Große Aufregung. Die AFP-Meldung der Verhaftung des Mafiosos Francesco Nirta im holländischen Utrecht macht sofort die Runde: „Oberhaupt der ‚Ndrangheta gefasst“, heißt es, von von einem superlatitante ist in Italien die Rede, eine schöne Wortschöpfung: latitante heißt flüchtig, ein superlatitante ist also einer, der besonders lange und trickreich untergetaucht ist. Mafiaboss Nirta war seit 2007 flüchtig.
Remember: Duisburg 2007? Mafia in Deutschland? Nee, oder?
Francesco Nirta gehört nicht zu den Tätern des Duisburger Mafiamassakers, er hatte seine Aufgabe schon vorher erledigt – als Mörder von Bruno Pizzata, einer der Morde jener Blutfehde, die in Duisburg ihren Höhepunkt fand. Jeder der Täter von Duisburg ist mit mindestens einem Toten der seit 1991 andauernden Blutfehde zwischen der Nirta-Strangio und der Pelle-Romeo verwandt. Alle sind miteinander verschwippt und verschwägert. Und nahezu alle haben in Deutschland gearbeitet. Obwohl mancher von ihnen auf der Fahndungsliste der italienischen Polizei stand.
Die Mafia in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Jedenfalls für die Mafia. Kaum hatte man die Leichen von Duisburg beerdigt, wussten die italienischen Geheimdienste aus dem kalabrischen San Luca zu berichten, dass die beiden verfeindeten Clans der Pelle-Romeo und Nirta-Strangio zu einem Waffenstillstand aufgerufen hatten. Danach widmeten sich die Mafiosi der Öffentlichkeitsarbeit, um das beschädigte Image wieder aufzupolieren – und um die Deutschen wieder in jenen tiefen Schlaf zu wiegen, in dem sie sich bis zu jener fatalen Nacht befunden hatten.
Egal ob Duisburg oder München, Aosta im Piemont, die Schweiz, Frankreich, Belgien bis nach Holland: Die Clans aus San Luca sind überall erfolgreich – dass sich da bei ihnen ein gewisse Glauben an die eigene Unverwundbarkeit einstellte, ist naheliegend.In den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria lässt sich schön nachlesen, wie die beiden Strangio-Schwestern ihren Komplizen später im Chat die Reise von San Luca nach Amsterdam und die am Ende stehende Verhaftung wie einen Actionfilm schilderten.
In Deutschland hingegen erinnert sich kaum noch einer daran. Und das ist nicht nur der erfolgreichen Propagandaarbeit der Mafia in Deutschland zu verdanken, sondern auch den Beschwichtigungstaktik der deutschen Politik. Ein Höhepunkt war die Antwort auf die Große Anfrage im Düsseldorfer Landtag 2009 zum Thema „Präsens der Mafia in Nordrheinwestfalen“: Rauschgifthandel in Zeiten der Globalisierung? Des Internets? Des abhörsicheren Skypes? All das schien für die Landesregierung Nordrheinwestfalen unbekannt zu sein. Da war die Mafia immer noch ein in archaische Blutfehden verstrickter Geheimbund süditalienischer Schafhirten: „Eine verstärkte Ausnutzung der durch die Digitalisierung aller gesellschaftlichen und individuellen Lebensbereiche, insbesondere die Ausbreitung des Internets und das Verschmelzen von Kommunikations- und Informationstechnologie für die Erscheinungsformen italienischer organisierter Kriminalität ist bisher nicht festgestellt worden.“
Die Frage, wie viele Restaurants der Clans Pelle-Vottari und Nirta-Strangio sich in Nordrheinwestfalen befänden, wurde der Einfachheit halber gar nicht beantwortet. Viel mehr wurde belehrt: „Das Betreiben eines Gastronomiebetriebes allein begründet keinen Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat. Auch nicht, wenn Betreiber oder Mitarbeiter polizeilich bekannten kalabrischen Familien angehören oder zu ihnen in Beziehung stehen.“
Die Mafia dankt. Nur so zur Erinnerung.