Wie gut, dass genau wie in Italien auch in Deutschland die unbestechlichen Analytiker am Werk sind, die dem deutschen Leser ein vorurteilsfreies Bild von der politischen Landschaft Italiens vermitteln, weitgehend basierend auf der Gleichung von „Berlusconi=böse, tapfere italienische Linke=gut“. Eine Überzeugung, die zwar schon seit langem etwas müffelt, aber die Kollegen gehen nicht mit jeder Mode, und warum sollte sie ihre alten Cordhosen wegwerfen, die zwanzig Jahre lang in Ordnung waren, nur weil jetzt Hosen beliebt sind, die fast unter dem Hintern hängen?
Was ist passiert? Zwei von den Linksdemokraten benannte Persönlichkeiten, die frühere Mitarbeiterin des UN-Flüchtlingswerks Laura Boldrini und der ehemalige Leiter der Nationalen Antimafia-Ermittlungsbehörde Pietro Grasso wurden zum Senatspräsdenten bzw. zur Parlamentspräsidentin gewählt. Dank einiger Stimmen der sogenannten „Grillini“, die von dem Mehrheitsbeschluss abwichen, sich der Stimme zu enthalten. Und schon weiß die deutsche Presse von links bis rechts, dass die schauerliche Zeit der Unsicherheit, ausgelöst durch das Auftauchen des Komikers, Populisten, Diktators, etc. pp, ein Ende hat.
- „Italiens Linke feiern Etappensieg“ (TAZ 18.3.)
- Die FAZ sieht „Neue Gesichter gegen Grillo“ (18.3.), bemerkt, dass der Linksdemokrat „Bersani versucht, die Bewegung herauszufordern“ und weiß schon am nächsten Tag noch viel mehr: „Obwohl er wie ein kleiner Diktator auftritt, wird Beppe Grillo, der Chef der italienischen „Bewegung 5 Sterne“, meist als Komiker bezeichnet. Dieser Tage hat er wenig zu lachen: Er kann nicht alle seine Parlamentarier im Senat und in der Abgeordnetenkammer auf Kurs halten. Zunächst drohte Grillo den Abweichlern mit Rausschmiss, am Montag sprach er nur noch von einem Versagen „aus gutem Glauben“. (FAZ vom 19.3.)
- Das Handelsblatt zieht den messerscharfen Schluss: „Statt sich stur dem System zu verweigern, haben im Senat einige Vertreter für den Mafia-Jäger Pietro Grasso von der Demokratischen Partei (PD) als Senatspräsidenten gestimmt und so den Zorn der Gründers auf sich gezogen. (Handelsblatt 19.3.)“
Jetzt wird sich der deutsche Leser fragen: Aber warum sollen denn die armen Grillini nicht zwei so wertvolle Persönlichkeiten wie eine (sehr schön anzusehende) UNO-Beamtin und einen tapferen Antimafia-Staatsanwalt wählen dürfen? Warum will das dieser fiese, brüllende Komiker nicht?
Zumal es sich bei Grasso, so weiß es die Berliner Zeitung aus gut informierten Kreisen, um einen Hoffnungsträger handele:
- „Bis vor drei Monaten war Pietro Grasso noch Staatsanwalt und der Top-Mafiajäger Italiens. Den Politikbetrieb kennt er kaum – gerade deshalb ist er nun im politikmüden Italien zum Senatspräsidenten gewählt geworden.“ (Berliner Zeitung vom 19.3.))
Benannt wurden die beiden Persönlichkeiten übrigens keineswegs durch eine demokratische Wahl, sondern per Federstrich: Weder Grasso, noch Boldrini gehörten zuvor zur Linksdemokratischen Partei, sie mussten sich gegen niemanden durchsetzen, sondern wurden einfach benannt: Die Italiener wählen dank ihres Wahlrechts, auch Porcellum, Schweinerei genannt, keine Kandidaten, sondern nur Parteien – die dann, je nach Stimmung, Nacktmodelle, Zahnhygienikerinnen oder eben Staatsanwälte benennen.
