Weil hier so schön die Sonne scheint, dachte ich: Hey, think positive, schauen wir doch mal nach, ob sich in der deutschen Qualitätspresse nicht doch etwas getan hat und jemand auf die Idee gekommen ist, mal zu versuchen, ohne Schaum vor dem Mund über die Fünfsterne-Bewegung zu schreiben. Ob sie vielleicht mal von einem anderen Blatt abgeschrieben haben, als immer nur von RepubblicaCorrieredellaseraLaStampa?
- „Denn was würde nach Matteo Renzi passieren? Dann könnten alle Parteien einpacken; dann fiele das Land mangels Alternativen an Beppe Grillo, der früher Komiker war, jetzt aber zum politischen Krawallpopulisten und mit seiner fundamentaloppositionellen ‚Fünf-Sterne-Bewegung‘ rechnerisch zur stärksten Kraft in Italien geworden ist – mit faschistoiden Zügen, wie viele Kommentatoren anmerken. Dieses Katastrophenszenarios, dieser Angst vor einer apokalyptischen Schlacht zwischen Politik und Antipolitik, zwischen ‚Aufbau und Zerstörung‘ bedient sich Renzi auch selbst: Das sichert ihm den Burgfrieden im eigenen Lager – und wenn’s nur einer mit Murren ist.“ (Stuttgarter Zeitung 22.5. 2014)
Ok, dachte ich, also schauen wir weiter. In die ZEIT zum Beispiel, die keinem Geringeren als Sigmar Gabriel Platz eingeräumt hat, Europa zu erklären:
- „Das wird zurzeit in Italien überdeutlich, wo die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo bei der letzten Wahl 25 Prozent der Stimmen holte. Ihr Schlachtruf lautet: »Alle nach Hause!« Gemeint sind die etablierten Politiker. Grillo untergräbt das Parlament. »Wir sind jenseits des Kompromisses«, sagt er. Und auf die Frage, wann seine Mission erfüllt sei: »Wenn wir 100 Prozent sind.« Demokratie sieht anders aus.“ (Sigmar Gabriel, DIE ZEIT, 15.5. 2014 unter der Überschrift „Populistische Internationale“)
Klar. Was soll Sigmar Gabriel auch sonst sagen? Also blickte ich mich weiter um, blätterte in der Berliner Zeitung, um zu erfahren:
- „Der Komiker Beppe Grillo wettert generell gegen alle, die nicht seiner Meinung sind, und zögert nicht, seine eigene Bewegung Fünf Sterne von Dissidenten zu säubern.“(BERLINER ZEITUNG, 17.5.2014)
Und was sagt das Handelsblatt? Es empfiehlt, italienische Aktien zu kaufen, aber nur unter der Voraussetzung, dass Renzi gewinnt:
- Seit Beginn des Jahres hat der italienische Index bereits 15 Prozent zugelegt. Aber es kann noch weiter nach oben gehen. Größtes Risiko bleibt die politische Instabilität in Italien. Und die ist direkt mit der Europawahl am Wochenende verbunden: Sollte Matteo Renzis Linkspartei PD gut abschneiden, ist das ein positives Signal für die Märkte in Italien. Sollte dagegen eine der Anti-Euro- und Anti-Renzo-Parteien – also Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung oder Silvio Berlusconis Forza Italia stärker als Renzi abschneiden, dann wäre das ein schlechtes Signal für Renzi und könnte seine Reformkraft bremsen – und damit auch den Index. (Handelsblatt 23.5.2014 unter der Überschrift „Weshalb jetzt ein guter Einstieg in italienische Aktien ist“)
Bei meiner kleinen Recherche fand ich nur einen einzigen, etwas nachdenklicheren Artikel, in der SZ, wo festgestellt wird:
- „Die Zahlen, die kursieren, täuschen ein falsches, einheitliches Bild vor. Nicht jeder EU-Skeptiker ist gleich ein EU-Feind; und die professorale Alternative für Deutschland hat nichts gemein mit den ungarischen Antisemiten von Jobbik. Wie schwer es fällt, die neuen, unberechenbaren Kräfte zuzuordnen, zeigt die italienische Fünf-Sterne-Bewegung des früheren Komikers Beppe Grillo. Ihr werden rund 20 Sitze im neuen Europaparlament vorhergesagt. Nun werben sowohl der britische Nationalist Nigel Farage als auch die Grünen darum, die »Grillisti« in ihrer Fraktion willkommen zu heißen.“ (Matthias Krupa; SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 15.5. 2014)
Dann habe ich es aufgegeben.
