Und jetzt hier, für die Freunde des Öko-Thrillers, mein soeben in Focus erschienener Feuerbakterien-Report – oder: „Wie man es schafft, 60 Millionen Olivenbäume aus dem Weg zu räumen“:
Sind die berühmten Olivenbäume des Salento von einer Killerbakterie bedroht oder von der Mafia? Ein Umweltkrimi aus Apulien
Endlose Olivenhaine, silbrig flirrendes Laub und schwere, rote, afrikanische Erde. Dafür ist der Salento berühmt, der südliche Teil Apuliens, Italiens Absatzspitze. 60 Millionen Olivenbäume wachsen in Apulien, einige von ihnen sind mehrere Jahrtausende alt. Die Bäume werden in einem Kataster aufgeführt, das den Standort und das Alter eines jeden einzelnen verzeichnet. Im Salento stehen 25 Millionen Olivenbäume. Ihre Stämme muten wie ineinander verknotete Jahrhunderte an. Wer genau hinschaut, kann unter dem Laub erstarrte Drachen entdecken und Riesen, die mit Dämonen ringen.
Und liegt damit vielleicht nicht ganz falsch.Nur zwei Meter weiter sieht es aus, als hätte jemand das Entlaubungsmittel Agent Orange eingesetzt: Die Äste einiger Olivenbäume recken sich verdorrt in den Himmel. Medien berichten vom „Kahlschlag im Paradies“, vom „Sterben der Olivenhaine“ infolge einer rätselhaften Seuche, von „Xylella, der Schrecklichen“. Seitdem die Universität Bari im Oktober 2013 verkündete, in der Gegend um Gallipoli die gefährliche Feuerbakterie (Xylella fastidiosa) entdeckt zu haben, ist der Salento kein meerumschlungenes Kleinod mehr, sondern ein Notstandsgebiet. Die Killerbakterie soll schuld sein am Vertrocknen der Olivenbäume. Eine Rettung, so erklärte Donato Boscia, Leiter des Nationalen Wissenschaftsrats in Bari, sei nicht in Sicht. Man müsse die Bäume schnellstens fällen und lediglich „50 Stämme von jahrhundertealten Olivenbäumen als Museumsstücke erhalten“.
Die Olivenbauern des Salento aber sind misstrauisch. Es sind immer dieselben Wissenschaftler, die Gutachten erstellen und einen Notstandsplan entwerfen: die Universität Bari, der Nationale Wissenschaftsrat in Bari, das Institut für mediterrane Landwirtschaft Bari (IAMB). Für ihre Forschung über die Feuerbakterie erhielten die Institute Fördergelder der Europäischen Union.
In Apulien sind die Olivenbäume sogar dafür bekannt, Feuersbrünste zu überstehen – und jetzt, fragen sich viele Bauern, soll eine Bakterie geschafft haben, was Naturkatastrophen jahrhundertelang nicht gelang? Warum auch schlug Xylella nur im Salento zu? Dabei soll sie doch mit infiziertem Oleander nach ganz Europa eingeschleppt worden sein.Zweifel fanden jedoch bisher kein Gehör. Stattdessen bildeten sich Krisenstäbe, wurden Interventionspläne und EU-Notfallfonds aufgestellt. Die ersten Olivenbäume fielen bereits im April 2014 der Axt zum Opfer. Schließlich handele es sich um einen hochgefährlichen Erreger, der beträchtliche Schäden in der Landwirtschaft anrichte und deshalb EU-Quarantänebestimmungen unterliege, hieß es.
Das Gebiet südlich von Lecce erklärten die Behörden eilends zur Brutstätte des Erregers und die Wiesenschaumzikade zum Hauptüberträger, einen General der staatlichen Forstwache ernannten sie zum „Außerordentlichen Kommissar“. Er wacht nun darüber, dass „infizierte“ Olivenbäume entwurzelt und in einem Umkreis von hundert Metern auch alle gesunden Bäume gefällt werden.
Einer derjenigen, die nicht an den plötzlichen Befall durch Killerbakterien glauben, ist der Öko-Landwirt Ivano Gioffreda. Ihm gelang es, mit biologischen Mitteln das Absterben zu verhindern. Dies wertet er wie auch Wissenschaftler aus Foggia als Beweis, dass Xylella nicht die Ursache für das Baumsterben sein kann.
Gioffreda gehört zur Vereinigung „Spazi Popolari“ von Sannicola, die mehr ist als eine Kooperative für organisch-biologischen Anbau: Es ist eine Initiative zur Verteidigung des Salento. Zu den „Spazi Popolari“ gehören Öko-Bauern, Umweltschützer und Anti-Mafia-Aktivisten. Alle sind fassungslos, dass immer mehr Notstandsgebiete entstehen, in denen in Kürze 600 000 Olivenbäume fallen sollen – ohne Aussicht, hier jemals wieder Olivenbäume anzupflanzen.Dabei liegt kein einziger wissenschaftlicher Beweis für das Wüten der Killerbakterie vor. Das bestätigte auch eine eigens angereiste parlamentarische Kommission, die im verschwenderischen Verbrauch von Pestiziden und Fungiziden und im abnormen Beschneiden der Olivenbäume im Hochsommer die Ursachen für das Vertrocknen sieht. Der massive Einsatz von Pestiziden ist in Apulien üblich: Viele Olivenbauern vernichten damit das Unkraut unter den Bäumen, weil sie die Früchte nicht mühsam vom Baum pflücken wollen, sondern erst wenn sie zu Boden gefallen sind. Zur Ernte kehren sie die Olivenhaine dann aus wie eine dreckige Küche. Aber auch die Einwände der Parlamentarier verhallten ungehört.
