Paolo Conte gestern Abend in der Fenice. Praktisch der Soundtrack meines Lebens. Und ich habe es geschafft, nicht zu heulen. Dazu gleich mehr. Erst aber ein kleiner, persönlicher, egozentrischer Exkurs.
Via con me habe ich schon geliebt, als ich noch Journalistenschülerin war und nur Speisekarten-Italienisch beherrschte. Ein Mal hatte ich die Gelegenheit, Paolo Conte zu interviewen. Stellte in einer Mischung aus Französisch und Italienisch (definitiv mehr Französisch) lauter Fragen, die ihm schon millionenmal gestellt worden waren. Was ihn inspiriert. Warum Frauen nichts von Jazz verstehen. So etwas in der Art. Er antwortete geduldig. Und tat so, als ob das ganz außergewöhnliche Fragen seien, bemerkenswerte, lehrreiche, interessante Fragen, Fragen, die ihm so, in dieser Form, noch nie gestellt worden seien. Als meine Zeit abgelaufen war, kam die Pressefrau herein und lud mich zu dem Paolo-Conte-Abendessen ein: einem Essen, zu dem seine Plattenfirma schätzungsweise siebentausend Journalisten eingeladen hatte. Vor meinem inneren Auge tauchten Musikjournalisten auf, die alle von ihren letzten, bahnbrechenden, furchtlosen Kritiken erzählen, während ich in Spaghetti und Tiramisu versinke. Also: Flucht nach vorn. Und schon hörte ich, wie ich zu Paolo Conte sagte: Ja, ich komme gerne. Aber nur, wenn ich neben Ihnen sitzen kann. Er stutzte kurz. Und brummte (einzigartig heiseres Paolo-Conte-Brummen): Sarà fatto.
Als ich das Restaurant betrat (das Romagna Antica in München, das Dietl-Rossini-Restaurant) standen die Musikkritiker schon alle mit Prosecco in der Hand herum und redeten über ihre Kritiken. Alle kannten sich, ich kannte niemanden. Einige trugen Honecker-Brillen, war unter Feuilletonisten gerade angesagt (für alle, die nach dem Mauerfall geboren wurden: sehen aus wie Kassen-Hornbrillen, sehr Siebziger). Und dann kam Paolo Conte. Durchpflügte das Musikjournalistenmeer, sagte: Ciao Petra und begleitete mich zum Tisch. Hey, hey, hey. Das sind die Sternstunden des Lebens. (Es gab Seezunge, ich kann von mir behaupten, eine Frau zu sein, der Paolo Conte die Gräten aus der Seezunge entfernt hat.)
Aber jetzt dazu, warum ich gestern nicht geheult habe. Obwohl mir sonst, wenn ich in einem Paolo Conte-Konzert Via con me höre, oder Max era Max, più tranquillo che mai, die Tränen nur so aus den Augen spritzen. Weil mich seine Lieder an bestimmte Augenblicke erinnern, und ich mir wünsche, wieder zurückspulen zu können in diese bestimmten Augenblicke, so wie ich mir auch wünsche, dass Max era Max einfach nicht aufhören würde. Ich saß ziemlich weit vorn, Paolo Conte war hinter seinem Klavier versteckt, und ich hatte die beiden Gitarristen in meinem Blickfeld. Einer sah aus wie ein alter Indianer mit weißen Haaren und der andere wirkte eigentlich ganz normal, ein Buchhalter-Typ, dabei aber so gefährlich durchschnittlich wie einer aus Monty Pythons Flying Circus. Er steckte in seinem Smoking wie ein Kind im Kommunionanzug. Sobald die Musik einsetzte, verwandelte er sich. Kniff die Augen zusammen, schob die Unterlippe vor, legte sein Gesicht in Falten, krümmte sich anfallartig über seiner Gitarre, zuckte, sang mit, zog Grimassen wie Mister Bean, wischte sich den Schweiß von der Stirn – und plötzlich wünschte ich mir, auch Musiker zu sein, Gefühle direkt ins Herz schießen zu können, wie dieser Gitarrist.
Hallo liebe Petra, toller Artikel. Ich liebe Deinen Schreibstil, der, sich über alles lustigmachend, ernsthaft und anschaulich dabei sein lässt.
Liebe Grüße
Ilka Silbermann