Neulich schrieb jemand auf Facebook : “Es gehört zur putzigen Tradition in Italien, dass die Mafia das Land regiert.” Es war ein Kommentar unter der Meldung der Süddeutschen Zeitung, dass Mafia-Bosse unter dem Vorwand des #Coronavirus in Hausarrest entlassen wurden. Offenbar fand der Kommentator die Angelegenheit lustig, was im Übrigen nicht mal verwunderlich ist, wenn eine Meldung wie diese im Vermischten zu finden ist, wo man ansonsten lesen kann, wie man in Japan Röhrenaale mit Facetime-Anrufen glücklich macht. Ja, die Mafia wird in Deutschland nach wie vor als unterhaltsames Kuriosum betrachtet.
Auch die FAZ berichtete über die Haftverschonung für die Bosse. Logisch. Denn natürlich ist es spektakulär, wenn fast 400 Mafiosi aus der Haft entlassen werden, darunter einige, die sich in Hochsicherheitshaft befanden, wie etwa der Boss Pasquale Zagaria, Bruder des Clanchefs der Casalesi.
Dass die Mafia Krisenzeiten für sich zu nutzen weiß, ist eigentlich ein Gemeinplatz. Die Mafia hat sich an Erdbeben und Überschwemmungen bereichert, sie hat an der Flüchtlingskrise verdient, logischerweise hat sie in der Coronakrise sofort ihre Chance gewittert – wobei das nicht nur Italien betrifft, sondern auch Deutschland: Die Financial Action Task Force, das wichtigste internationale Instrument zur Bekämpfung von Geldwäsche, wies auf die Gefahr hin, wenn bei der Verteilung des größten Rettungspakets der bundesdeutschen Geschichte im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise auf die sonst übliche Risikoprüfung verzichtet werden soll. Für Geldwäscher und Mafiosi eröffnet das auch in Deutschland grandiose Möglichkeiten für ihr bewährtes Geschäftsmodell.
Dass die Mafia in ihrem Ursprungsland noch kreativer ist, kann niemanden verwundern. Es fing an mit zeitgleichen Revolten zwischen dem 7. und 9. März in 22 italienischen Gefängnissen, bei denen 14 Menschen ums Leben kamen: Meutereien angeblich dagegen, dass die Besuchszeiten für die Familienmitglieder der Gefangenen wegen des Coronavirus vorübergehend ausgesetzt wurden. Revolten, hinter denen sich ganz offenbar die lange Hand der Mafia verbarg, wie hochrangige Antimafia-Staatsanwälte vermuteten.
Nino Di Matteo oder Nicola Gratteri äußerten sich bereits Anfang April negativ, als im Obersten Richterrat diskutiert wurde, welche Wirkung die Regierung-Vorschrift “Cura Italia” haben könnte, die mit Rücksicht auf die überfüllten italienischen Gefängnisse (49 000 Plätze für 61 000 Häftlinge) vorsieht, manche Reststrafen in Hausarrest umzuwandeln. Schon zu dieser Zeit machte Nino Di Matteo darauf aufmerksam, dass damit ein verhängnisvolles Signal gegeben werde: Wenn Häftlinge am Tag nach den von der Mafia orchestrierten Revolten in den Genuss von Haftverschonung kommen, sieht es am Ende so aus, als hätte der Staat der Mafia nachgegeben. Zumal die italienischen Gefängnisse auf dem Höhepunkt der Epidemie so ungefähr der sicherste Ort in Italien sind, angesichts der Tatsache, dass am 31. März von den 61 000 Inhaftierten lediglich 19 infiziert sind.
Auf jeden Fall werden 6000 Häftlinge aus der Haft in Hausarrest entlassen. Allerdings sind Mafiosi von der Haftverschonung ausdrücklich ausgenommen. Das ändert sich, als der Chef der Strafvollzugsverwaltung, Francesco Basentini, am 21. März in einem Rundschreiben die Gefängnisverwaltungen “dringlichst” aufforderte, den Strafvollstreckungsrichtern die Häftlinge zu melden, die über eine Reihe von Pathologien verfügen, die sie möglicherweise für eine Infektion mit dem Virus anfällig machen könnten. Ob sie zur Mafia gehören oder nicht, spielte keine Rolle.
Gesagt getan.
Als der Skandal in aller Munde war, musste der Chef der Strafvollzugsverwaltung zurücktreten – und Justizminister Bonafede versucht nun, die Mafiosi wieder zurück in den Knast zu schaffen, was praktisch unmöglich ist, weil die Justiz in Italien im Unterschied zur deutschen nicht weisungsgebunden ist.
Das allein könnte man unter dem Etikett “putzig” abhandeln. Wenn sich darunter nicht ein Eisberg verbergen würde.
Denn eigentlich war Nino Di Matteo als Chef der Strafvollzugsverwaltung vorgesehen – jedenfalls hatte Justizminister Bonafede ihm diesen Posten 2018 angeboten. Wie man sich unschwer vorstellen kann, waren die Mafiosi davon nicht begeistert – alles nur nicht Di Matteo, hieß es. In den Berichten der Gefängnispolizei GOM wurden ausführlich die Proteste der Bosse über die anstehende Ernennung Di Matteos zitiert.
Und offenbar ist dann etwas passiert, was Bonafede bis heute nicht erklären kann: Als Di Matteo ihm sagte, dass er sein Angebot annehmen würde, sagte Bonafede etwas in der Art, das für Außenstehende klingt wie “April, April”: Leider sei der Posten zwischenzeitig schon vergeben worden.
Vergeben wurde der Posten an besagten Francesco Basentini, der über keinerlei Antimafia-Erfahrung als Staatsanwalt verfügt, aber als gut vernetzt gilt mit dem Vize-Kabinettschef des Justizministers. Und dafür verantwortlich ist, dass fast 400 Mafiabosse ihren Geschäften jetzt von zu Hause aus per Smartworking nachgehen können.
Von Giulio Andreotti wird der Satz überliefert: “Schlecht zu denken ist Sünde. Aber meistens liegt man damit richtig.”
Natürlich ist die Entlassung der Mafiabosse ein Geschenk, von dem die Opposition nie zu träumen gewagt hätte, also für Salvini, die rechte Giorgia Meloni oder den greisen Berlusconi. Denn für die lief es überhaupt nicht gut, in der Zeit des Coronavirus: Keiner interessierte sich mehr für Migranten, Rassismus kam vorübergehend auch nicht so gut an, weil die Italiener allein mit ihrem Überleben beschäftigt waren. Alle bejubelten Conte für sein Management in Coronazeiten.
Und dann dies. Diese Gelegenheit, sich als Hüter des Gesetzes darstellen und gleichzeitig den Kopf des Justizministers fordern zu können. Gold wert.
Ende der Geschichte.
Fortsetzung folgt.