Märchenstunde und kein Ende.

Diesen Satz aus meinem Buch kennen Sie möglicherweise. Leider hat er in diesen Tagen wieder eine unglaubliche Aktualität erlangt – als es fast keine Tageszeitung ausgelassen hat, die angebliche „Verbannung“ der Kreuzfahrtschiffe aus Venedig zu bejubeln,  die Frankfurter Allgemeine verstieg sich gar in die Behauptung, dass die Kreuzfahrtschiffe praktisch am Markusplatz angelegt hätten. 

Gegen diese Art von Fake-News kämpfe ich schon seit Jahren an, und als Journalistin wünsche ich mir, dass die Kollegen wenigstens ein Minimum an Recherche aufbringen würden, bevor sie die Meldungen der italienischen Regierung ungeprüft weiter verbreiten. Die Kreuzfahrtschiffe haben nie in der Nähe des Markusplatzes angelegt, sondern am Passagierhafen, und die Kreuzfahrtschiffe werden in Venedig keineswegs verbannt, theoretisch war die Durchfahrt des Giudeccakanals (und damit die mit Blick auf den Markusplatz) für Schiffe über 40 000 Bruttoregistertonnen (Schiffe von 40 000 Bruttoregistertonnen sind übrigens nicht klein: Die Titanic war 46 000 Bruttoregistertonnen schwer) schon seit 2013 verboten. Praktisch aber nicht, weil das Verwaltungsgericht die Verordnung kippte.

Jetzt sollen die Schiffe über 40 000** Bruttoregistertonnnen im Industriehafen Marghera anlegen – alle anderen nach wie vor im Passagierhafen. Das ist nichts als Sand in den Augen, weil die großen, über 40 000 BRT schweren Kreuzfahrtschiffe dann über den Kanal für Erdöltanker einfahren, was für die Lagune genauso verheerend ist. Letztlich wird das Problem nur bis zum Ende der Pandemie vertagt, im Moment* fahren ohnehin keine Kreuzfahrtschiffe. Und dann lauert da noch das Megaprojekt »Duferco«: eine Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe am Rand der Lagune. Die dazu führen wird, dass der Lagunengrund ausgegraben und Heerscharen von Kreuzfahrttouristen die Lagune auf Motorbooten durchpflügen und ihr damit den Todesstoß versetzen würden. Verstehe schon, dass Venedig+Kreuzfahrtschiffe immer eine Meldung wert sind, aber eine Mini-Recherche würde auch nicht schaden.

Die Süddeutsche Zeitung war fast etwas spät dran, mit ihrer Lobhudelei. Schön dabei der Satz: „Die Industriestadt liegt auf dem italienischen Festland, aber eben doch in der Lagune, gerade ideal ist das also nicht.“ Ein Satz, der fast aus der Sonntagsrede eines Politikers stammen könnte, nach dem Motto: „Wir haben uns bemüht!“.

Nun denke ich, dass es nicht unbedingt die Aufgabe von Journalisten ist, Sonntagsreden zu halten. Indes hören wir in Venedig – zu unserer großen Verwunderung – die gleichen Sonntagsreden sogar aus dem Megafon der Gegner der Kreuzfahrtschiffe, dem Comitato No Grandi Navi. Vermutlich haben viele Journalisten daraufhin auch auf das gleiche Pferd gesetzt. Zumal sie mancherlei Hintergrund nicht kennen – als da wäre, dass das Comitato No Grandi Navi die Kreuzfahrtschiffe in der venezianischen Lagune keineswegs rundweg bekämpft. Es bekämpft sie – ein bißchen. Das liegt daran, dass das Comitato No Grandi Navi weniger eine Bürgerinitiative ist, als praktisch eine politische Partei und sich deshalb aus vielen unterschiedlichen „Strömungen“ zusammensetzt. Man könnte auch sagen: Es versucht, seinen Hintern auf mehrere Stühle zu setzen. Der eine Stuhl ist der der Umweltschützer, der Fridays-For-Future-Anhänger, die der Meinung sind, dass Kreuzfahrtschiffe weder etwas in Venedig, noch sonstwo auf der Welt etwas zu suchen haben. Der andere Stuhl ist der der Gewerkschafter alter Schule, denen der Umweltschutz nur insofern wichtig ist, als damit kein Verlust an Arbeitsplätzen einhergeht. Und weil es so schwierig ist, auf zwei Stühlen zu sitzen, rutscht das Comitato No Grandi Navi jetzt etwas herum und versucht einen Sieg für sich zu reklamieren, auch wenn sie wissen, dass es sich hierbei um keinen Sieg handelt, wenn die Kreuzfahrtschiffe unter 40 000 Bruttoregistertonnen weiter im Markusbecken einfahren, und die anderen über den Canale dei Petroli, somit dennoch in der Lagune einfahren.

Der von der Regierung ausgerufene „Ideenwettbewerb“ für eine Anlegestelle off-shore, an der Küste oder sogar am Rand der Lagune ist – besonders angesichts eines Milliardengrabs wie dem Flutsperrwerk, kein Hoffnungsschimmer, sondern eher eine dunkle Wolke am Horizont. Weil jeder der 5000 und mehr Passagiere nur ein einziges Ziel hat: So schnell wie möglich nach Venedig zu kommen.

Das nur nebenbei aus dem zur Zeit menschenleeren Venedig – ich wünsche allen Bloglesern schöne Ostern und hoffe nach wie vor, dass es irgendwann wirklich ein Ende haben wird, mit den Kreuzfahrtschiffen in Venedig!

*Nachtrag vom 3. Juni 2021: „Im Moment“ stimmt schon jetzt nicht mehr, weil heute morgen schon das erste Kreuzfahrtschiff, die MSC Orchestra, wieder in Venedig eingefahren ist.

** Nachtrag vom 31. Juli 2022: Seit Juli 2021 dürfen nur noch Kreuzfahrtschiffe bis zu 25 000 Bruttoregistertonnen den Giudecca-Kanal durchqueren (und damit am Markusplatz vorbeifahren):