Am Lido: alles wie immer. Also fast.

Gerade musste ich feststellen, dass ich letztes Jahr nichts über das Filmfest gepostet habe, shame on me! Höchste Zeit für meine wie gewohnt einseitige, dogmatische und voreingenommene  Filmfestkolumne!


Es ist wie immer: Die unfassbare Schönheit des Markusbeckens morgens früh. Der Canaletto-Himmel. Das frühmorgendliche Rennen zum Vaporetto. Wobei ich immer an derangierten Brautpaaren vorbeikomme, die vom Fotografen frühmorgens auf den Markusplatz gescheucht werden, der um diese Uhrzeit aussieht wie ein Filmset.

Am Lido: alles wie immer

Lange Schlangen, Gedrängel im Vaporetto und Kulturjournalisten, die ihren Nonkonformismus in zwei verschiedenen Schuhen oder fünf verschiedenen Farben gefärbten Haaren ausdrücken. Pappige Sandwichs. Und jede Menge Filme. Ein paar Tage lang leben wir hier alle in einer Parallelwelt.

Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass mir die Filme, die ich bisher gesehen habe, bis auf einen, alle gefallen haben. Also bislang noch keine Kuhkacke. Weil ich ein Medium bin, ist das kein gutes Zeichen. Jedenfalls nicht für die Filme, die ich bisher gesehen habe. Genauer gesagt, haben sie sich gerade um die Chance ihres Lebens gebracht: Es gewinnen immer nur die Filme, die ich nicht leiden konnte oder aus denen ich geflüchtet bin. Und das war bislang noch nicht der Fall.

Evviva la famiglia

Am ersten Tag ging es um Familie, erst mit dem Eröffnungsfilm La Verité, mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche: egozentrische Mutter trifft auf ihre frustrierte Tochter. Männer fast durchweg irgendwie Luschen. Lustig und auch bewegend. Und natürlich musste Catherine Deneuve sich ständig fragen lassen, ob sie sich da selbst spielen würde, schließlich ist sie doch die Mutter von Chiara Mastroianni, die ebenfalls Schauspielerin ist (und die dass schwere Los trägt, Tochter zweier Monumente des europäischen Films zu sein.) Ich habe sie vor gefühlt tausend Jahren mal interviewt: Ihr Gesicht war wie ein Kaleidoskop, wenn sie so blickte, sah sie aus wie die Deneuve, wenn sie sich drehte, wie Marcello Mastroianni.

Dann Pelikanblut, okay, man könnte sagen: Eine Geschichte über ein Horrorkind. Aber auch über eine Horrormutter, eine Pferdeflüsterin, wie Christiane Peitz so schön im Tagesspiegel schrieb. Als Nina Hoss dem Pferd den Kopf abschlug, wurde es mir etwas zu viel, weil diese Mutterschaft schon so, ähem, anstrengend war.

Besser ging es mit Marriage Story , die Scheidungsstory eines jungen Paares. Habe fast den ganzen Film durchgeheult. Zwei Taschentücher. Okay, ich habe auch bei la verité geheult, ich weine eigentlich fast bei jedem Film, ich habe es sogar geschafft, bei Ad Astra zu weinen, dem Astronautenfilm mit Brad Pitt, der im Weltall nach seinem Vater sucht, obwohl mich sonst Astronautenfilme oder überhaupt Filme, die im All und in irgendeiner Zukunft spielen, sofort in Tiefschlaf versetzen. „Ich tue, was ich tue wegen meines Vaters“, sagt Brad Pitt,  was ich auch nicht ganz von mir weisen kann, auch wenn mein Vater kein Astronaut war, sondern nur ein Bergmann, der unter Tage verunglückt ist.

Gerechtigkeit. Und wie sie beseitigt wird.

