Heute im Vaporetto: Menschen, die wie eine Viehherde an Bord getrieben werden und dort so dicht gepfercht stehen müssen, dass sie selbst bei hohem Seegang nicht umfallen können. Beim Besteigen des Vaporettos verliert eine Venezianerin im Gedränge eine (winzige) Einkaufstüte. Lautes Kreischen, venezianische Flüche gegen den Vaporettokapitän, Angehöriger einer Kategorie, die in Venedig so beliebt ist wie die der Busfahrer in Berlin. Auf der venezianischen Hass-Skala auf Platz drei nach: 1. Gondolieri, 2. Wassertaxifahrern.
Seit dem Unfall, bei dem ein deutscher Tourist zu Tode kam, weiß der Vaporettokapitän genau wie die Gondolieri, dass ihr Ansehen gegen Null tendiert – nicht nur in Venedig, sondern auch in der Welt. Dass der in den Unfall verwickelte Gondoliere unter Drogen stand, wird nicht zur Verbesserung des Ansehens beigetragen haben.
Von 58 000 Venezianern geschmäht zu werden ist kein Problem, anders ist es mit den 30 Millionen Touristen, die Venedig jährlich besuchen. Und von denen sich in diesem Moment schätzungsweise dreihundert an Bord dieses Vaporettos befinden, sich nun über das Geländer beugen und nach der Tüte suchen. Die Tüte dümpelt neben dem Vaporetto. Es sieht aus, als ob sie als Geschenk verpacktes Parfüm enthielte. Die Venezianerin schreit: Mehr nach rechts! Die anderen fünf Venezianer an Bord schweigen peinlich berührt. Das Vaporetto schwenkt nach rechts. Die Tüte verschwindet unter dem Vaporetto. Die Venezianerin schreit: Mehr nach links! Das Vaporetto schwenkt nach links. Die Tüte taucht wieder auf und schwimmt am Vaporetto vorbei. Die Venezianerin schreit: Etwas zurück! Das Vaporetto fährt etwas zurück. Die Tüte ist immer noch nicht in greifbarer Nähe. Die Venezianerin schreit: Etwas vor! Das Vaporetto fährt etwas vor. Schließlich gelingt es jemandem, die Tüte aus dem Wasser zu fischen.
Applaus, Applaus, Applaus. Seitens der Touristen.
Und eine Venezianerin sagt: Für so ein Scheiß-Parfüm.