Ich lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.
Die Kommentarfunktion ist an, gerne lese ich all die Artikel, in denen darüber nachgedacht wird, dass es ein Wunder ist, weil es jetzt zum ersten Mal Zeichen für einen politischen Wandel in Italien gibt?
Anyway. Aber wie wäre es, mal fünf Minuten die Augen zuzumachen und so zu tun, als sei man ein Italiener?
Und würde in einem Land leben, das 40 Jahre lang von Giulio Andreotti regiert wurde, (dessen seiner Unterstützung der Mafia vom obersten Gericht Italiens als bewiesen betrachtet wurde) und danach 20 Jahre lang von Silvio Berlusconi (der Andreottis Zusammenarbeit mit der Mafia fortgesetzt und ein Strafregister hat, das aufzuzählen für dieses Post zu lang ist), in einem Land, in dem es in den letzten Jahren keine Opposition gab, weil sich die PD seit langem bestens mit B. arrangiert hat, und nahezu täglich Politiker des Establishments wegen Betrugs, Korruption, Mafiaunterstützung und sonstigen Lappalien festgenommen werden (Allein in den letzten Tagen: der ehemalige Innenminister und Berlusconi-Vertraute Claudio Scajola oder der Renzi-Freund und PD-Abgeordnete Francantonio Genovese. B.’s Buddy Marcello Dell’Utri ist immer noch im Libanon und wird wohl nie nach Italien ausgeliefert werden) – einem Land, in dem die Expo in Mailand kurz vor der Explosion steht (schon seit Jahren gibt es Regalmeter von Büchern über die Verflechtung von Ndrangheta und Expo, trotzdem tun jetzt alle so, als sei das eben erst entdeckt worden) – kurz: ein Land, in dem es in den letzten 20 Jahren so viele Skandale und korrupte Politiker gab, dass anderswo nur ein Hundertstel davon ausgereicht hätte und es wäre zur Revolution gekommen?
Ich meine: In Deutschland wollen doch alle immer nur LATTE trinken und Pizza essen, dann wäre es doch keine schlechte Idee, mal fünf Minuten lang so zu tun, als sei man Italiener. Nur mal so. Als Tipp. Wenn man das nächste Mal darüber schreibt.
der „guter“ Kerl hat es auf jedem Fall dann geschafft, oder ? (41%!)
der „boese“ , der „Clown“ (Wort von Peer Steinbrück) hat verloren…
dann, viel Spass!
Sie verlangen (glaube ich) Unmögliches: ich bin seit 20 Jahren mit einer Italienerin verheiratet, lebe seit sieben Jahren auf Sardinien und reibe mir nach wie vor tagtäglich die Augen über die riesigen Unterschiede zwischen „Deutschen“ und „Italienern“ (lassen wir die Problematik einer solchen Vereinheitlichung mal außer Acht).
Während dieser Unterschied von Italienern (glaube ich) deutlich wahrgenommen, aber kaum thematisiert wird (für sie sind wir Deutschen wohl seltsame, ein wenig Furcht einflößende, aber auch etwas lächerliche Kreaturen, die man nicht verstehen kann, aber ein Italiener würde das nie so sagen) ist er den meisten Deutschen – auch den Journalisten – wohl nicht wirklich bewusst (außer in seiner folkloristischen Variante a la „Maria – ihm schmeckts nicht!“), weshalb sie im festen Glauben, objektiv zu urteilen, alles in Italien mit sehr deutschen Augen sehen, darunter eben auch M5S und seinen Frontman. (Sehr bezeichnend: was man Grillo in Deutschland am vehementesten vorhält: unerträgliches Geplärr, verbale Entgleisungen, diktatorisches Gehabe, das juckt – mit Verlaub – in Italien keine alte Sau, und auch wenn es italienische Zeitungsartikel darüber gibt, die dann – schlecht übersetzt abgeschrieben – auch bei uns erscheinen, beweist das nicht das Gegenteil, es ist nur Teil der alltäglichen italienischen Großen Oper).
