Katastrophe Nummer zwei

Foto di Roberto Ferrucci www.robertoferrucci.com

Ginge es nach dem Gesetz der Serie, stünde uns nach dem gestrigen Beinahe-Unfall der Costa Deliziosa (alleine die schauerlichen Namen dieser Mega-Monster sollten jeden vernünftigen Menschen misstrauisch machen), dem Desaster der MSC Opera eigentlich bald ein dritter Unfall bevor.

Hier kann man sehen, wie das Schiff vom Sturm fast gegen das Ufer gedrückt wurde (zwischen Riva degli Schiavoni und Biennale-Gärten) und dass allein die drei Schlepper dafür gesorgt haben, das Schlimmste zu vermeiden: Seitdem die MSC Opera gegen das Ufer gefahren ist, wurde die Zahl der Schlepper von zwei auf drei erhöht.

Auf dem folgenden Video (das übrigens der venezianische Schriftsteller Roberto Ferrucci gedreht hat) sieht man, wie nah das 300 Meter lange Kreuzschiff dem Ufer war – und fast die am Ufer liegende Yacht „Elysia“ erwischt hätte, deren Passagiere in letzter Minute panisch die Flucht ergriffen. Denn das, was man hört, ist kein Nebelhorn, sondern ein Notrufsignal: Rette sich, wer kann!

Der schwarze Rauch (wir reden hier nicht mehr von Feinstaub und was der für Venedig und die Venezianer bedeutet: Venedig gehört mit Barcelona und Palma de Mallorca zu den Häfen mit der höchsten Luftverschmutzung …), der aus den Schleppern quillt, lässt auf die Anstrengung schließen, die diese Schlepper aufbringen mussten, um das Schiff davon abzubringen, gegen das Ufer zu fahren. Einer der Schlepper hat dabei auch praktisch den Motor verbrannt, wie die venezianischen Tageszeitungen berichteten.

Nach Augenzeugenberichten war das Kreuzschiff nur noch fünf Meter von der am Ufer ankernden Yacht entfernt.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft, wer dafür verantwortlich ist, dass das Kreuzfahrtschiff trotz der schlechten Wetterprognose ausgelaufen ist – denn immerhin war wegen des Unwetters sogar der Vaporettoverkehr für eine Viertelstunde lang eingestellt worden.

Hier kann man sehen, wie die Costa Deliziosa praktisch Kurs auf das Ufer nahm:

Jetzt fragen Sie sich natürlich: Was passiert jetzt?

Meine an der italienischen Prämisse „Nimm das Schlechteste an und Du liegst richtig“ geschulte Vermutung lautet: nichts. Oder besser: Nichts, was Venedig retten könnte. Bis es hier keine Toten gibt, geschieht hier gar nichts.

Der von der SZ beweihräucherte Unternehmer-Bürgermeister Brugnaro nutzte denn auch gleich den Unfall, um gegen den Infrastrukturminister Toninelli zu polemisieren – den er als Lieblingsfeind ausgemacht hat, nachdem der Minister die „Lösung“ abgelehnt hat, die Kreuzfahrtschiffe von nun an im Industriehafen Marghera neben der Erdölraffinerie anlegen zu lassen. Um Marghera anzusteuern, müsste der Kanal Vittorio Emanuele ausgebaggert werden, was das ohnehin angeschlagene ökologische Gleichgewicht der Lagune vollends ruinieren würde. Der bereits in den 1960er Jahren für die Erdöltanker ausgebaggerte Malamocco-Kanal hat die Lagune bereits in eine Art offenen Meeresarm verwandelt, mit einer höheren Strömungsgeschwindigkeit, der die Sedimente der Lagune weiter ins Meer spült.

Die Unesco und Murphy’s Gesetz

Und weil Murphy’s Gesetz auch für Venedig gilt, hat das Welterbekomitee der Unesco bei seiner letzten Tagung in Baku auch noch beschlossen, Venedig zu „retten“, was bedeutet, dass Venedig nicht wie erwartet der Titel „Weltkulturerbe“ entzogen wird. Was die Venezianer allerdings nicht erleichtert, sondern eher verbittert hat: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Erleichtert hat das nur den Unternehmer-Bürgermeister Brugnaro – um so mehr, als sich das Welterbekomitee nicht mal entblödet hat, die „Lösung“ von Porto Marghera gutzuheißen.

Wie Anna Somers Cocks, die amerikanische Kunsthistorikerin und ehemalige Vorsitzende von Venice in Peril in ihrem Essay schreibt, ist das Welterbekomitee der Unesco zu einem diplomatischen Ballett inmitten von Ländern verkommen, die den Welterbetitel allein für wirtschaftliche Entwicklungsprojekte nutzen.

Die Kunsthistorikerin wies auch daraufhin, dass der größte Aktionär der venezianischen Hafengesellschaft VTP der türkische Kreuzfahrtmulti Global Ports Holding ist. Denn, für den, der es noch nicht weiß: Der venezianische Passagierhafen wurde privatisiert, die größten Aktionäre sind die Kreuzfahrtgesellschaften und der Betreiber des venezianischen Flughafens, die Aktiengesellschaft SAVE. Was ungefähr so ist, als hätte man einem Brandstifter ein paar Dynamitstangen in die Hand gedrückt.

Ich will es nicht beschwören, aber irgendwie habe ich den Eindruck, als wären diese beiden Unfälle nur eine Generalprobe für etwas gewesen, das uns noch bevorsteht.