Mein Boot
Wenn eine Frau in Venedig aufs Wasser will, kämpft sie gegen Wogen. Und gegen Männer.
Bootfahren in Venedig, das ist der Krieg der Sterne. Auf dem Wasser. Das habe ich begriffen, als ich kurz davor war, mit einem Ausflugsboot zusammenzustossen, weil mein pädagogisch wenig ambitionierter Fahrlehrer meine erste Fahrstunde in den Giudecca-Kanal verlegt hatte. Die Aufgabe lautete: von einem Ufer zum anderen zu fahren. Der Grundgedanke: Was kann dabei schon gross passieren? Der Kanal ist breit genug, es sind keine Gondeln unterwegs, die sie versenken könnte, okay, ein paar Motorboote, aber sonst?
Na ja. Auf dem Giudecca-Kanal Bootfahren zu lernen ist so, als würde man jemanden, der noch nie Auto gefahren ist, in Neapel ans Steuer setzen, während ein Erdbeben tobt und der Vesuv ausbricht: Unter dir bäumt sich die Erde auf, und du musst dich durch ein Feld voller Explosionen kämpfen, rechts und links vorbeirasenden Flugkörpern ausweichen und gleichzeitig unzählige Sattelschlepper im Auge behalten, die sich dir in den Weg werfen.
Während ich mich durch einen Wellengang wie am Kap Hoorn kämpfte, bellte mir mein Fahrlehrer die Grundregeln des Bootfahrens zu, also dass man mit links steuert, was für Rechtshänder etwas gewöhnungsbedürftig ist. Genau wie die Tatsache, dass man das Steuer in die Richtung ziehen muss, in die man nicht will. Denn mein Boot hat kein Steuerrad, sondern einen Steuerhebel, una manetta, wie es sich für ein typisch venezianisches Fischerboot gehört. Boote mit Steuerrädern sind etwas für die von den Venezianern verachtete Kategorie der Landratten, der campagnoli, der Bauerntölpel.
Gebremst wird, indem man den Rückwärtsgang einlegt. Was besonders heikel ist, wenn es schnell gehen muss. Da setzt der Autofahrerreflex ein. Man lenkt in die Richtung, in die man fahren will, bewegt das Steuer also in die falsche Richtung, merkt das, reisst das Ruder herum. Aber das Boot fährt ungerührt weiter, weil es eben keine Bremse hat, nur diesen blöden Rückwärtsgang, der aber auch nicht wie eine echte Bremse funktioniert. Panik.
«Der Verkehr ist in Venedig genau wie an Land geordnet, also Rechtsverkehr», dozierte mein Fahrlehrer, eine Regel, die man komplett vergessen kann, nicht nur weil hier das Recht des Stärkeren gilt, sondern auch das der heiligen Gondel: Eine Gondel hat immer Vorfahrt, egal, ob sie von rechts oder links kommt. Und wenn sie einem entgegenkommt, muss man an der Seite vorbeifahren, wo ihr Ruder ist, und das ist links. Eine Schwierigkeit, die ich glücklicherweise vernachlässigen konnte, weil sich wegen des Kap-Hoorn-Wellengangs überhaupt keine Gondeln auf den Giudecca-Kanal trauten.
Während ich damit beschäftigt war, wie vom Fahrlehrer instruiert eine Welle «schräg seitlich anzuschneiden» und zehn weitere Monsterwellen aus allen anderen Richtungen zu bewältigen, ausgelöst von unzähligen Lastkähnen, Vaporetti und Ausflugsbooten, drehte ich mich kurz um, blickte auf und sah einen gigantischen Wohnblock samt Einkaufszentrum auf mich zu schwimmen: die «MSC Musica», mit einer Schiffsschraube von der Grösse des Markusdoms. An dem Wochenende hatten siebzehn Kreuzfahrtschiffe in Venedig angelegt. Aber am Ende habe ich es geschafft. Als ich am Ufer ankam, fühlte ich mich wie Vasco da Gama nach der Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung. So stolz war ich zuletzt, als ich das Grosse Latinum bestanden hatte.