Ich habe auch das Gefühl, dass Deutsche ihr Italienbild mögen und hätscheln und nur ungern daran arbeiten. Existiert mittlerweile noch jemand (wir sprechen von redaktionell relevanten Mengen), der einen wirklich fundierten Artikel (gäbe es ihn denn) lesen würde?
Und wäre man sich denn der Unterschiede auch bewusst (oder – als Leser – bereit, sie sich in einem langen Artikel erklären zu lassen): 40 Jahre Andreotti, 20 Jahre Berlusconi, dazu (was Sie nicht erwähnen, was aber sehr erschwerend hinzu kommt) 20 Jahre italienisches Fernsehen und 20 Jahre italienische Presse: da hilft leider weder Latte noch Pizza – man müsste schon ein ziemlicher Masochist sein, sich auch nur fünf Minuten wie ein Italiener fühlen zu WOLLEN.
Denn dieses Gefühl hält – nach meiner Erfahrung – auch ein echter „Italiener“ nicht viel länger durch. Er beendet das grausame Spiel normalerweise mit der verzweifelten Selbstanklage „siamo un popolo di merda“. Diese Situation kann nur durch einen Scherz aufgelöst werden (wodurch der Italiener die Chance erhält, nur noch Italiener zu „sein“, aber sich nicht mehr so fühlen zu müssen), und bald danach stellt sich die Frage, was es zum Abendessen gibt.
Das ist der Moment, wo das Unmögliche doch möglich wird, denn man fühlt sich – als Deutscher – plötzlich wie der Italiener, den man schon so lange kennt.
P.S.: Zu dell´ Utri: bei optimalem Verlauf (das heißt, wenn nicht irgend eine Amnestie greift) werden sich die dementen Alten in Italien bald wöchentlich ein, zwei Stündlein in Stereo betüteln lassen können.
danke Herr Schnittke, ich bestaetige nicht mal 100%, sondern 120% (wenn es überhaupt möglich wäre !!) was Sie sagen…
Aber Petra: Wie sollten die Korrespondenten wissen, wie sich ein Italiener fühlt, wenn sie in Rom in ihrer deutschen Luxus-Enklave leben und von der italienischen Realität nichts mitkriegen? Außerdem stellen sich alle in den Redaktionen nur eine Frage: Was bedeutet das für Deutschland? Und wenn irgendwo eine Partei auftaucht, die die „Reformen“, die Frau Merkel allen aufzwingt, für mörderisch hält und nicht hinnehmen will, dann ist die Partei halt populistisch, rechtsextrem, eine Gefahr für Europa, u.s.w.u.s.f.
ich hab den Eindrück, nordlich der Alpen beschäftigen sich die Leuten mit ernshaften Themen…
deswegen, wenn die Rede von Italien oder Griechenland ist, es geht nicht viel weiter als „Bunga Bunga“ oder „Ouzo faultrinker“ zu reden…
und es scheint auch, das zu sein,was die meiste gerne hören wollen.
Deutschland hat gar keine Opposition – Komme gerade aus dem Schlossgarten Stuttgart zurück und da muss man weder die Augen schließen, noch eine Latte bestellen, um sich wie ein Italiener zu fühlen… nirgendwo herrscht mehr Korruption – heimliche Killer braucht es nicht, dafür gibt es Wasserwerfer und Polizeiknüppel. Die Parkschützer stehen morgen leider nicht zur Wahl – nicht mal das geht noch bei uns…
Gerade las ich, dass Marcello Dell’Utri nun doch nach Italien ausgeliefert werden soll. Der libanesische Präsident hätte die Auslieferungsurkunde unterzeichnet. Man soll also nie „Nie“ sagen.