wird alles abgedeckt, Internet-Klick-Hype, Shitstorm, Medienkritik, Andy Warhol, der Mob und wozu er fähig ist. Ein bisschen zu systematisch. Aber es gibt grandiose Szenen in dem Film, eine zeitgenössische Interpreation von Munch „Der Schrei“ etwa, allein dafür lohnt es sich, Superstar zu sehen.