Daraufhin schrieb Grillo in seinem Blog, dass es sich bei den beiden soeben gewählten Präsidenten Boldrini und Grasso um moralische Feigenblätter (hier auch auf Englisch) handele – die dazu dienen sollen, die Sicht auf das zu vernebeln, was tatsächlich beabsichtigt ist, nämlich, das, was die Linksdemokraten erfolgreich die letzten zwanzig Jahre praktiziert haben: Auch noch die nächsten sieben Jahre lang weiter mit Berlusconis PDL zu mauscheln, wozu hin und wieder ein paar Stimmen der Grillini nötig sind.
Grillo will das nicht, weil es die 5Sterne-Wähler nicht wollen. Die den anderen Parteien ihre Stimmen entzogen haben, weil sie eben nicht mehr genau so weiter machen wollen, wie die letzten zwanzig Jahre.
Einige der Grillini sind in gutem Glauben in die Falle der Linksdemokraten getappt: Ein 5Sterne-Senator sagte, er habe seine Stimme Grasso gegeben, weil er es nicht über sich gebracht habe, für den alten Senatspräsidenten Renato Schifani zu stimmen, gegen den wiederholt wegen Unterstützung der Mafia ermittelt wurde. Jetzt könnte man sagen: Er hat nichts anderem als seinem Gewissen gehorcht. (Und nicht dem bösen, krakeelenden Komiker, Diktator etc.pp)
Aber in Sizilien (und nicht nur da) weiß jeder, der es wissen will, dass Pietro Grasso der „Mafiajäger“ (Lieblingswort der Deutschen. Als „Mafiajäger“ wurde auch Leoluca Orlando stets bezeichnet, obwohl der, bei allem Respekt, nie etwas anderes war als ein Politiker) – keineswegs ein Held war.
Grasso stand und steht immer für eine gewisse Nachgiebigkeit gegenüber der Politik, er lobte Berlusconi (!) für sein Antimafia-Engagement, fand es auch in Ordnung, dass er selbst anstatt des Staatsanwalts Giancarlo Caselli an die Spitze der Nationalen Antimafia-Ermittlungsbehörde treten konnte, nachdem Berlusconi drei Gesetze hatte verfassen lassen, um zu verhindern, dass Caselli, der in Palermo für die politischen Prozesse verantwortlich war (unter anderem für den Andreotti-Prozess), an diese Stelle treten würde, er spielte eine bedenkliche Rolle bei der Aufklärung „Trattativa“, den Verhandlungen zwischen Politik und Mafia (dazu auch hier), als während seiner Amtszeit in Palermo eben bestimmte Dinge eben nicht aufgedeckt wurden, die schon früher für Aufklärung hätten sorgen können.
Laura Boldrini hat sich nicht politisch kompromittiert, sie hat bei der UNO gearbeitet, was sicherlich verdienstvoll ist, aber dennoch sind beide Feigenblätter, die von den Linksdemokraten benannt wurden, um sich einen Anstrich von hoher Moral zu geben (Anstand wird bald Mode werden, prophezeite der böse, böse Grillo mal in seinem Blog), und um so die gutgläubigen 5-Sterne-Vertreter genau in ihrem schwachen Punkt zu treffen: für jemanden zu stimmen, der nicht so schlimm ist wie der schauerliche Rest.
Aber leider verbirgt sich dahinter nichts anderes, als den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Als Grillo das kund tat, wurden die Abweichler in der italienischen Presse sofort als Rebellen gefeiert – wobei es natürlich der Sache diente, zu leugnen, dass es sehr wohl eine Fraktionsdisziplin gibt (wie in Deutschland auch), die normalerweise nicht als leninistisch bezeichnet wird, und dass Abweichler bei ihren Parteikollegen normalerweise nicht so gut ankommen.
(P.S.: Was man so findet, in den deutschen Zeitungen. Ist ja unfassbar ergiebig, aber Leute, oft kann ich das nicht machen, ich habe noch ein, zwei andere Dinge zu tun.)
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