Warum? Auffällig ist, dass sich die Notstandsgebiete mit einem Gebiet des Salento decken, das seit einigen Jahren von einem Tourismusboom ohnegleichen überrollt wurde. Es machte Spekulanten Appetit, die auch zur Camorra und ‚Ndrangheta gehören. Doch Hotelanlagen, Golfplätze, Schnellstraßen, Einkaufszentren, Feriendörfer können erst gebaut werden, wenn die unter Naturschutz stehenden Olivenbäume beseitigt sind. Einige Grundstücke wurden bereits an Unternehmen verkauft, bevor ein Agronom die Olivenbäume als befallen deklariert hatte. Kaum war der Erreger dann festgestellt, beantragte eine Gesellschaft eine Ausnahmeregelung vom Flächennutzungsplan und eine Baugenehmigung für eine Diskothek.
Bereits drei Jahre vor dem angeblichen Ausbruch der Xylella-Epidemie, im Herbst 2010, fand an der Universität Bari ein Workshop statt, der sich der Feuerbakterie und den mit ihr verbundenen Quarantänemaßnahmen widmete. Unter den Referenten Forscher der Universität Berkeley wie Alexander Purcell, der nicht nur als Experte der Xylella fastidiosa bekannt ist.Umweltschützer und Olivenbauern erstatteten im April 2014 Anzeige. Danach begann die Staatsanwaltschaft Lecce gegen zehn Verantwortliche zu ermitteln, darunter den Chef der regionalen Pflanzenschutz-Beobachtungsstelle, mehrere Dozenten der Universität Bari und den „Außerordentlichen Kommissar“, der die Bekämpfungsaktion gegen die Feuerbakterie leitete. Ihnen werfen die Ermittler Urkundenfälschung, vorsätzliche Verbreitung einer Pflanzenkrankheit, fahrlässiges Herbeiführen von Umweltschäden und die Zerstörung von Naturschönheiten vor.
Die Staatsanwälte beschlagnahmten Computer, führten Verhöre – und fanden sich plötzlich in einem Thriller wieder. Augenzeugen berichteten, „Personen in weißen Schutzanzügen“ in später vertrockneten Olivenhainen gesehen zu haben. Seit 2010 wurden im Salento nicht genehmigte Pflanzenschutzgifte getestet, ab 2013 ganz offiziell ein Mittel von Monsanto: Roundup, das Pestizid Glyphosat, das die WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte. Nach dem Einsatz ist eine Pflanze innerhalb von zehn Tagen tot. Wo die „Experimentierfelder“ waren, darüber schweigen die Verantwortlichen.Dass die alten Olivenbäume vielen ein Dorn im Auge sind, wurde den Ermittlern auch klar, als sie auf das Forschungsprojekt „Olviva“ stießen. Einige Protagonisten der Xylella-Bekämpfung haben mit dem spanischen Multi Agromillora ein Abkommen über die Entwicklung einer neuen, industriell anbaufähigen und Xylellaresistenten Olivensorte abgeschlossen, die ihnen 70 Prozent der Lizenzgebühren garantiert.
Im Dezember 2015 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Lecce die angeblich infizierten Olivenbäume des Salento – um sie vor dem Fällen zu schützen. Diese Woche schloss sich auch der italienische Staatsrat der Haltung der Juristen an. Das Fällen der uralten Olivenbäume sei schlicht illegitim, urteilte er.„Wenn hier ein Olivenbaum steht, der zwar vertrocknet, aber nicht von der Xylella befallen ist“, sagt Oberstaatsanwalt Cartaldo Motta, „und zwei Meter weiter steht einer, der völlig gesund ist, obwohl die Xylella bei ihm nachgewiesen wurde, dann muss man kein Biologe sein, um zu verstehen, dass da etwas nicht stimmt.“ Experten fanden heraus, dass die Bakterie bereits seit Jahrzehnten in der Region präsent ist, ohne Schäden anzurichten.
Das Olivenöl extra vergine des Jahres 2015 ist übrigens das beste in der Geschichte des Salento. Viele Olivenbauern hat der Xylella-Skandal nachdenklich gemacht. Sie versprühen kein Gift mehr, sie pflücken die Oliven direkt vom Baum.
Glyphosat ist kein Pestizid (Schädlingsbekämpfungsmittel), sondern ein Herbizid (Unkrautbekämpfungsmittel). Als Breitbandherbizid wird Glyphosat zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Durch Gentechnik ist eine Resistenz von Nutzpflanzen möglich.
Als „Breitbandherbizid“ ist das Glyphosat in Apulien sehr wirkungsvoll eingesetzt worden: Um hundertjährige Olivenbäume zu killen, die sogar Feuersbrünste überstehen, da gehört schon einiges dazu: Endlich kein Leben mehr. Und was die Gentechnik betrifft: Die Lobbies der Gentechnik und der Chemieriesen sind ja in Brüssel sehr erfolgreich, wie man an dem Kampf gegen die Olivenbäume in Apulien sehen kann.