Maulkorb vom Hüter des freien Worts

An Darmstadt habe ich nur die besten Erinnerungen, und weil ich letzte Woche noch etwas Zeit vor meiner Lesung hatte, habe ich, obwohl ich schon seit zehn Jahren Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland bin, am Nachmittag zum ersten Mal die (mit dem Avenidas-Gedicht von Eugen Gomringer geschmückte) Geschäftsstelle in Darmstadt besucht: Ein tolles Haus, das uns Jochen Partsch, der Bürgermeister von Darmstadt, zu günstigen (von unserem Generalsekretär Heinrich Peuckmann ausgehandelten) Konditionen vermietet hat. Um so trauriger ist es jetzt zu sehen, wie der PEN unter dem neuen PEN-Präsidenten Deniz Yücel nun von einem Rest-Präsidium (von 10 Mitgliedern sind nur noch fünf übrig geblieben) geführt wird, das Menschen als „Elefanten“ und „Flusspferde“ bezeichnet, sie diskriminiert („sein Alter macht es leichter, ihm den Rücktritt nahezulegen“) und ein Mobbing betreibt („ebenso, dass wir nicht vorschnell Appellen zur Verständigung – etwa aus dem Munde der Silberrücken – nachgeben“), das eine Verschlagenheit offenbart, die einer Netflix-Serie angemessen wäre – nicht aber einer Schriftstellervereinigung, die sich mit ihrer Charta dazu verpflichtet, jedwede Form von Hass zu bekämpfen. Diesem Präsidium ist es in nur fünf Monaten gelungen, einen Krieg gegen Mitglieder und Mitarbeiter des PEN zu führen.

Ich habe über die Rücktrittsforderungen des PEN in der FAZ geschrieben und mich dazu unter anderem auch im WDR geäußert. Der Journalist (und PEN-Mitglied) Volker Skierka hat zu Yücel unter anderem einen klugen Kommentar im Deutschlandfunk abgegeben. Interessant für mich als Journalistin war zu beobachten, wie sich jedoch weite Teile der Presse ohne Not und leider auch ohne jede Recherche wie ein Mann vor Yücel warfen (nachzulesen in der ZEIT, im Tagesspiegel, in der Süddeutschen Zeitung, bis hin zum Freitag – und dabei sind mir wahrscheinlich noch weitere wehrhafte Vorwärtsverteidiger entgangen) – ohne dabei auch nur mit einem Wort auf das einzugehen, dass die Vorfälle, die in den Medien lapidar als „Zoff“, „Knatsch“ oder „Zank“ abgetan wurden, eine erschreckende Menschenverachtung offenbarten, die unter normalen Umständen sofort sämtliche Antidiskriminierungsaktivisten auf den Plan gerufen hätten.

In der FAZ kommentierte Jan Wiele: „Dass aber in manchen Artikeln der letzten Tage nur seine Äußerung zur Ukraine im Mittelpunkt stand, ist verwunderlich. Denn seit Tagen ist auch bekannt, dass gegen Yücel Vorwürfe eines intriganten, empörenden Umgangs mit PEN-Mitgliedern im Raum stehen, die eine wachsende Zahl von diesen veranlassen, seine Abberufung zu fordern. Diesen Teil der Berichterstattung einfach wegzulassen und sich darauf zu kaprizieren, Yücel solle wegen provokanter Meinungsäußerung ein Maulkorb angelegt werden, scheint journalistisch unredlich, gerade wenn es um einen Enthüllungsjournalisten geht. Dass auch die beschriebenen Vorwürfe des Fehlverhaltens gegen Yücel im Raum stehen, lässt sich aber nicht mehr verschweigen, denn inzwischen berichtet auch die Deutsche Presse-Agentur, dass ein Abwahlantrag gegen das komplette PEN-Präsidium unter Yücels Leitung vorliege, der diesem Mobbing, Beleidigung und „eine tiefgreifende, systemische Störung des Anstands und der Würde unserer Schriftstellervereinigung“ vorwirft.“

Die Kulturzeit von 3sat widmete sich dem, wie sie es nannte „Zoff im PEN“, konzentrierte sich aber ausschließlich auf Yücel in seiner neuen Rolle als Militärstratege und räumte ihm und seinen Verteidigern breiten Raum ein – gegenüber den Rücktrittsforderungen immerhin der fünf ehemaligen PEN-Präsidenten (Gert Heidenreich, Christoph Hein, Johano Strasser, Josef Haslinger und Regula Venske). Am Ende des Berichts wird bemerkt: „Aufgabe des PEN ist es, angesichts des Unsagbaren um Worte zu ringen, das geht nur in einer offenen Debatte, das geht nicht mit Rücktrittsforderungen.“ 

Genau der Meinung bin ich auch. Ja, offene Debatte, her damit! Um so bemerkenswerter ist es, dass PEN-Präsident Yücel, der sich noch im 3sat-Interview als Hüter „der Freiheit des Wortes und der Kraft des besseren Argumentes“ darstellte, dem Journalisten und PEN-Mitglied Volker Skierka und mir am Freitag einen Maulkorberlass durch den teuersten Medienanwalt Deutschlands zukommen ließ. Bevollmächtigt wurde Anwalt Schertz hinter dem Rücken des PEN-eigenen Justitiars auf der Basis eines fingierten Vorstandsbeschlusses – die Kosten soll der PEN, vulgo die Mitglieder, tragen.  

Dass Journalisten, die sich kritisch geäußert haben, mit Anwaltsbriefen eingeschüchtert werden sollen, ist etwas, was ich sonst nur aus der Praxis von Mafiosi, Oligarchen und korrupten Politikern kannte.

Aber man lernt ja immer dazu.

 

Update vom 7. April 2022:

Nachdem der PEN-Justiziar Klaus Uebe dem PEN-Präsidenten Yücel und seinen Mitstreitern bei einer Zoom-Konferenz am 28. März 2022 klargemacht hat, dass der Schertz-Brief an Volker Skierka und mich ohne rechtliche Relevanz ist und überdies auch noch vereinsrechtlich unrechtmäßig, weil er nicht von den zur Zeichnung befugten Präsidiumsmitgliedern unterschrieben wurde, wurde (der jahrzehntelang für den PEN pro bono arbeitende) Uebe zusammengebrüllt, fristlos entlassen und aus der Zoomkonferenz geworfen. 

To be continued …