So kannte ich sie: Am Telefon mit irgendwelchen Korrespondenten-Koryphäen, die in Hongkong oder Moskau oder Paris saßen und aus denen sie dank ihrer unnachahmlichen Husumer Schnoddrigkeit in zwei Sätzen die Luft ließ. Sie ließ sich weder von Chefredakteursdarstellern noch von Kriegsreportern beeindrucken. Zumal nicht von denen, deren Reportagen mit Dumpf knirschte der Kies unter den Hufen meines Mulis begannen. Ganz zu schweigen vom Elendsporno-Sound, der manchem nur so aus der Feder floss: Zwei Hände wie ausgedörrtes Leder. Ein Gesicht, zerknittert wie Papier. Gierige Augen. Dumpfes Betteln.
Okay, sie gab das ein, ins System, weil das nun mal ihre Aufgabe war, als Sekretärin im STERN-Auslandsressort. Aber das hinderte sie nicht daran, eine Meinung zu haben, zu guten und zu schlechten Texten. Und zu guten und schlechten Reportern, auch weil sie vermutlich mehr Literatur gelesen hatte, als manch rasender Reporter. Sie sprach uns Mut zu, wenn wir in irgendwelchen Hotels im Irgendwo rumhingen und auf irgendwas warteten. Und da war es dann egal, ob wir zu den guten oder den schlechten Reportern gehörten. Und dafür liebte ich Gisela. Und nicht nur ich, sondern auch diejenigen, die das nicht zugegeben hätten.
Weil ich direkt von der Journalistenschule kam, befand ich mich am unteren Ende der Rangordnung des STERN-Auslandsressorts, als Reporterin zuständig für kommunistische Regime im November, afrikanische Bürgerkriege und Katastrophen, die an Feiertagen stattfanden. Und es war Gisela, die meine Mutter vor meiner ersten großen Afrika-Reportage anrief und ihr sagte, dass sie sich keine Sorgen machen müsste, wenn ich in den Sudan fliegen würde, okay, eine Reportage im Sudan sei vielleicht etwas anstrengender als eine im Bayerischen Wald, aber ich würde das schon hinkriegen. Gisela war es dann auch, die mir später eine Packung Tempotaschentücher reichte, als meine Sudan-Geschichte bei der Aktualisierung des Hefts rausflog, weil dieser Hoechst-Manager im Libanon blöderweise freigelassen worden war.
So etwas verbindet – weshalb wir auch nach meiner Zeit beim STERN Freundinnen blieben. Und auch nach ihrer Zeit beim STERN, nachdem Gisela nach Ahrensburg zog – in die Nähe ihrer Tochter und Enkelkinder, wo sie nicht in irgendeiner seelenlosen Doppelhaus-Siedlung lebte, sondern in der Allmende Wulfsdorf, einem selbstverwalteten Dorfprojekt. Was zu Gisela passte, die schon eine Grüne war, bevor es ein Wort dafür gab.
Sie besuchte mich oft in Venedig. Einmal sogar zusammen mit ihrer Mutter, die Gisela bis ins hohe Alter pflegte. Oft wohnte Gisela in Dorsoduro im Hotel Alboretti und aß in der Trattoria Ai Cugnai, zumindest solange dort tatsächlich noch die beiden Schwägerinnen kochten, der die Trattoria ihren Namen verdankte. Dorsoduro war ein Stadtviertel, das sie liebte – wie gut, dass sie nicht mehr erlebte, wie es nach und nach seine Seele verlor.
Gisela kam immer im Herbst oder im Winter, wie jeder echte Venedig-Liebhaber lief sie stundenlang durch die Stadt, und ich erinnere mich noch an ihre von der Kälte und Venedig-Begeisterung geröteten Wangen, wenn sie von einem Gemälde in der Ca‘ Rezzonico oder von Tintenfischen auf dem Rialtomarkt berichtete. Sie nahm Anteil an Venedigs Hochwasserkatastrophe im letzten Jahr – und ich hätte mir so gewünscht, sie wieder hier zu sehen. Um einmal mit ihr eine Runde im Boot zu machen.
Obwohl unsere Leben nicht unterschiedlicher hätten sein können, gehörte sie zu den Freundinnen, zu denen der Kontakt nie abriss. Und auch jetzt kann ich noch nicht glauben, dass ich sie nicht mehr einfach anrufen kann, weil Gisela Krohn am 14. September 2020 gestorben ist. Betrauert von ihrer Tochter Hanna und ihren Enkelkindern Philine, Merle und Linus.
Möge Dir die Erde leicht sein, Gisela.