Seit diesem Tag ist mein Leben ein anderes. Ich muss nicht mehr permesso, permesso flehen, um mir den Weg durch die millionste Reisegruppe zu bahnen, ich fahre hochmütig an ihnen vorbei, in meiner topetta, dem Mäuschen, wie man das typisch venezianische Fischerboot nennt. Und das, obwohl ich die Hoffnung auf ein Leben mit Boot längst aufgegeben hatte. Denn Anlegestellen sind in Venedig so selten wie nördliche Breitmaulnashörner. Jedesmal, wenn es eine Ausschreibung für neue Anlegestellen gibt, rennen die Venezianer dem Rathaus die Türen ein, um dann, falls sie ausnahmsweise erhört wurden, der schwarzen Maria in der Salute-Kirche eine Kerze anzuzünden. Was wir natürlich auch gemacht haben, als uns unerwartet das Glück einer Anlegestelle beschieden war. Wo, schreibe ich nicht, für den Fall, dass Sie irgendwelche anderen Venezianer kennen, die dann neidisch werden.
Und so fügt es sich, dass ich zurzeit lerne, wie man ein Boot fährt. Mit einem kleinen, glücklichen Umstand: Ich muss keine Prüfung ablegen. Der Motor meiner topetta ist so klein (Damen nennen keine Zahlen), dass ich keinen Führerschein brauche. Nur etwas Praxis, zu der mir diverse Fahrlehrer verhelfen wollen: Alle Venezianer DOC, die nicht nur Boot fahren, sondern auch auf venezianische Art rudern können, vogare. In ihren Adern fliesst Lagunenwasser.
Das Lernziel meiner zweiten Fahrstunde lautete: Fahren und Wenden im rio. Das ist Zentimeterarbeit, weil die Kanäle (rii auf venezianisch) oft schmaler sind als das Boot lang. Bevor wir losfuhren, war ich geheissen, die Grundlagen zu üben: vorwärts und rückwärts fahren, also praktisch mit dem Boot in die Anlegestelle rückwärts einparkieren. Ohne Bremse. Im Grunde also einfach. Seiltanzen ohne Netz kann man ja auch lernen.
Als ich das einigermassen beherrschte, sollte ich mich im Kanal bewähren. Wobei ich zu Beginn etwas unelegant in einen Seitenkanal eingebogen bin. Genauer gesagt, ich steuerte direkt auf die Ufermauer zu und scheuchte die dort sitzenden und picknickenden Touristen wie einen Taubenschwarm auf, mein Fahrlehrer riss in letzter Sekunde das Ruder herum, die Touristen sprangen auf und liessen vor Schreck ihre Pizzastücke in den Kanal fallen.
Kurz darauf kamen mir in einem engen Kanal rechts und links (!) Gondeln entgegen, was die mühsam eingeprägte Regel «An der Seite der Gondel vorbeifahren, wo das Ruder ist. Also links» ad absurdum führte. Piano, piano, sagte mein Fahrlehrer in diesem Ton, in dem man mit Leuten spricht, die auf einem Fenstersims stehen und in den Abgrund blicken.
An den beiden Gondeln vorbeizukommen, ohne sie zu versenken, hat mich so beflügelt, dass ich an der nächsten Kreuzung irgendwo in Cannaregio beim Einbiegen etwas, aber wirklich nur ein paar Zentimeter, zu weit ausholte, und so einen zu grossen Bogen schlug. In diesen Bogen rauschte ein riesiger Lastkahn rein, ein bragosso, der aussah wie ein Wikingerboot.
Der Wikinger am Steuer beschimpfte mich auf venezianisch. Ach Gottchen, kommt ja vor, dass man nicht ganz elegant einbiegt. Auch mein Fahrlehrer fand, dass dieser bragosso zu schnell gefahren sei und die Vorfahrtsregeln nach dem Recht des Stärkeren interpretiert habe. Wir hatten den Vorfall schon fast vergessen und übten weitere Manövriermanöver in einem stillen Seitenkanal, als der Wikinger wieder anrauschte. Obwohl ich am Steuer sass, beachtete er mich nicht, ich war für ihn so interessant wie ein herumliegendes Tau.
