Kommse vorbei, wennze bei deiner Mamma biss?, fragte Heinrich immer, wenn ich einen Besuch im Ruhrgebiet ankündigte. Ich sehe ihn vor mir, wie er im Café Extrablatt saß, seinen Kaffee trank und mir von Weitem zuwinkte.
Heinrich Peuckmann gehörte für mich zu meiner Heimatstadt Kamen wie die Zeche Monopol, auf der mein Vater starb. Jenes Schattenreich aus Fördertürmen, Zechensiedlungen, rußgeschwärztem Backstein und Kohlenhalden war es – auch – das uns verbunden hat: Wir sind beide Kinder von Bergmännern.
Heinrich beschloss früh, Schriftsteller zu werden – ein Berufswunsch, der in einer Bergmannsfamilie ungefähr ähnlich ernst genommen wird wie der Wunsch, Balletttänzer zu werden. Heinrichs Mutter hat jedoch an ihren Sohn geglaubt, und so hat Heinrich sich nicht beirren lassen und schrieb Lyrik, Erzählungen und Romane, Theaterstücke, Opernlibretti und Gedichte, Kinder- und Jugendbücher, Dramen und Drehbücher. Er hat über das Ruhrgebiet geschrieben und über China, über Bergmänner und über thailändische Säbelfechter – und sich schon früh, als Mitglied des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt, für eine Literatur der Arbeiterklasse eingesetzt. Und Arbeiterklasse ist auch so ein Wort, das heute in Vergessenheit geraten scheint.
Und weil Fußballstadien für Heinrich so etwas waren wie die Pariser Salons für Marcel Proust – Heinrich war bekennender BVB-Fan und eng mit der Torwartlegende Hans Tilkowski befreundet – schrieb er natürlich auch Fußballbücher. Und sorgte mit anderen Ruhrgebietsschriftstellern dafür, dass die Literatur nicht nur über das Ruhrgebiet, sondern auch im Ruhrgebiet weiterlebte – und das, als hier noch keine Rede war von Literaturbüros, -häusern, -festivals.
Als Lehrer – Heinrich unterrichtete Deutsch, Religion und Literatur am Gymnasium in Bergkamen, gab er seine Leidenschaft an Generationen von Schülern weiter – die wie wir einst auf der Suche waren. Nach einem Beweis dafür, dass der Mensch mehr ist als Überstunden und Sachlichkeit und rechter Winkel. Dass er aus sich heraustreten kann. Als Jugendliche hätten wir das aber nicht aussprechen können. Wir wussten weder, was das Erhabene war, noch, wo wir es finden würden. Wir suchten unablässig nach etwas, von dem wir nicht wussten, wie es aussehen würde. Wir sehnten uns nach etwas, dessen Existenz wir nicht sicher waren. Heinrich hat das Erhabene in der Literatur gefunden. Und seinen Schülern vermittelt.
Sein Kampf – Heinrichs Einsatz für die Literatur im Ruhrgebiet war stets mehr als ein Engagement – führte ihn geradewegs in den PEN, wo er sich als Generalsekretär des PEN Deutschland für Schriftsteller einsetzte, die in ihren Heimatländern politisch verfolgt werden und von denen einige in Kamen Zuflucht fanden.
Literatur muss nicht zwingend nur in Großstädten stattfinden, fand Heinrich – und so stellten sudanesische, syrische, russische, eritreische, irakische, belarussische und kurdische Schriftsteller in Kamen ihre Werke vor. Als Schülerin, die sich in der Stadtbücherei Kamen jede Woche drei Bücher auslieh (mehr durften wir nicht), hätte ich mir ein so vielfältiges Literaturprogramm gewünscht, wie es Heinrich in Kamen mit seinem Freund Bernhard Büscher vorangetrieben hat. Und als die von ihnen organisierten Lesungen mit Autoren des PEN und aus dem Flüchtlingshilfe-Programm „Writers in Exile“ in Kamen Erfolg hatten, fing man auch in Kamen langsam, sehr langsam an zu begreifen, dasss Heinrich Peuckmanns lebenslanges Engagement für die Literatur vor allem auch ein Engagement für seine Heimatstadt Kamen war.
In einem seiner Krimis ist ein pensionierter Kommissar Protagonist – ein bodenständiger Ruhrgebietsmensch, ein Moralist im besten Sinne, der nach der Devise verfährt: Es gibt Dinge, die sich gehören, und es gibt Dinge, die sich nicht gehören. Und zu den Dingen, die sich nicht gehören, zählt das Intrigantentum, dem Heinrich als Generalsekretär des PEN nach der Wahl des Kurzzeit-PEN-Präsidenten Deniz Yücel ausgesetzt war und das ihn tief verletzt und krank gemacht hat.
Nach seinem Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs widmete sich Heinrich wieder beharrlich seinen Projekten: geschrieben hat er bis zum letzten Atemzug, zuletzt die Novelle „Schimmer in der Schwärze“, die – auch – vom Willen zur Anarchie handelt und der Gedichtband „Das ist das Bild“. Ich wünsche mir, dass seine drei kleinen Enkelkinder eines Tages auch aus Heinrichs Werk erfahren, welch großartiger Mensch ihr Großvater war. Denn in Heinrichs Werk spüren wir in jeder Zeile seine Zärtlichkeit, seine tiefe Menschenliebe, seine Selbstlosigkeit.
Ja, wir alle haben einen Freund verloren – seine drei Söhne aber haben ihren Vater verloren. Lukas, Niklas und Simon sind es, die Heinrich wirklich zu Unsterblichkeit verholfen haben. In ihnen und ihren Kindern wird unser aller Freund Heinrich Peuckmann weiterleben.
Glückauf, Heinrich.