Wie man einen Bürgermeister beweihräuchert.

Besucheransturm in Venedig an der Riva degli Schiavoni.

Die Süddeutsche Zeitung hat etwas über Venedig geschrieben, auf den Wirtschaftsseiten. Super, dachte ich. Da wird doch bestimmt erklärt, wie unsinnig der Tourismus ist, der Venedig seit Jahrzehnten heimsucht. Da wird doch sicher drinstehen, wieviele Arbeitsplätze durch den von multinationalen Konzernen betriebenen Massentourismus zerstört wurden, beziehungsweise ihr Entstehen gleich im Keim erstickt wurde. Da wird doch zweifellos auch darüber informiert, dass das Wirtschaftskonzept der venezianischen Bürgermeister in den letzten drei Jahrzehnten im Wesentlichen im „Venezianer raus und Touristen rein“ bestand: Venedig wurde von 1993 an durchgehend von der „linken“ PD regiert, allen voran vom – von den Medien viel geliebten – „Philosophenbürgermeister“ Massimo Cacciari.

Und sicher wird da auch zu lesen sein, dass der letzte „linke“ (geht mir schwer über die Lippen) Bürgermeister Orsoni wegen seiner Beteiligung an dem Korruptionsskandal rund um die Hochwasserschleuse MOSE aus dem Amt weg verhaftet wurde. Weshalb dann der Zeitarbeitunternehmer Luigi Brugnaro „ins Feld zog“ (so nannte es auch Berlusconi, als er sich für Italien aufopferte) – der weder rechts noch links, sondern nach allen Seiten offen ist. Und das in jeder Hinsicht.

Letztes Jahr wollte er die 44 Hektar Brachland auf Marghera, die er dem italienischen Staat für ganze 5 (fünf!) Millionen Euro abgekauft hatte, einem chinesischen Investor für 200 bis 360 Millionen verkaufen. Und das wäre auch glatt gegangen, wenn sich nicht die Opposition in den Weg geworfen und den Interessenkonflikt bekannt gemacht hätte. Und das ist nur eines der vielen Geschäfte des Bürgermeisters von Venedig.

Als ich den Artikel der Süddeutschen las, fiel mir der Unterkiefer herunter. So eine Lobhudelei hätte sich nicht mal der Gazzettino getraut.

Brugnaro hängt die seit Jahrzehnten in der Stadt gepflegte Untergangsrhetorik zum Hals raus. Er tritt als Macher auf; als zupackender Mann, der konkrete Lösungen erzwingen will.

lese ich. Und:

An Bord eines eleganten Mahagoniboots macht er seinem Ärger Luft.

Und:

„Warum sollten wir die Bedeutung des Tourismus zurückstutzen?“, fragt auch Bürgermeister Brugnaro.

Und:

Den Kreuzfahrttourismus will er einhegen, aber nicht verbannen. Leicht wird das nicht, die Beharrungskräfte in der Bevölkerung sind enorm, und die Regierung in Rom blockiert eine Lösung.

(Allein dieses Wort „einhegen„: Wie niedlich das klingt. Als wären Kreuzfahrtschiffe junge Rehe, für die man einen Zaun baut, damit sie nicht wieder die Rinde von den Bäumen fressen. Frage mich auch, von welchen Beharrungskräften hier die Rede sein soll, in einer Stadt, in der erst vor kurzem 5000 Venezianer gegen die Kreuzfahrtschiffe demonstriert haben.)

Und:

Venedig schöpft seinen Wohlstand im Wesentlichen aus dem Reibach mit der Invasion von Kurzbesuchern, es hat den zweifelhaften Ruf der Selfie-Hauptstadt.

Reibach„, holla, hier wollte aber jemand endlich mal Klartext reden! Der Bürgermeister kann wirklich froh sein, dass er an Bord seines eleganten Mahagoniboots der SZ gegenüber endlich mal seinem Ärger Luft machen konnte. Nicht dass er am Ende ein Magengeschwür kriegt.