Der Wikinger tobte: Wir hätten ihm die Vorfahrt genommen und sein Boot geschrammt – wobei er auf eine verrostete Schramme an seinem Kahn deutete. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich war zwar unelegant eingebogen, aber mit seinem Scheissding überhaupt nicht in Berührung gekommen. «Die Schramme ist uralt», sagte ich, «das wissen Sie doch selbst!» Der Wikinger blickte erstaunt auf: Ein Tau, das spricht! «Aber das kostet Sie ja nichts, Sie haben doch eine Versicherung», sagte er seelenruhig. Und während ich nach einer Übersetzung für das Wort «Versicherungsschwindel» suchte, machte sich der Wikinger beleidigt davon.
Als er weg war, mischten sich ein paar Venezianer ein, die das Ganze vom Ufer und aus Booten beobachtet hatten. El xe matto, sagten sie auf venezianisch, der Typ sei nicht ganz dicht und als solcher im rio schon bekannt. Ausserdem sei er früher Direktor einer Bank in Venedig gewesen. Und von denen erwartet man ja jede Schlechtigkeit.
Derart gefestigt, war ich bereit für eine Fahrt durch das venezianische Bermudadreieck: das Markusbecken, Venedigs Verkehrsknotenpunkt. Hier darf man nicht schneller fahren als sieben Kilometer pro Stunde. Was natürlich niemand beachtet. Zwischen der einstigen Zollstation Punta della Dogana und dem Dogenpalast ist alles unterwegs, was schwimmt: Gondeln und Vaporetti, Kreuzfahrtschiffe und Schlepperboote, Autofähren, Barkassen, Ausflugsschiffe voller Tagestouristen aus Iesolo, Taxiboote voller Chinesen, Lastkähne voller Müll. Und ich. Die gegen den moto ondoso kämpfte, wobei das Wort ein Euphemismus ist für das, was sich im Markusbecken abspielt.
Während ich versuchte, mich durch die Brecher zu fummeln, härte ich einen Pfiff von einem vorbeifahrenden Lastkahn, ein Mann grinste und schrie: Una fia che guida a manetta! (Ein Mädchen, das mit Steuerhebel fährt!) In Venedig herrscht auf dem Wasser ein rüdes Patriarchat. Bootfahren ist Männersache: Frauen sitzen daneben und sonnen sich oder drapieren sich auf dem Vorschiff und sonnen sich. Bisher habe ich nur zwei Frauen gesehen, die ein Boot gefahren sind. Und die hatten ein Steuerrad. Kurz darauf sah ich in der Lagune, wo am Wochenende die Festlandbewohner unterwegs sind, besagte campagnoli, Landeier in protzigen Motorbooten, die wie Dampfbügeleisen durch die Lagune pflügen: der Mann am Steuer stehend, heroisch den Elementen trotzend, die Frau sich lasziv auf dem Vorschiff räkelnd.
Als wir auf der Höhe des Canal dell’Orfano waren, befahl mein Fahrlehrer: «Fahr da mal in der Mitte durch.» Als regelbewusste Anfängerin protestierte ich. Wenn man sich in der Lagune nicht an die Fahrrinnen hält, die von den bricole gekennzeichnet werden, den in den Boden getriebenen Holzpfählen, geht es einem wie der Flotte der Franken, die an dieser Stelle, angeführt von Pippin, dem Sohn von Karl dem Grossen, im Jahr 810 auf Grund gelaufen ist. Der Venezianer mit dem Lagunenwasser in den Adern beschied jedoch: «Jetzt ist Flut, du kannst ruhig durch die Mitte fahren!» Nach wenigen Metern gurgelte der Motor ziemlich komisch. Wir liefen auf Grund. Immerhin sassen wir nicht ganz fest, sondern nur im Schlick und konnten wieder ins tiefere Wasser zurück, am Ende war nur etwas Farbe vom Propeller abgesprungen. Danach gestanden mir alle Venezianer, dass man mindestens ein Mal in secca geendet haben muss, um im Boot glaubwürdig zu sein. Praktisch also meine Feuertaufe.
Gestählt und etwas triumphierend fuhr ich weiter bis zur Bocca di Malamocco, einem der beiden Zugänge zum Meer. Der Kanal ist sehr tief, mit riesigen, langsam heranrollenden Wogen, was sich anfühlt, als befände man sich auf dem Rücken eines Ungeheuers, das versucht, einen abzuschütteln, worauf man mit hoher Geschwindigkeit in die Lagune katapultiert wird. Die Autofähre von Alberoni bemerkte ich erst, als sie zwei Mal hupte. Ich dachte: Wohin will die denn? Alle Passagiere der Autofähre starrten auf mich, ruderten mit den Armen und machten Fotos von mir, der Geisterfahrerin, die im Bikini (okay, es war sehr heiss) Boot fährt und nicht merkt, dass sie der Fähre im Weg ist.
