Bloß keinen Streit vermeiden – in den Socials scheint das ein weit verbreitetes Glaubensbekenntnis zu sein. Ganz anders ist das in den etablierten Medien, wo ein solcher Gleichklang herrscht, dass ihn der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl kühl Herdentrieb genannt und zu ergründen versucht hat: „Streitlust und Streitkunst“ heißt das Buch, das von dem emeritierten Professor für Journalistik und Medienmanagement der Universität Lugano herausgegeben wird und für das ich ein Kapitel über die deutsche Italienberichterstattung geschrieben habe.
Dabei habe ich mich auch der Kuriosität gewidmet, dass sich – wie man an dem Beispiel der vertrockneten Olivenbäume in Apulien sehen kann – die gleichlautende Berichterstattung nicht nur auf die italienische Innenpolitik beschränkt: Ungeachtet der erstaunlichen Ergebnisse staatsanwaltlicher Ermittlungen, die Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Forscher und Agrarmultis offenlegten, lautet das seit Jahren von den italienischen Medien verbreitete Dogma: »Es gibt keine Rettung für die Olivenbäume«.
Dem schlossen sich via Copy&Paste auch die deutschen Medien an, vom Spiegel (»Wie ein Bakterium Süditaliens Olivenhaine dahinrafft. Xylella fastidiosa tötet massenhaft Olivenbäume in der Region Apulien) – über die Süddeutsche Zeitung (»Die Olivenseuche: Ein exotisches Bakterium zerstört die Olivenhaine Apuliens und damit ein wertvolles Kulturgut. Die Bevölkerung versteigt sich zu wilden Verschwörungstheorien, sogar Forscher werden verdächtigt«) bis zur ZEIT: »Die Ölkrise. Eine rätselhafte Seuche tötet Apuliens Olivenbäume. Ist sie noch aufzuhalten?«
Wie bedeutend die Rolle der Journalisten bei der Etablierung des dominanten Narrativs ist, erschließt sich auch daraus, dass der Agrarmulti Monsanto offenbar Listen mit Kritikern führte – unter denen sich übrigens auch Deutsche befanden.
Ich habe die Xylella-Geschichte über Jahre verfolgt und darüber nicht nur in meinem Blog, sondern auch in Focus, Mare und zuletzt in GEO geschrieben – die alle glücklicherweise auch an einer anderen Sicht interessiert waren. Dass aber unter den Kollegen bis auf Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung niemand Zweifel an der Xylella-These geäußert hat, liegt vermutlich daran, dass die meisten keine Recherchen machen – und einfach die Berichterstattung aus Repubblica+Corriere+LaStampa übernehmen. Andere waren vor Ort, sprechen kein Italienisch (warum auch?) und haben sich auf die vorliegende Berichterstattung verlassen – wie wohl auch der Autor des kürzlich gesendeten Dokumentation auf Arte: Angesichts des Titels „Italiens Olivenbäume in Gefahr. Killer-Bakterium breitet sich aus“, ahnte ich schon, dass hier das wiedergekäut wird, was schon umfangreich – und ohne jeden Erkenntnisgewinn – von den Printmedien verbreitet wurde: Es gibt keine Rettung, böses, böses Bakterium, Olivenbäume müssen gefällt werden.
Blöd war nur, dass ich ziemlich viel Zeit in einen langen Mailaustausch mit dem Autor gesteckt hatte, weil ich leichtsinnigerweise – immer noch die Hoffnung hatte, dass es Journalisten geben möge, die den Namen verdienen. Lese ich die Mails noch mal, nachdem ich diesen komplett einseitigen und oberflächlichen Film gesehen habe, der dem Zuschauer suggerieren soll, dass das Fällen der Olivenbäume die einzige Möglichkeit ist „das Bakterium in Griff“ zu kriegen, dann wird offensichtlich, dass die Stoßrichtung des Films schon klar war, bevor die Dreharbeiten begannen. Etwa, wenn eine Redakteurin dem Autor zu bedenken gibt: „Arte besteht ja immer auf einen bestimmten Ausgang der Handlung – also worauf läuft die Geschichte hinaus, haben wir ein (positives?) Ende der Story oder bleibt es nicht auf Jahre offen?“
Tja, für das „positive Ende“ hat der Film ja gesorgt, indem klar gemacht wird, dass hier so schnell wie möglich abgeholzt werden muss, beziehungsweise die „resistenten Sorten“ gepflanzt werden, die keineswegs resistent sind, aber gut, mit solchen Kleinigkeiten kann sich der Film nicht aufhalten. Auch nicht mit den Interessenkonflikten, die sich hinter der Propagierung der Abholzung und hinter Protagonisten wie Donato Boscia verbergen. Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass die Universität Bari, die Abteilung für nachhaltigen Pflanzenschutz in Bari (IAMB), das Institut für mediterrane Landwirtschaft in Bari und das Agrarforschungsinstitut bereits ein Jahr vor der „Entdeckung“ der Xylella ein Abkommen mit dem Agrarmulti Agromillora über die Entwicklung einer neuen, industriell anbaufähigen Olivensorte vorgeschlagen und 2013 geschlossen haben, das ihnen 70 Prozent der Lizenzgebühren garantiert.
