Ich bin voller Neid. Denn wer kann von sich schon behaupten, dass der Vatikan Reklame für ihn macht? Gianluigi Nuzzi kann das. Der Vatikan legt sich für sein Buch: „Alles muss ans Licht“ echt ins Zeug. Jetzt auch noch Radio Maria: Der stellvertretende Chefredakteur möchte Nuzzi aufhängen lassen. (Kein Witz).
In der ZEIT habe ich darüber geschrieben: „Dieser Thriller ist echt„:
Eine bessere PR-Aktion hätte sich Gianluigi Nuzzi nicht wünschen können: Pünktlich zum Erscheinen seines neuen Enthüllungsbuchs „Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes“ wurde der Computer des Rechnungsprüfers des Heiligen Stuhls gehackt: Unbekannte haben sich, wie am 30. Oktober bekannt wurde, Zugriff auf den Computer von Libero Milone verschafft, dem von Papst Franziskus erst im Sommer ernannten Generalrevisor des Heiligen Stuhls. Er soll größere Transparenz in die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Vatikans bringen. Milone erstattete Anzeige, die vatikanische Gendarmerie ermittelt, und der Vatikan – er schweigt.
Es mutet wie der Cliffhanger eines Kirchenthrillers an – und ist doch Wirklichkeit. Undurchsichtige Finanzgeschäfte und mit ihr verbundene Günstlingswirtschaft, schreibt Nuzzi, erstickten jede Veränderung im Keim, sogar die von Papst Ratzinger bereits beschlossenen Reformen. Der VatiLeaks-Autor Nuzzi vermutet, dass der wahre Grund für Ratzingers Rücktritt darin zu sehen sei: Es fehle an jeglicher Aufsicht über die Geldanlagen, und Ratzinger habe das Ruder einem anderen, Tatkräftigeren überlassen wollen. Kurz: Der Krieg geht weiter, VatiLeaks, zweiter Teil.
In seinem neuen Buch belegt Nuzzi nun mit unzähligen Dokumenten, wie der unfassbar reiche Vatikan, dessen weltweiter Grundbesitz dem Wert des Bruttosozialprodukts von Ländern wie Indien, Russland oder Brasilien entspricht, die Gelder der Gläubigen auf teils kriminelle, teils obszöne Weise verschwendet. Was nicht wirklich erstaunt, weil Nuzzi in seinen beiden Bestsellern Vatikan AG und Seine Heiligkeit bereits Geheimpapiere des Vatikans veröffentlicht hat, die sowohl die Mafia-Geldwäsche in der Vatikanbank als auch die Machtkämpfe zu Zeiten Benedikts XVI. dokumentieren – was es selbst Gläubigsten schwer macht, den Vatikan für einen Hort reiner Seelen zu halten.
Aber: Glaube ist Hoffnung. Und deshalb werden sich viele gottesfürchtige Katholiken damit getröstet haben, dass ihre Spenden und Kirchensteuern nicht in den Händen eines ruchlosen römischen Kardinals landen würden, sondern in denen eines armen Priesters in Afrika, der damit Kinder vor dem Hungertod rettet. Denn hat Papst Franziskus nicht gleich nach seiner Wahl 2013 gesagt: „Wie sehr wünsche ich mir eine arme Kirche im Dienst der Armen“?
Nun, nach der Lektüre von Alles muss ans Licht, wird es schwer werden, sich weiter aufzuheitern. Denn wie Nuzzi anhand von Schriftwechseln und Sitzungsprotokollen, Transkripten geheimer Konzile der Kardinäle, Bilanzen und Kontobüchern des Vatikans, Expertisen und E-Mails dokumentiert, bleiben von jedem Euro, der von den Gläubigen an den Heiligen Vater geht, lediglich 20 Cent, die in Hilfsprojekte für Bedürftige fließen. Der Löwenanteil wird vom Vatikan verschlungen – etwa für den Erhalt der fürstlichen Residenzen, in denen Kardinäle zum Nulltarif leben.
Am Anfang von Nuzzis Buch steht der Mitschnitt eines vertraulichen Meetings des Papstes im Sommer 2013 mit den 15 Kardinälen des Rates für Wirtschaftsfragen und den höchsten Würdenträgern der Finanz- und Vermögensverwaltung des Vatikans, APSA, die praktisch die zweite Bank des Vatikans neben der Vatikanbank IOR ist.Der Papst ist außer sich und setzt eine Taskforce von Unternehmensberatern ein
Besprochen wird der Jahresabschluss des Heiligen Stuhls. Entgegen dem Protokoll hat der Papst zuvor den Bericht der fünf internationalen Rechnungsprüfer gelesen: Der Vatikan ist praktisch pleite – falls keine Notmaßnahmen ergriffen werden. „Diese Gegebenheiten legen die Vermutung nahe, dass zumindest in Teilen des Vatikans die Einstellung ›Die Regeln betreffen uns nicht‹ vorherrscht. Die Kosten sind außer Kontrolle geraten“, schreiben die Revisoren in dem Papier, das unter das segreto pontificio fällt, also unter die höchste päpstliche Geheimhaltungsstufe. Es ist ein Papier, das die anwesenden Kardinäle erbleichen lässt. Der Papst ist außer sich.