Danach dachte ich, nichts könne mich mehr erschüttern, und beschloss, alleine zu fahren. Allerdings hatte ich ein paar Kleinigkeiten übersehen. Erstens: Wie kriege ich den Motor ins Wasser? Und: Wo muss ich drücken, um ihn zu starten? Ein paar SMS später wusste ich theoretisch Bescheid: Ein roter Knopf, ein schwarzer Knopf, ein Hebel. Irgendwo musste man drücken und gleichzeitig ziehen, um den Motor ins Wasser zu lassen – der mit seinen 60,7 Kilo so schwer ist wie ein Christenmensch, wie man hier sagt. Ich rüttelte am Motor, der Schweiss tropfte mir auf die Brille, und die Gondolieri auf dem gegenüberliegenden Ufer gaben mir Zeichen: Da ist ein Hebel! Keine Spur von Hebel. Ich zog und zerrte am Motor, es tat sich nichts. Am Ende erbarmte sich ein Mann vom Bootssteg nebenan und liess den Motor für mich ins Wasser.
Von meinem ersten Alleingang war ich so berauscht, dass ich prompt in einen falschen Kanal einbog, in dem mir ein stählernes Müllboot, der Panzerkreuzer Potemkin des venezianischen Bootsverkehrs, unzählige Lastkähne und zig Wassertaxis entgegenkamen. Beim panischen Versuch, an die Seite zu fahren, blockierte ich den Kanal, hinter dem Müllboot staute sich im Nu der Verkehr, alle Männer starrten, während ich schwitzend versuchte, in dem Kanal zu wenden, der schmaler war als mein Boot lang, ein Mann schrie: Leerlauf einlegen! ein anderer gab meinem Boot einen Stoss, und irgendwann schaffte ich es, wieder herauszukommen. Danach bog ich in den Kanal des Arsenale ein, wo mir die Wasserpolizei entgegenkam und mich fragte: Haben Sie eine Genehmigung? – Ja, sagte ich trotzig. Bis mir einfiel, dass ich mich auf militärischem Sperrgebiet befand und Lügen keine Option war. Neues Wendemanöver. Immerhin war der Kanal breiter.
Nach einer Woche hatte ich mich wieder erholt und wollte eine neue Runde drehen. Irgendjemand würde mir schon helfen, den Motor ins Wasser zu lassen. Im Zweifel könnte ich ja auf Blondine machen. Schliesslich sind wir in Italien. Können Sie mir eventuell helfen, den Motor ins Wasser zu lassen? flötete ich einem der Gondoliere vom Anleger gegenüber zu. Der schickte mich zu einem Kollegen vom Fährdienst.
Hierzu muss angemerkt werden, dass die Gondolieri den Fährdienst auf den traghetti, zu dem sie die Stadt verdonnert, hassen wie die Pest und ihn boykottieren, wo immer es geht: indem sie ihn früher einstellen oder einen ewig am Ufer warten lassen, bis sich nach einer Viertelstunde genügend Leute angesammelt haben, die es wert sind, übergesetzt zu werden.
Der Kollege vom Fährdienst lehnte bedauernd ab und berief sich allen Ernstes auf den öffentlichen Dienst: Er könne seine Pflicht nicht einfach vernachlässigen, um hergelaufenen Blondinen (meine Interpretation) ihren Motor ins Wasser zu lassen.
Kein Problem, sagte ich. Und spürte, wie eine unheimliche Kraft in mir wuchs: Ich stieg in mein Boot, stemmte mich mit beiden Beinen gegen das Heck, drückte den Hebel, zog am Motor, der mir wie von Zauberhand gehorchte und sich widerstandslos ins Wasser gleiten liess. Dann liess ich den Motor an, glitt wie eine Königin an den Gondolieri vorbei und dachte: Ihr Scheisskerle. Auch vom Feind lernen ist Recht (Ovid).