Liebe, hochgeschürzte (das ist jetzt nicht von mir, sondern von der Autokorrektur!) Blogleser! Gerne hätte ich ja eine „Neujahrsansprache“ gemacht, also so was wie La Merkel, mit Fahnenständer und Blumenbukett, aber das kriege ich jetzt auf die Schnelle nicht mehr hin. Deshalb kurz noch der bewährte Jahresrückblick! Wobei: „bewährt“ stimmt gar nicht, tatsächlich habe ich es nur ein einziges Mal gemacht, und das ist auch schon wieder zwei Jahre her … Man tendiert gelegentlich dazu, sich für gewissenhafter zu halten.
2019 war ein Jahr, das zumindest für Venedig nicht so toll war. Im Juni das erste Schiffsunglück der MS Opera und nur einen Monat später die Katastrophe Nummer zwei mit der MS Deliziosa. Im Herbst glimmte dann ein Hoffnungsschimmer auf, durch die Kampagne für die Volksabstimmung zur Autonomie von Venedig, während der die Venezianer zum ersten Mal seit Jahrzehnten euphorisch wirkten, ja, fast so, als hätte man ihnen eine Defibrillator auf die Brust gesetzt. Und kaum waren wir elektrisiert, versanken wir auch schon wieder im Hochwasser – und nicht in irgendein Hochwasser, sondern in das höchste seit 1966, was in der Via 22 marzo so aussah:
Das Jahr 2019 war, was das Hochwasser betrifft, das schlimmste Jahr für Venedig seit Beginn der Aufzeichnungen: 26 Hochwasser über 1,10 Meter (normalerweise sind das nur zwei oder drei), fünf außergewöhnliche Hochwasser über 1,40 Meter, eines nach dem anderen, darunter das verheerende vom 12. November mit 1,87 Meter.
Außerdem war es das Jahr mit den meisten Hochwassern außerhalb der Saison: im April mit 1,34 Meter, im Mai: 1,10 Meter, Ende Juli 0,97 Meter.
Selbst am Tag vor Weihnachten kam es zu einem weiteren ungewöhnlichen Hochwasser:
– ohne dass Tiefdruck herrschte, kein Wind und auch keine außergewöhnlichen Strömungen, nur die sessa, die das Hochwasser verstärkte. Die sessa ist eine Welle in der Adria – wobei Welle jetzt vielleicht leicht untertrieben ist. Am besten kann man sich das in einer Badewanne liegend vorstellen: Also wenn Sie sich in der Badewanne bewegen, schwappt das Wasser erst in die eine, dann in die andere Richtung. Und in der Adria, die im Grunde nichts anderes ist als eine gigantische Badewanne, ist das nicht anders. Es war ein Hochwasser, das in diesem Ausmaß weder von den meteorologischen Gezeiten (ausgelöst vom Tiefdruck und dem Südostwind), noch von den astrologischen (ausgelöst vom Stand des Mondes und der Sonne) vorgesehen war.
(Wir sind hier ja inzwischen alle zu Hochwasserexperten gereift, schon wenn ich hochschaue und diesen typischen Schirokko-Himmel sehe, also so gläsern, kriege ich schon eine Krise.) Seit Anfang November haben wir kaum von etwas anderem geredet, als von „sie haben eins vierzig vorausgesagt“ oder „es fehlt noch eine Stunde und wir sind schon bei einem Meter zwanzig“, was übersetzt so viel heißt wie: der Höchststand ist erst in einer Stunde erreicht, und jetzt sind wir schon bei … Ach.
Und ja, die Schleuse funktioniert immer noch nicht. Habe mich selbst davon überzeugen können:
Die Mose-Schleuse ist ungefähr das, was man mit „Operation gelungen, Patient tot“ bezeichnen könnte. In diesem Sinne können wir nur darauf hoffen, dass die Welt uns nicht vergisst. Denn von Italien, so viel steht für uns jedenfalls fest, kann Venedig nicht viel erwarten.
Wie Sie unschwer feststellen können, hat mich dieses Jahr nicht die übliche Jahresendmilde erfasst, vielleicht auch das eine Auswirkung des Hochwassers, vielleicht schwappt die Milde erst morgen über mich, wenn ich in der Fenice beim Neujahrskonzert sitze.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein glückliches wunderbares und vor allem trockenes neues Jahr!