Ich freue mich, dass sich das deutsche Fernsehen mal wieder der Mafia in Deutschland, speziell der im Osten zuwendet. Die verdienstvolle Arbeit von Axel Hemmerling, Ludwig Kenzia und David Klaubert kann gar nicht genug gelobt werden. Was mich allerdings beunruhigt, ist, dass wir nichts Neues erfahren. Über die Umstände und Protagonisten der mafiösen „Kolonisierung“ des Ostens samt der Operation Fido und habe nicht nur ich berichtet („Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“, 2008, „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“. 2010, „Mafia. 100 Seiten“ 2018), sondern kurz nach mir auch ebenso verdienstvolle Journalistenkollegen wie der kürzlich verstorbene Jürgen Roth und Francesco Forgione. Wir drei sind für unsere Berichterstattung verklagt worden, und ich weiß noch, wie sehr ich mich darüber gewundert habe, dass die deutschen Gerichte die doch sehr aufschlussreichen Akten der Operation FIDO gar nicht zur Kenntnis nehmen wollten.
Als jemand, der seit 1989 über die Mafia schreibt, bleibt es nicht aus, dass mir viele Sätze bekannt vorkamen. Nicht nur die Worte des ehemaligen Erfurter Bürgermeisters, der nichts Skandalöses darin sehen will, dass in seiner Stadt Mafiagelder investiert wurden, wie er schon 2008 in der ZDF-Dokumentation „Im Netz der Mafia“ (Autoren: Ulrike Brödermann und Philipp Zahn) kund gab und kurioserweise auch bei der bizarren Buchvorstellung 2008 in Erfurt anwesend war, in dessen Verlauf ich bedroht wurde und dieser ehemalige Erfurter Bürgermeister die Gelegenheit nutzte, mich als geistige Urheberin der aufschlussreichen ZDF-Dokumentation über die Mafia in Duisburg und Erfurt zu beschimpfen. Dass er sich auch heute nicht über die in Erfurt investierten Mafiagelder empören will, kann also nicht erstaunen.
Was mich viel mehr bestürzt, ist, dass wir Journalisten uns 30 Jahre nach Falcone und Borsellinos Ermittlungen zur Mafia in Deutschland immer noch im Kreise drehen. Was für einen Erkenntnisgewinn soll der deutsche Zuschauer aus den goldenen Wasserhähnen und den Bunkern der Bosse in San Luca ziehen? Muss es immer noch deutsche Ermittler geben, die vor der Kamera frohgemut die Beweislastumkehr mit der Unschuldsvermutung zu rechtfertigen versuchen, ohne dass sie jemand darauf aufmerksam macht, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat? Müssen wir wirklich immer noch darüber reden, dass Deutschland kein Rückzugsraum, sondern Aktionsraum ist? Sollen wir allen Ernstes immer noch glauben, dass es ein „Mentalitätsproblem“ sei, wenn in Deutschland bis heute keine Antimafia-Gesetze existieren?
Wäre es nicht dringend notwendig, Fortbildungskurse für deutsche Zivilrichter einzurichten, damit ihnen klargemacht wird, dass die Mafia global agiert und in Deutschland seit den sechziger Jahren zu Hause und der „Kampf gegen die Mafia“ keine Modeerscheinung ist, sondern ein Kampf um Demokratie? Weil die Mafia eine Verbrechensindustrie ist und aus dem Zusammenschluss aus illegalem und legalem Kapital eine neue Wirtschaftsform entstanden ist? Weil es Unternehmer, Politiker und Staatsbeamte gibt, die als Scharnier zwischen der Welt der Politik und der Mafia funktionieren?
Was für einen Sinn hat es, als Journalist stolz darauf zu sein, für einen Bericht nicht verklagt zu werden, weil man den Mafiosi vorher einen Brief geschrieben hat? Wäre es nicht vielleicht viel sinnvoller, wenn Journalisten endlich mal gegen ein realitätsfernes Pressegesetz protestierten?
Und: Wäre es nicht viel mehr an der Zeit, unsere Politiker endlich dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass sie der Mafia praktisch fünfzig Jahre lang Tür und Tor geöffnet haben, bis Deutschland zur europäischen Lachnummer verkommen ist? Aufzuarbeiten, wie es war, als sich nach dem Mauerfall ehemalige Stasi-Mitarbeiter mit „Wessis“ zusammentaten, um gemeinsam und erfolgreich Geschäfte mit Mafiosi zu führen? Darzulegen, wie es zu den Immobiliengeschäften im Osten kam, bei denen DDR-Bürger enteignet wurden? Zu den Investitionen, den Treuhandgeschäften? Zur „schützenden Hand“ der Justiz?
Von wegen goldene Wasserhähne.