Celentanos Ohrfeige

Der Einheitsgedanke der Einheitspartei

Hey, still alive and kicking?, fragen Sie sich vielleicht. Ja, und wie, kann ich nur sagen, komme gerade aus meiner Lieblings-Parfümerie hier in Venedig, wo ich, by the way, eine animierte Diskussion mit einer anderen Kundin hatte, die mit gezücktem Schwert die „Union“ verteidigte (so nennt man das hier in dem Parteisprech des Partito Democratico, oder besser gesagt, des Partito Unico, der Einheitspartei, die die Interessen der Lobbys präsentiert und sich hier in Venedig zusammensetzt aus: Partito Democratico, Lega und Fucsia, der Brugnaro-Partei). Immer noch. Was im Grunde nicht erstaunlich ist, wird diese Unions-Propaganda hier doch seit Jahrzehnten gepflegt.

Der Blick verstellt

Ich habe die Dame gefragt, ob sie mir bitte nur einen winzigen Vorteil nennen könnte, den wir in Venedig aus dieser „Union“ mit dem Festland gezogen hätten – einen nur, weil mir nach 30 Jahren hier in Venedig kein einziger einfällt, aber kann ja sein, dass mein Blick durch die 33 Millionen Touristen verstellt ist oder dass ich gerade im Schatten eines vorbeifahrenden Kreuzfahrtschiffs oder einer Flutwelle im Weg stand, so dass mir dieser Vorteil entgangen ist. Aber niente, sie war nicht in der Lage, mir nur einen winzigen Vorteil zu nennen, nur Angst vor etwas, was sie nicht kennt.

Und Angst kann ich im Grunde gut verstehen, denn Angst haben wir auch, vor allem für den Fall, dass in Venedig alles so weitergeht, wie wir es kennen, nämlich mit dem Ausverkauf Venedigs und der Venezianer: Bislang verlor die Stadt pro Jahr rund 1000 Einwohner, aber jetzt dreht sich die Spirale immer schneller.

Celentanos ungehörte Appelle

Einer, der das erkannt hat, ist Adriano Celentano, der Venedig immer schon verteidigt hat, zuletzt mit flammenden Aufrufen gegen die Kreuzfahrtschiffe (nachzulesen hier)

“Die venezianischen Bürgermeister folgten aufeinander – nicht um Venedig zu regieren, sondern um die Stadt untergehen zu lassen”, schrieb Celentano schon 2013 im Fatto quotidiano.

In seiner Sendung sang er schon im Februar 2013:

„E fino a quando il Comune di Venezia / Non fermerà quei mostri / Che galleggiano giganteschi / Orribili navi che sembrano palazzi / Che devastano la laguna / Ma i politici non si accorgono / Che quando la bellezza morirà / Loro saranno i primi a sprofondare“

(Auf Deutsch: Bis die Stadtverwaltung von Venedig diese Monster nicht verbietet/diese schwimmenden Giganten/Schiffe des Grauens wie Mietskasernen/die die Lagune zerstören/Aber die Politiker merken nichts/Doch wenn die Schönheit stirbt/werden sie die ersten sein, die untergehen.)

Und veröffentlichte dieses grandiose Video:

Das im Juni dieses Jahres praktisch Wirklichkeit wurde. Folglich war es nicht erstaunlich, dass Celentano sich in seiner Sendung „Adrian“ auch dem Referendum widmen würde. Die einzigen, die sich wunderten, waren die von ihm in der Sendung bloßgestellten venezianischen Bürgermeister.

Celentanos Monolog:

Vor zwei Tagen wurde in Venedig ein Referendum mit einem „kranken“ Quorum abgehalten. Der Bürgermeister von Venedig, Brugnaro, hat zusammen mit seinem Vorgänger Massimo Cacciari und dessen beiden Nachfolgern – die alle vier zusammen die wahren Väter des Ausverkaufs von Venedig sind – die venezianischen Bürger dazu aufgerufen, sich beim Referendum der Stimme zu enthalten. Und so kam es zu einem kranken Quorum. Aber die noch größere Schuld liegt nicht bei Cacciari, Brugnaro &Co, sondern bei den Venezianern. Warum merkt Ihr nicht, dass Ihr in einer Falle steckt? Venedig steht heute zum Verkauf. Die Palazzi, die Inseln, die Kunstwerke – und in nicht allzu ferner Zukunft, liebe Venezianer, werdet auch Ihr verkauft, falls Ihr nicht endlich die Augen öffnet.

Venedig ist eines der sieben Weltwunder, das wie keine andere Stadt den Herausforderungen des Klimawandels ausgesetzt ist. Es wäre eigentlich der ideale Standort für eine internationale Umweltschutzinstitution. Tatsächlich aber, aufgrund der mangelnden Teilnahme am Referendum, riskiert Venedig unterzugehen, unter den Füßen von 32 Millionen Touristen pro Jahr.

Und was die verbliebenen wenigen Venezianer wollen, ist eine eigene Stadtverwaltung – ohne sie mit sechs anderen Dörfern teilen zu müssen. Denn es ist klar, dass in Venedig nicht die Venezianer bestimmen, sondern die benachbarten Dörfer, Marghera, Campalto, Mestre. Was also tun? Es ist das fünfte Referendum, das die Venezianer verlieren. Das sie verlieren, weil sie nicht wählen. Weil sie sich dazu überreden ließen, sich der Stimme zu enthalten.

Aber ich bin überzeugt, dass es noch eine andere Wahl geben wird. Ich weiß nicht wann, aber sie wird kommen. Ich bin überzeugt, dass Venedig das nächste Mal eine eigene Stadtverwaltung haben wird, eine freie, unabhängige, nicht eine, die mit sechs Dörfern geteilt wird.

Celentanos Ohrfeige tat weh. Sie brennt so sehr, dass Bürgermeister Brugnaro sich in unendlicher Großherzigkeit überschlug und Celentano nach Venedig einlud („Ich habe Celentano über Familienmitglieder kontaktiert, ich hoffe bald mit ihm zu sprechen …“) und plötzlich nichts mehr davon wissen will, die Venezianer zur Stimmenthaltung aufgerufen zu haben: „Die Menschen haben ihren eigenen Kopf. Das ist der Wert der Demokratie“.

(Stay tuned. Venedig darf nicht seinen Scharfrichtern überlassen werden. Die Parfümerie habe ich übrigens mit den Worten „Hasta la Victoria per siempre“ verlassen.)