Denn, so schrieb der Autor: „Alle von der ‚wissenschaftlichen Seite‘ wollen bei der Reportage nur dann mitmachen, wenn wir ihnen schriftlich garantieren, daß wir mit den ‚Idioten von der Öko-Fraktionen‘ nicht sprechen, Dabei fiel bei Melcarne auch dein Name, ohne daß wir dich erwähnt hätten. Jedenfalls wollen sie ‚weiter keine Zeit verlieren, um sich mit deren Argumenten auseinanderzusetzen, das behindere ihren wissenschaftlichen Kampf gegen das Bakterium.“ (Zeichensetzung wie im Original)
So wie der Film aussieht, hat sich für „die von der wissenschaftlichen Seite“ der Deal mit der schriftlichen Garantie definitiv gelohnt. Wobei auch unter den Tisch fällt, dass die „wissenschaftliche Seite“ keine ist, wenn es um Figuren wie den Olivenölunternehmer Giovanni Melcarne geht, der als Großbauer und Olivenölproduzent zu den größten Nutznießern nicht nur der öffentlichen Fördergelder, sondern auch der bevorstehenden Umgestaltung der Kulturlandschaft des Salento gehört – und in nahezu jedem deutschsprachigen Artikel über die apulischen Olivenbäume auftaucht (vgl. unter anderem Spiegel online, Brand eins und das Online-Magazin Republik), wo er es schafft, den Anbau die beiden intensiv anzubauenden Olivensorten anzupreisen.
Natürlich erfährt auch kein Zuschauer der Arte-Dokumentation, dass die Wissenschaftler in ihren internen Mails (nachzulesen in den Akten des Gerichts von Lecce) mit Belustigung zugeben, genau zu wissen, dass das Feuerbakterium allein nicht das Vertrocknen der Olivenbäume verursache: „… und in 15 Jahren schreibst du dann eben, dass die Xylella nicht pathogen ist (aber das wissen wir ja schon, na und?)“, schreibt der „Entdecker“ der Xylella fastidiosa, Donato Boscia, an seine Mitarbeiterin Maria Saponari.
Und Michele Emiliano, der Ministerpräsident Apuliens, dem man gewiss nicht vorwerfen kann, ein Gegner der Baumfällaktionen zu sein, sagte: „Jetzt scheint es so, als befänden sich alle gleichermaßen in Erwartung eines Riesenhaufens Geld für das Fällen und die Neupflanzung der Bäume. Und dann ist die Frage, auf die Spitze getrieben, die folgende: Was passiert? Ich befürchte, wenn jemand morgen daherkommen und sagen würde: Ich habe die Behandlungskur für das Feuerbakterium gefunden – dann wird der umgebracht. Ich weiß nicht, ob ich noch deutlicher werden soll … im Sinne von … dass sich jetzt eine Reihe von Möglichkeiten ergeben, die in dieser Pflanzenkrankheit sogar einen Auslöser zur Neugestaltung der Landwirtschaft sehen. Ist das klar?“
Aber Arte kann zufrieden sein, das „positive Ende“ ist ja garantiert, und ein Fact-Checking wäre dabei nur störend gewesen.
Margherita Ciervo, Geografin der Universität von Foggia, hat in ihrem Aufsatz „Das Vertrocknen der Olivenbäume in Apulien. Beweise, Widersprüche, Anomalien, Szenarien. Ein geographischer Standpunkt“ die Geschichte rund um die Xylella noch einmal gründlich analysiert und mit Daten und Fakten belegt, die für die journalistische Arbeit unerlässlich sind. In ihrer ihrer Analyse hat sie noch mal klar gemacht, wie wichtig die Rolle der Medien bei der Verbreitung des einseitigen Narrativ war (und ist):
In all diesen Jahren war die Divergenz zwischen Tatsachen und der Darstellung von Tatsachen eine Konstante, die diese Geschichte begleitet hat, aber allmählich hat sich – aus einer entschieden heimtückischeren Morphologie heraus – eine weitere Grenze zwischen Wissenschaft und der Darstellung von Wissenschaft herausgebildet.
Diese, von und durch die Medien propagierte, reduziert die Wissenschaft auf ein „Dogma“, indem sie die Diskussion zwischen denjenigen, die an die Wissenschaft „glauben“, und denjenigen, die nicht an sie glauben, polarisiert, in einem offensichtlichen Oxymoron, das einerseits die eigentlichen Grundlagen der wissenschaftlichen Methode leugnet, und andererseits einen eigentlichen Glaubensakt erfordert.
Es leugnet das divergierende Denken, verspottet und verunglimpft jeden, der anderer Meinung ist, oder formuliert sogar nur Fragen, die die vorkonstituierte These in Zweifel ziehen können; es verachtet und vermeidet systematisch den Vergleich und reduziert ihn auf eine triviale dichotome Darstellung zwischen „gut“ und „schlecht“ (erstere betrachten die Xylella fastidiosa als Ursache für die Austrocknung, letztere bezweifeln, dass sie der Hauptgrund für die Austrocknung ist).
Obskurantisten vs. Progressive (etwa die Justiz, die es wagt, die Arbeit derjenigen zu untersuchen, die berufsmäßig forschen); Wunderheiler/Hexer (gemeint sind diejenigen, die versuchen, Strategien zur Eindämmung oder Heilung der Austrocknung vorzuschlagen, auch wenn sie ihrerseits Wissenschaftler mit spezifischen Fähigkeiten sind); Leugner vs. Wahrheitsverkünder (auch wenn es letztere sind, die den Widerspruch vermeiden und systematisch den Wert erfolgreicher Strategien zur Eindämmung der Austrocknung sowie die Möglichkeit des Vergleichs leugnen).
Diese Neigung – die natürlich der Wissenschaft, der Information oder der Demokratie keinen guten Dienst erweist – legt weiterhin Schleier über Schleier über die Wahrheit, nach deren Kenntnis sich jeder, dem die Erde und sein Schicksal am Herzen liegt, sehnt. Und genau in dieser Verschleierung und in dem Willen, zu versuchen, die Schleier zu lüften, liegt die tiefe Bedeutung dieses Werkes.