Nachdem praktisch jede Zeitung der Welt bereits den Einsatz von Mose, der Fluttore in Venedig, bejubelt hat – das Ganze weitgehend unbelastet von einer Recherche, an deren Ende man womöglich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre – hatte ich eigentlich schon keine Lust mehr, wieder Kritik am journalistischen Herdentrieb zu üben. Aber dann dachte ich: Venedig hat das nicht verdient.
Ende 2021 soll Mose fertig sein. Sicher, alle Venezianer sind froh über jedes Hochwasser, das verhindert wird. Aber „Es funktioniert!“ zu jubeln, wenn Mose nach siebzehn Jahren Bauzeit, acht Milliarden Euro (davon eine für Schmiergelder) endlich bei Hochwasser zu Testzwecken eingesetzt wird, ist, als würde man bejubeln, dass eine Brücke nicht einstürzt, wenn zum ersten Mal Autos auf ihr fahren.
Ein paar Kleinigkeiten wären erwähnenswert, etwa, dass es sich nicht um einen echten Testlauf handelt, denn der würde auch die Anwesenheit externer Prüfer voraussetzen. Im Grunde wird hier nur das Minimum vorgeführt – und selbst das (ob sich tatsächlich jedes Mal alle 78 Fluttore heben und nicht verklemmen, wegen des eingelagerten Sands der Tore bei Punta Sabbioni – Nomen est Omen), ist noch fraglich, denn der dritte, eigentlich vorgesehene Test wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
Alle hier bleiben skeptisch: Was wird eine regelmäßige Schließung der Fluttore für die Ökologie der Lagune bedeuten? Denn schließlich ist die Lagune keine beliebig zu nutzende Verkehrsfläche, sondern ein lebendiger Organismus. Und: Was passiert bei einer Sturmflut wie jener vom November 2019? Wie lange wird es gut gehen? Werden die Scharniere (bei denen, was Gegenstand von Ermittlungen ist, minderwertiger Stahl eingesetzt wurde) auch bei einer Sturmflut wie der vom November letzten Jahres halten?
Und auch: Ab wann sollen sich die Fluttore heben? Eigentlich sollten sie sich – wenn das Ganze fertiggestellt ist, ab einem Hochwasser von 1,10 Meter heben. Nimmt man die Hochwasser des Herbsts 2019 als Beispiel, hätte das bedeutet, dass die Fluttore 28 Mal schließen müssten.
Bei den letzten beiden Tests in diesem Herbst blieb die Lagune einmal neun Stunden geschlossen, das zweite Mal acht Stunden: Ein Riesenproblem für den Hafen, denn die Schiffe können dann nicht in die Lagune einfahren: Es kam zum Stau auf dem Meer. Die Schleusenkammer, durch die Schiffe auch bei geschlossenen Fluttoren in die Lagune gelangen sollten, erwies sich erstens als zu klein für Containerschiffe und wurde zweitens kurz nach ihrem Bau von der ersten Sturmflut weggespült.
Folglich plädiert der Hafen nun dafür, die Schleusentore erst ab einem Hochwasser von 1,30 Meter zu schließen. Das wiederum hätte zur Folge, dass Venedig bei „normalen“ Hochwassern weiterhin unter Wasser stehen würde.
Also wird daran gedacht (gedacht!) eventuell einen Off-Shore-Hafen einzurichten. Wenn man bedenkt, dass der Bau von Mose 17 Jahre gedauert und rund acht Milliarden Euro gekostet hat, erscheint der Bau eines Off-Shore-Hafens als eine eher bedrückende Vorstellung.
Angesichts des steigenden Meeresspiegels müsste die Schleuse bald praktisch jeden Tag schließen, sagen Wissenschaftler voraus – und ohne den ständigen Austausch mit dem Meer würde sich die Lagune in eine Kloake verwandeln: Bei jeder Schließung der Fluttore wird der Sauerstoff der Lagune schnell verbraucht. Wie bei einem Aquarium, wenn die Sauerstoffpumpe nicht funktioniert.
So viel zu „Es funktioniert“.