Am Anfang stand der Betrug

Vor ein paar Tagen hat sich die Tageszeitung Domani bei seiner Berichterstattung über die Interessenkonflikte und Täuschungsmanöver unseres Bürgermeisters daran erinnert, dass er nur durch einen Betrug an die Macht gekommen ist: Bei der Bürgermeisterwahl 2015 lag sein Gegner, der ehemalige Staatsanwalt Felice Casson vorn. Brugnaro gewann die Stichwahl nur, weil er ein Referendum über die Autonomie Venedigs und Mestres versprach.

So kam er in den Genuss der Stimmen vieler Venezianer, die seit Jahrzehnten vergeblich um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen: Außerhalb von Venedig ist kaum bekannt, dass es der Faschismus war, der die Stadt zu dieser Zwangsehe mit dem Festland verurteilte – die nicht nur für Venedig, diese Gans, die goldene Eier legt, verheerend ist, sondern auch für Mestre, das als arme Verwandte von Venedig betrachtet wird und mit Hotelsilos in eine Schlafstadt verwandelt wurde, deren Straßen abends den Dealern und den Prostituierten gehören.

Kaum gewählt, trat Brugnaro das Selbstbestimmungsrecht der Venezianer mit den Füßen. Denn wären Venedig und Mestre autonome Gemeinden, könnten die Wähler ihre Politiker besser kontrollieren. Venedig könnte bei der Europäischen Union einen Spezialstatus beantragen, der der Stadt aufgrund der Insellage zustünde, nicht aber, wenn es zusammen mit dem Festland regiert wird. Mestre würde weniger Steuern bezahlen, könnte ein eigenes Wirtschaftskonzept entwickeln und Gelder bei der Region Veneto beantragen, die ihm als Anhängsel Venedigs nicht zustehen. Eigentlich eine Win-Win-Situation für alle. Außer für die Politiker.

Folglich haben sich die ehemaligen Bürgermeister (Cacciari, Orsoni, Costa) einschließlich dieses Forza-Italia-Clowns mit Brugnaro zusammengetan und die Bürger aufgefordert, nicht am Referendum teilzunehmen. So viel zum Demokratieverständnis venezianischer Politiker.

Das letzte, 2019 erstrittene Referendum wurde von Bürgermeister Brugnaro erbittert bekämpft: Er schickte Gemeindepolizisten in Mannschaftsstärke in die Häuser der Venezianer, um die Banner mit dem „Sì“ zur Autonomie zu entfernen. Daraufhin hängen die Venezianer weiße Bettlaken raus. Mit „Sì“.
Im gesamten Gemeindegebiet der Kommune Venedig siegte das Ja mit 66,11 Prozent der Stimmen. In Venedig selbst, das von der Stadtverwaltung ebenso hartnäckig wie irreführend als »Altstadt« bezeichnet wird, stimmen sogar 83,45 Prozent aller Wähler für die Loslösung vom Festland. Und als Stimmen der direkt Betroffenen (vom Hochwasser, vom Overtourism, vom Ausverkauf der Kulturgüter, von der Airbnb-Pest) sind diese 83,45 Prozent praktisch ein Plebiszit für die Loslösung.Interessant auch das Ergebnis von Mestre, wo man ebenfalls unter Airbnb und den soeben erbauten Billighotel-Silos leidet: Selbst hier gewinnt das Sì mit 51,25 Prozent.

Alles gut? Im Prinzip ja, wenn es hier in Venedig mit rechten Dingen zugehen würde. Schon am nächsten Tag wurde das Ergebnis von der Lokalpresse (den journalistischen Lakaien der italienischen Einheitspartei: Man muss es leider so sagen, auch wenn es mich als Journalistin schmerzt) zum Flop erklärt, weil die Wahlbeteiligung niedrig war. Wobei sie natürlich verschwiegen haben, dass es bei einem konsultativen Referendum gar kein Quorum gibt.

Seitdem wird Venedig weiter vergewaltigt. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf.