Ein kleines Beispiel dafür, wie Venedig funktioniert: Die Süddeutsche veröffentlichte vor zehn Tagen einen sanft kritischen Artikel von Henning Klüver über das Werk des venezianischen Bürgermeisters Orsoni, nachzulesen hier.
Daraufhin hat sich in Venedig jemand die Mühe gemacht, den Artikel ins Italienische zu übersetzen. Und auf Facebook zu veröffentlichen. Umgehend entlud sich der Wutanfall keiner Geringeren als der Stadträtin für Kultur und Tourismus (!) in folgendem Kommentar:
– “Ma certo, diamo ragione ai tedeschi. In fondo hanno solo distrutto ogni 50 anni il tentativo di unire l’Europa, hanno fatto genocidi continui (dei ribelli riformatori a Muenster, degli ebrei, dei greci… I prossimi siamo noi italiani) ed è ora che anche noi cediamo ai loro giudizi. Non sapete come opera nel turismo veneziana la Germania, ad esempio? cerca di esautorare sistematicamente le guide e i tour operator veneziani in favore dei loro. È bello comperare ‚das auto‘, e‘ bello essere conniventi col nuovo colonizzatore. Noi italiani lo abbiamo sempre fatto e accodarci alle ragioni del vincitore fa parte del nostro spirito nazionale. Non appartenendo ad alcun partito e facendo parte di un’amministrazione per caso e per 15 mesi massimo, posso permettermi di non essere prudente e di sporcarmi le mani. Chi non se le sporca non è pulito, e‘ solo un giudice a buon mercato.”
„Aber natürlich, geben wir den Deutschen Recht! Im Grunde haben sie nur alle 50 Jahre versucht, die Vereinigung Europas zu zerstören, haben Völkermorde begangen (die reformatorischen Rebellen, die Juden, die Griechen … und die nächsten sind wir Italiener), und jetzt ist es Zeit, ihrem Urteil nachzugeben. Ihr wisst nicht, wie sich Deutschland beispielsweise im Tourismus verhält? Man versucht systematisch die venezianischen Fremdenführer zu benachteiligen. Es ist schön, „das Auto“ zu kaufen, es ist schön, den neuen Kolonialherren stillschweigend zu ertragen. Wir Italiener haben das immer gemacht und uns den Siegern angepasst, es ist Teil unseres Nationalgeistes. Da ich zu keiner Partei gehöre und dem venezianischen Stadtrat höchstens für 15 Monate angehöre, kann ich mir erlauben, nicht vorsichtig zu sein und mir die Finger schmutzig zu machen. Wer sie sich nicht schmutzig macht, ist nicht sauber, er ist nur ein Richter, der sich billig verkauft.“
Danach explodierte die Facebookseite, und offenbar gab dann jemand der Stadträtin für Kultur und Tourismus(!) den guten Tipp, ihren Kommentar zu löschen. Was sie auch tat. Aber leider blieb der Screenshot im Netz. Sie schrieb dann noch einen weiteren wirren Kommentar, den ich hier erspare.
Interessant daran sind zwei Dinge:
Erstens, wie schnell in diesen Tagen „antideutsche“ Gefühle für politische Zwecke aktiviert werden – in Italien, und nicht nur da. (Remember: Berlusconi im Europäischen Parlament: „Herr Schulz, in Italien gibt es einen Produzenten, der einen Film über Nazi-Konzentrationslager dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kapo empfehlen. Sie sind perfekt!“)
Zweitens: Wie nervös man in Venedig ist, wenn sich die Öffentlichkeit mal für die nicht so schönen Seiten Venedigs interessiert. Dann fallen einige hier schnell aus der Rolle.
Die Süddeutsche hat nicht nur über den Tod des deutschen Touristen im Canal Grande berichtet, sondern auf ihren Kulturseiten auch wiederholt und ausführlich über die abenteuerliche Geschichte des Verkaufs des Fondaco dei tedeschi, der deutschen Handelsniederlassung, an Benetton. Etwa in dem schönen Artikel von Kia Vahland: „Venedig zu verscherbeln“. Die Süddeutsche hat auch den Vortrag von Salvatore Settis übersetzt und veröffentlicht („Wenn Venedig stirbt„), den der Kulturkritiker letztes Jahr in Venedig hielt und in dem er für die Zukunft der Stadt schwarz sah.
Mit diesen Veröffentlichungen macht man sich in der Stadtverwaltung natürlich keine Freunde. Denn bei den venezianischen Großprojekten ist sehr viel Geld im Spiel. Die Interessen sind groß. Da war es eigentlich nur naheliegend, dass eine bis dahin unbekannte Stadträtin sich die „Finger schmutzig machen musste“.
Schade für Venedig.
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