Viele Mitglieder der Schriftstellervereinigung PEN haben aus Solidarität mit einem verfolgten Kollegen die Aufnahme des „Welt“-Journalisten Deniz Yücel in den PEN unterstützt und sich von seiner bald darauf folgenden Ernennung zum Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums Ende Oktober 2021 nicht zuletzt größere öffentliche Wahrnehmung für die Anliegen des PEN versprochen: das Engagement für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und für die Freiheit der Literatur. Zu einer größeren Wahrnehmung kam es tatsächlich auch. Aber anders als gedacht.
Anfangs waren es nur einige Tweets, die Verwunderung auslösten. Als Deniz Yücel auf Twitter Anna Baerbock in einem Tweet am 23. November angriff: „Das Auswärtige Amt als Kurbad, um die Wunden aus dem Wahlkampf zu heilen, auf dass @ABaerbock von allen geliebt wird – ich glaube: keine so gute Idee. Nicht für Frau Baerbock, nicht für die deutsche Außenpolitik, nicht für jene, für die sich dieses Amt nützlich machen könnte“. Oder als er ebenda pöbelte: „Falls der Gemeinderat von Elxleben der Forderung nach Kita-Umbenennung – Faschingsverein statt Anne Frank – zustimmt, würde ich als Präsident des @PEN_Deutschland die Umbenennung von Elxleben fordern: Schlusssstrichdorf, Vogelschisshausen oder Deppleben“. (Tweet vom 30. November). Da dachten viele noch: Okay, er hat seine Rolle missverstanden oder noch nicht in sie hineingefunden, sonst wüsste er, dass er Kraft seines Amtes für alle Mitglieder des PEN spricht, die – möglicherweise – weder seine Sprache noch seine politische Meinung teilen. Dass sich dahinter aber kein Ausrutscher, sondern eine Geisteshaltung verbirgt, wurde klar, als unter den Mitgliedern des PEN eine E-Mail-Korrespondenz bekannt wurde, die „versehentlich“ verschickt wurde – womöglich gar in der Absicht, dass die Betroffenen daraufhin ihren Rücktritt einreichen würden.
Tatsächlich zog die Korrespondenz weite Kreise unter den PEN-Mitgliedern, die entsetzt nachlesen konnten, wie das von Deniz Yücel geleitete Präsidium versuchte, den gerade in Frankfurt wiedergewählten Generalsekretär Heinrich Peuckmann, die von der Position der Beisitzerin in das Amt der Writers-in-Exile-Beauftragten beförderte Kollegin Astrid Vehstedt und die Angestellten des PEN-Büros in Darmstadt mittels einer Intrige loszuwerden – obwohl nicht ersichtlich war, was diese sich zuschulden kommen gelassen hätten. Geplant war, sie mittels eines Tribunals zum Rücktritt zu zwingen („Ehrengäste für diesen Tag unbedingt ausladen!“), wobei der Mailaustausch Einblick in ein Präsidium erlaubt, das Menschen als „Elefanten“ und „Flusspferde“ bezeichnet, sie diskriminiert („sein Alter macht es leichter, ihm den Rücktritt nahezulegen“) und Mobbing betreibt („ebenso, dass wir nicht vorschnell Appellen zur Verständigung – etwa aus dem Munde der Silberrücken – nachgeben“), welches eine Verschlagenheit offenbarte, die einer Netflix-Serie angemessen gewesen wäre – nicht aber dem PEN, einer Schriftstellervereinigung, die sich mit ihrer Charta dazu verpflichtet, jedwede Form von Hass zu bekämpfen und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu arbeiten. Daraufhin stellten langjährige und renommierte PEN-Mitglieder (Stand Sonntagmittag sind es fünfzig, Tendenz steigend) dem Präsidium einen Abberufungsantrag – auf den das Präsidium unter Yücel mit einem „Demutsschreiben“ antwortete, in dem das Wort „Demut“ zur Hülse degradiert wurde, wie es die Presseabteilung des Vorstands eines Wirtschaftsunternehmens nicht besser hätte formulieren können.
Auf der Lit-Cologne und im Gorki-Theater verstieg sich Yücel in abenteuerliche militärstrategische Ausführungen, woraufhin fünf ehemalige PEN-Präsidenten (Christoph Hein, Gerd Heidenreich, Johano Strasser, Josef Haslinger und Regula Venske) Yücel ebenfalls zum sofortigen Rücktritt aufforderten, da er Befugnisse seines Amtes überschritten und gegen die Charta des Internationalen PEN verstoßen habe. Auch das hinterließ wenig Eindruck, viel mehr wähnte sich Yücel als ein in seiner Freiheit des Wortes und Solidarität gegenüber der Ukraine beraubtes Opfer. Gerade in diesen Zeiten hätten sich die meisten PEN-Mitglieder einen auf Ausgleich bedachten Präsidenten gewünscht, einen, der es nicht darauf anlegt, den ganzen PEN in Flammen aufgehen zu lassen, sondern der vermittelt und sich für die Sache der Literatur ins Zeug legt.
Petra Reski lebt als Autorin in Venedig und ist Mitglied des PEN-Zentrum Deutschland, das 1924 gegründet wurde und seinen Sitz in Darmstadt hat.
Dieser Artikel erschien in der FAZ vom 20.03. 2023
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