Auf den Tag mit den Familienfilmen folgte der Tag der Gerechtigkeit. Und wie sie beseitigt wird. Erst mit Polanskis „J’accuse“-Film, dem Justizthriller über die Dreyfus-Affäre, Historiendrama, wenn man so will, aber rasend gut erzählt. Die Perspektive ist ungeachtet des Titels nicht auf Emile Zola gerichtet, sondern auf den Offizier Marie-Georges Picquart, der den Justizskandal aufdeckte – und das nicht, weil es ihm darum ging, den – unverhohlenen – Antisemitismus hinter der Dreyfus-Affäre anzuprangern, sondern weil er seinem Gewissen folgte. Sozusagen einer gegen alle.

Den Schluss, dass Polanski sich mit dem unschuldig verurteilten Picquart vergleichen würde, finde ich ehrlich gesagt, zu banal. Auf jeden Fall Gelegenheit für viele überflüssige Kommentare.

Gerechtigkeitsfanatiker sind zu allen Zeiten ein Problem. Auch die Schauspielerin Jean Seberg war so eine. Seberg ist ein Biopic, wie es so schön heißt, über die Schauspielerin, die mit „A bout de souffle“ zur Ikone des Nouvelle-Vague-Kinos der 1960er Jahre wurde – von deren Lebensgeschichte ich keinen Schimmer hatte: Dass sie eine Sympathisantin der Black Panther war und für ihr Engagement einen hohen Preis zahlen musste.

Es folgte „The Kingmaker, ein Dokumentarfilm über Imelda Marcos Rückkehr an die Macht. Von keinem Zweifel angeweht, zeichnet sie ein rosarotes Bild von sich selbst und ihrer Familie, trägt Geldscheine in Bündeln mit sich herum und verteilt sie wie Karamellbonbons. Die reine Hoffnungslosigkeit: Der Staatsanwalt, der die Milliarden aufspüren wollte, die sich Marcos-Familie unter den Nagel gerissen haben, lebt inzwischen in Amerika, weil er auf den Philippinen um sein Leben fürchten musste – wie alle, die sich gegen die Marcos und den mit ihnen verbündeten Diktator Duterte stellen.

Kill the rich

Heute war dafür der Tag der Rache. Kill the Rich, sozusagen, mit dem Film Joker, der Geschichte eines vom Leben überrollten Standup-Comedians. Hier der Trailer. Und angesichts der Tatsache, dass ich erstens Filme über Comicfiguren nicht leiden kann (es gibt eine Unmenge von Joker-Filmen) und zweitens keine Gewaltorgien ertrage, ist es für mich ein Wunder, dass ich diesen Film gnadenlos gut fand. Geradezu preiswürdig. Eine Prophezeiung, die angesichts meiner Rolle als Medium natürlich mehr als zweifelhaft ist.

Danach der Film von Costa Gavras „Adults in the room“ nach dem Buch des ehemaligen Finanzministers Varoufakis, das in Deutschland unter dem Titel „Die ganze Geschichte“ erschienen ist. In dem, kurz gesagt, beschrieben wird, dass die Griechenlandrettung im Grunde eine Rettung deutscher und französischer Banken war.

Ulrich Tukur als Schäuble, pardon, Wolfgang, ist natürlich genial mit seinem fiesen deutschen Akzent und den zusammengekniffenen Lippen. Allein um zu sehen, wie sich sein Mund zu der zerknitterten Wellenlinie einer schlecht gelaunten Comicfigur kräuselt, wenn er Varoufakis gegenüber sitzt, lohnt es sich diesen Film anzuschauen. Aber auch, um etwas über Europa nachzudenken. Die Italienern sahen bei Costa Gavras‘ Film sofort die Parallelen zwischen Griechenland und Italien. Sie sind offenbar, vor allem was die Berichterstattung der Medien betrifft (remember: der Stinkefinger der Aphrodite?) etwas sensibilisiert. In diesem Blog habe ich schon oft darüber geschrieben. Geändert hat sich nichts.

Bin gespannt, wie es jetzt weitergeht, falls die PD an Salvinis Stelle tritt. Wobei wir wieder in der Wirklichkeit angekommen wären. Manchmal ist es im Kino einfach schöner.