Die Unesco setzt Venedig nicht auf die Liste des gefährdeten Welterbes. Doch die Maßnahmen der Stadtregierung zum Schutz des einzigartigen Ortes und der Lagune sind eine Farce.
Gastkommentar von Petra Reski
Die Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski lebt seit mehr als 30 Jahren in Venedig.
Die Unesco ist eingeknickt: Venedig wird nicht auf die rote Liste der gefährdeten Stätten des Welterbes gesetzt. So entschied es an diesem Donnerstag das Welterbekomitee, nachdem Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro, ein Unternehmer, das Eintrittsgeld für Venedig pünktlich zur Tagung in Riad hervorgezaubert hatte. Dass diese Zugangsgebühr für Tagestouristen wie das Ungeheuer vom Markusbecken seit fünf Jahren durch die Debatte geistert, regelmäßig auf- und wieder abtaucht und sich bestenfalls als schwimmender Baumstamm oder auch nur gigantische Luftspiegelung entpuppt – geschenkt. Nun heißt es, dass es irgendwann im Frühjahr 2024 komme, lächerliche fünf Euro pro Kopf, von denen die Bewohner Venetiens, die 70 Prozent der Tagestouristen ausmachen, befreit sind. Solche Feinheiten konnten die 21 Mitgliedsstaaten des Unesco-Welterbekomitees nicht davon abhalten, den besorgniserregenden Bericht der Experten zum Zustand Venedigs zu ignorieren. Es ist das dritte Mal, dass es so läuft. Die wirklichen Vereinbarungen werden offenbar hinter den Kulissen getroffen.
Während die NGOs in Riad nicht zu Wort kamen, klopften sich der italienische Unesco-Botschafter und der venezianische Stadtdirektor auf die Schulter: Die Mitgliedsstaaten des Unesco-Komitees begeisterten sich über den Einsatz Italiens und der Stadtverwaltung, die sich verdient gemacht habe, die „Outstanding Universal Values“ dieser einzigartigen Stadt zu erhalten. Opferbereit habe Italien sechs Milliarden Euro in das Flutsperrwerk Mose investiert. Die Stimmung trüben konnten weder der hinter Mose kaum verborgene Korruptionsskandal noch Bedenken, dass Mose für die ökologische Lage in der von Hochwassern bedrohten Lagune keineswegs die Rettung, sondern viel mehr Teil des Problems sei. Die Unesco störte sich auch nicht daran, dass Venedig pro Jahr von 30 Millionen Touristen heimgesucht wird, 120 000 Besuchern pro Tag, und dass die Zahl der Touristenbetten (49 700) die der Einwohner (49 300) schon übersteigt, wobei es keine Einschränkungen für die Vermietung mit Airbnb gibt. Sodass Venezianer kaum noch Wohnungen finden. Das tägliche Leben ist hier nicht mehr vorgesehen.
„Nur die Oppositionellen in Venedig verstehen es immer noch nicht“, triumphierte der Bürgermeister
Der Unesco-Jubel aber war groß: Das Eintrittsgeld sei ein Pilotprojekt zur Begrenzung des Tagestourismus, das auch in andere Städte exportiert werden könne! Die Touristenströme würden nun kontrolliert! Niemanden schien es zu stören, dass dank automatisch eingeloggter und georteter Smartphones Daten abgeschöpft werden und 700 Überwachungskameras mit Gesichtserkennung und 50 Bewegungsmelder den Datenschutz aushebeln werden.
„Die Welt hat verstanden, was wir getan haben, um unsere Stadt zu verteidigen, nur die Oppositionellen in Venedig verstehen es immer noch nicht“, triumphierte Bürgermeister Brugnaro. Wenige Tage zuvor hatte er die im Rathaus gegen das Eintrittsgeld protestierenden Venezianer – zumeist Studenten und Vertreter venezianischer Bürgerinitiativen – als „Faschisten“ beschimpft und die Opposition verhöhnt mit den Worten: „Ihr habt nichts als einen Scheißdreck getan.“
Wenn es alles nicht so traurig wäre, könnten wir Venezianer lachen über die Groteske, die sich in unserer Stadt seit Jahren abspielt, zwischen einem Bürgermeister, der die Stadt, die er regiert, zu verabscheuen scheint, und der Unesco, die vorgibt, sich um den Schutz des hiesigen Welterbes zu kümmern – dann aber offenbar doch lieber den politischen Interessen der jeweiligen Geldgeber folgt: Italien gehört zu den potenten Unterstützern des Unesco-Welterbekomitees.
Wer sich fragt, warum Venedig von einem Mann regiert wird, der so mit der Stadt und ihren Bürgern umgeht, sollte wissen, dass Venedig über keine eigene Verwaltung verfügt, seit es im Faschismus mit dem Festland zwangsvereinigt wurde. Die Mehrheit der Wählerschaft lebt auf dem Festland: 177 000 Festlandsbewohnern stehen weniger als 50 000 Venezianer entgegen, man könnte sagen: auf verlorenem Posten. Das Festland ist Brugnaroland; in Venedig dagegen versammeln sich viele Kritiker. Der Bürgermeister rächte sich, indem er nur Festlandsbewohner in den Stadtrat berief.
Warum das bizarre Großvenedig von allen, auch früheren venezianischen Bürgermeistern wie das Dogma der Jungfrauengeburt verteidigt wird? Ohne die Zwangsehe mit Venedig würden die Gelder des Spezialgesetzes versiegen, die das Regieren auf dem Festland so leicht machen: Manche Mittel, die für den Erhalt venezianischer Palazzi gedacht waren, landen in Bürgersteigen in Mestre – oder demnächst in einem geplanten Sportstadion für die Basketballmannschaft, die dem Bürgermeister gehört.
Ganz offensichtlich will Bürgermeister Brugnaro den Massentourismus in Venedig gerade nicht beschränken. Wie seine Vorgänger betrachtet er Venedig nicht als lebendige Stadt, sondern als Geldmaschine – mit dem Eintrittsgeld lassen sich Touristenströme noch besser abschöpfen. Da es keine Beschränkung der Besucherzahlen gibt, wird das Eintrittsgeld den exzessiven Tourismus sicher nicht einschränken. Es wird weder das Leben der verbliebenen Venezianer verbessern noch das der Touristen, denen nichts im Gegenzug für die Steuer geboten wird. Manche Tagestouristen könnten denken: „Da ich Eintrittsgeld bezahlt habe, kann ich hier machen, was ich will.“
Pro Jahr verliert Venedig rund 1000 Einwohner. Die nächste Entscheidung der Unesco steht für 2025 an. Bis dahin werden noch weniger Venezianer hier leben. Wenn aber die Stadt zum Freizeitpark verkommt, verkommt auch das Kultur- und Naturerbe. Dann stirbt Venedig.