In einer 16 Minuten langen Rede fordert er „T-R-A-N-S-P-A-R-E-N-Z“, was auf die Kurie dieselbe Wirkung zu haben scheint wie Weihwasser auf Vampire. „Das macht man in der einfachsten Firma so, und das müssen wir auch machen“, ruft der Papst und kündigt an, eine Sonderkommission von Rechnungsprüfern einzusetzen. Die Situation erinnere ihn an die dunklen Jahre der argentinischen Militärdiktatur und der desaparecidos, der Verschwundenen, als die argentinische Kirche ihr Geld in Banken anlegte, die es in die Waffenproduktion fließen ließen: „Augen auf bei der Veranlagung von Geldern, schaut auf Moral und Risiko, wenn es heißt: Hier gibt es hohe Zinsen, aber was soll’s … Verlasst euch nicht darauf! Wir brauchen hierfür geschulte Berater! … Außerdem kursiert das Gerücht, es gebe Parallelverwaltungen, Geld, das nicht in den Bilanzen auftaucht. Und es gibt Dikasterien, die Gelder auf eigene Rechnung privat verwalten. Die Kasse wird nicht ordnungsgemäß geführt, wir müssen die Kasse in Ordnung bringen!“
Bald darauf setzt Papst Franziskus eine Taskforce ein, die internationale Unternehmensberater von McKinsey bis zur amerikanischen Promontory Financial Group zurate zieht und die zu desaströsen Ergebnissen kommt: Der Peterspfennig, die von den Gläubigen überlassenen Gelder, enden in den Schwarzen Löchern der verschwendungssüchtigen Kurie. Gelder für den millionenschweren Markt der Heilig- und Seligsprechungen versickern. Milliarden aus Spenden, Erbschaften und Kirchensteuern verschwinden in undurchsichtigen Bankengeflechten. Das Staatssekretariat liefert keine Zahlen, die Vatikanbank betreibt weiterhin Geldwäsche (einer der Protagonisten, Monsignore Nunzio Scarano, Leiter der Finanzbuchhaltung der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, soll sie im großen Stil abgewickelt haben und wurde verhaftet – nicht aber der Bankier, der ihn dabei gedeckt hat). Die Arbeit der vom Papst ernannten Prüfungskommission wird massiv behindert, in ihr Geheimarchiv wird eingebrochen, es gibt Drohungen und anonyme Briefe, und in der internen Finanzaufsicht tätige Priester werden illegal abgehört.
Zur gemütlichen Lektüre auf dem Sofa eignet sich Nuzzis Buch nur bedingt, nicht nur weil der Leser von dem Wust an Informationen förmlich erschlagen wird, sondern auch weil sich manche Details und Anspielungen nur goutieren lassen, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen vermag. In Mafiakreisen würde man sagen: chi vuole capire, capisce , „wer verstehen will, versteht“.
Nuzzi ist nicht der einzige Investigativjournalist, der in diesen Tagen in Rom mit Enthüllungen zu den Finanzgeschäften des Vatikans aufwartet, zeitgleich soll ein Buch eines Kollegen des Espresso erscheinen, das auf Italienisch den schönen Titel Avarizia trägt: „Habgier“. Allerdings ist Nuzzi auf dem Terrain der Vatikan-Enthüllungen der Platzhirsch, sein in Deutschland vom Ecowin-Verlag verlegtes Buch erscheint zeitgleich in 23 Ländern in sieben Sprachen – und die italienische Presse ergeht sich in Vermutungen, wer dem Journalisten wohl dieses Mal das Geheimmaterial zugespielt hat: ein rachsüchtiger homosexueller Kardinal und ein hoher Beamter der Vatikanbank?
Aber dann überschlagen sich die Ereignisse: Am 2. November verhaftet die Polizei zwei Personen, die verdächtigt werden, als Whistleblower die Informanten Nuzzis und des anderen Journalisten zu sein. (Im Vatikan-Staat kann die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft werden.) Die Verdächtigen gehören der vom Papst eingesetzten Untersuchungskommission an: Monsignore Lucio Angel Vallejo Balda und die 30-jährige Francesca Immacolata Chaouqui, die sich um den Aufbau einer neuen Abteilung kümmern soll, der die gesamte Kommunikation im Vatikan untersteht.
Auch im Gespräch mit der ZEIT vor ein paar Tagen hält sich Gianluigi Nuzzi natürlich bedeckt. Er verweist nur auf die Umstände, unter denen im Oktober die Bischofssynode zur Ehe und Familie stattfand: auf der einen Seite das bizarre Outing des polnischen Priesters, auf der anderen das Gerücht, das von den Reformgegnern gestreut wurde, der Papst leide unter einem Gehirntumor. Kurz: Seine Reformen seien nicht ernst zu nehmen.
Die wichtigste Erkenntnis, die man aus Nuzzis Buch zieht, lautet, dass die größte Gefahr für Papst Franziskus nicht von Strenggläubigen ausgeht, die seine Neigung zur Liberalisierung bekämpfen. Viel gefährlicher sind die Reformen des Papstes selbst, weil sie den einzig wahren wunden Punkt des Vatikans berühren: das Geld. Und aus dieser Perspektive gesehen versteht man auch besser, warum die Liberalisierung von Homosexualität durch die Reformfeinde des Vatikans so erbittert bekämpft wird: Wenn die Geldgeschäfte transparent wären und Homosexuelle keine Sünder mehr, dann wären viele Mitglieder der Kurie nicht mehr erpressbar.
Aber die wirklich gute Nachricht ist, dass es im Jahre 2015, im Zeitalter von Twitter, Instagram, Facebook und Google, noch gelingt, mit dem ältesten Medium der Welt einen Scoop zu landen.
(Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 45 vom 5.11.2015.)