Was den „Reibach mit der Invasion von Kurzbesuchern“ betrifft, so hätten allerdings ein paar Klicks gereicht, um zu wissen, dass die Kreuzfahrtindustrie Venedig mehr kostet, als die Stadt daran verdient. Der venezianische Wirtschaftsprofessor Giuseppe Tattara hat das Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen Venedig und den Kreuzfahrtschiffen aufgeschlüsselt und nachgewiesen, dass die Kosten der Kreuzfahrtindustrie (aufgeteilt unter den drei marktbeherrschenden Gruppen Carnival, Royal Caribbean International und Norwegian Cruise Lines/ Star Lines) für Klimaschäden, Luftverschmutzung und die Zerstörung der Meere den Verdienst bei Weitem übersteigen. Und das, obwohl die Gesundheitsschäden der Venezianer, die Schäden am ökologischen Gleichgewicht der Lagune, an den Uferbefestigungen und den Fundamenten der Paläste gar nicht berechnet wurden.

Und natürlich will der Bürgermeister den Tourismus in Venedig nicht zurückstutzen, ganz im Gegenteil. Wie seine Vorgänger auch betrachtet er Venedig nicht als Lebensraum, sondern als Geldmaschine. Außer Verlautbarungen – meist als Tweets – hat er nichts Konkretes für Venedig geleistet, gewählt wurde er vom Festland, nicht von den Venezianern. Konzepte, wie das Leben in Venedig zu erhalten ist, sind von ihm nicht zu erwarten, im Gegenteil. Daran ändern weder (die bereits wieder abmontierten) Drehkreuze, noch das imaginäre Eintrittsgeld für Venedig (das vermutlich nie eingeführt wird). Es geht ihm wie auch seinen Vorgängern eher darum, die letzten verbleibenden 52 649 Venezianer (Stand vom 21. Juni 2019) auch noch loszuwerden.

Die Bootsschau, die Anlass war für diesen unterwürfigen Verlautbarungsjournalismus der besten Art, würde das Herz der letzten Venezianer erfreuen, wenn sich dahinter mehr verbergen würde als eine Werbeveranstaltung: Venedig wird auch hier wieder nur als Schaufenster ausgebeutet. Den Verdienst machen andere. Die Bootsschau war letztlich nichts anderes als eine tolle Tupperparty in einem grandiosen Ambiente.

Eingeweiht wurde sie übrigens mit einer Flugstaffel der Tricolore. Wie viele Venezianer habe auch ich beim Anblick der Flugstaffel an das Unglück von Ramstein gedacht und mich gefragt, warum Venedig, diese zerbrechliche Stadt, samt ihrer Bewohner (von den unzähligen Zuschauern jetzt mal zu schweigen) ohne Not einem solchen Risiko ausgesetzt wurde: Als Werbeveranstaltung für eine Stadtverwaltung, die kein anderes Ziel hat, als Venedig in kleinen Stücken zu verkaufen?

Selbstverständlich sprang die SZ dem Unternehmer Brugnaro auch eilfertig bei, als dieser die Gelegenheit nutzte, gegen den Infrastrukturminister Toninelli zu stänkern – der zu den von der SZ stets geschmähten Grillini gehört. Jetzt kann man dem Mann einiges vorwerfen, aber dass er die Vertiefung des Vittorio-Emanuele-Kanals ablehnt, ist eines der wenigen Verdienste dieses Ministers. Und nur zur Erinnerung: Der Minister ist seit einem Jahr im Amt. All das, was in Venedig passiert, darunter auch der Plan, den Vittorio-Emanuele-Kanal auszubaggern, wurde von den letzten Regierungen bestimmt. Und auch schon damals von etlichen Journalisten kritiklos per Copy&Paste in die Luft geblasen.

Beeindruckend auch, wie es die SZ hinkriegt, an keiner Stelle den Lesern zu erklären, was es bedeuten würde, wenn der Vittorio-Emanuele-Kanal ausgebaggert würde: Dadurch gelangt bei Flut immer mehr und immer schneller Meerwasser in die Lagune – die durch die bereits ausgegrabenen Kanäle praktisch zu einem Meeresarm geworden ist: Das Hochwasser in Venedig ist von Menschen gemacht.

Am schönsten war natürlich die Stelle, als die SZ beschrieb, dass Bürgermeister Brugnaro keine Mühen gescheut hat, um zur Trauermesse der 103jährigen Spitzenstickerin Emma Vidal nach Burano („weit draußen in der Lagune“) zu eilen.

Da wäre ich fast in Tränen ausgebrochen.