Der Preis „ragazzi della città invisibile 2019“ wird dem Roman „Palermo Connection“ von Petra Reski verliehen, der es gelungen ist, die beunruhigenden aktuellen Wahrheiten des Prozesses „Verhandlungen zwischen Staat und Mafia“ in einen einzigartigen, fesselnden Thriller zu verwandeln. Catania, 8. März 2019
Diese in eine Gedenkplatte gefrästen Worte stehen jetzt auf meinem Nachttisch, in einer Samtschatulle – bei einem Anfall von unüberwindlicher Schreibblockade sollen sie Wunder wirken, wie auch die Preisbegründung auf Pergamentpapier:
Der Preis„ragazzi della città invisibile 2019“ wird der Schriftstellerin Petra Reski dafür verliehen, vom Standpunkt einer weiblichen ProtagonistIn aus die gefährlichen Verflechtungen zwischen Mafia, Politik und Wirtschaft im Kontext der Absprachen zwischen Staat und Mafia mit Ironie und Scharfsicht fesselnd beschrieben zu haben.
Ja, in Catania wurde die italienische Ausgabe meines Romans „Palermo Connection“ mit dem Preis der Stiftung „La Città invisibile“ geehrt: eine private, gemeinnützige Organisation, die sich um die Kinder benachteiligter Familien in Catania kümmert – Kinder, deren Eltern im Gefängnis sind, Kinder, die behindert sind oder die aufgrund ihrer Familiensituation Gefahr laufen, sich in den Dienst der Mafia zu stellen.
Die Stiftung ermöglicht den Kindern, mit Kursen für Musik, Theater, Tanz, Gesang oder auch Selbstverteidigung in sich neue Fähigkeiten zu entdecken und damit Selbstvertrauen zu entwickeln – kurz: eine „Schule des Lebens“, zu der auch das von der Stiftung gegründete Orchester Falcone&Borsellino gehört. Darüberhinaus bietet die Stiftung auch Kurse für Eltern an, die dem Kreislauf Armut-Mafia entkommen wollen.
Jedes Jahr vergibt die Stiftung drei Preise, in diesem Jahr wurden außer mir die Pädagogin Loredana Alajmo und die Kalabrierin Sara Scarpulla geehrt.
Saras Geschichte
Ihr Sohn Matteo Vinci wurde im April 2018 vom ‚Ndrangheta-Clan Mancuso mit einer Autobombe getötet, sein Vater Francesco überlebte das Attentat schwer verletzt. (Hier ein Video über ihre Geschichte). Sara Scarpullla ist eine Frau, die unsere ganze Solidarität verdient – nicht nur wegen der Verlusts ihres Sohnes, sondern auch weil sie dem jahrzehntelangen Terror des Clans Mancuso nicht nachgegeben hat, ungeachtet der Gleichgültigkeit und des Stillschweigens aller.
Die Familie Vinci lebt in dem kleinen Ort Limbadi bei Vibo Valentia. Es geht um ein Stück Land, das der Familie Vinci seit Jahrhunderten gehört – und das für die Mafiosi nichts anderes als eine Machtprobe darstellt. Der Clan Mancuso gehört zu den reichsten Clans der ‚Ndrangheta und ist eng verbündet mit den Clans von San Luca, die in das Mafia-Attentat von Duisburg verwickelt waren und dem unter anderem in Münster ansässigen Clan Grande Aracri. Vor dem Attentat hatte die Familie Vinci bereits zwei weitere Anschläge schwer verletzt überlebt. Zwei der beteiligten Ndranghetisti sind bereits wieder auf freiem Fuß. Bis heute hat die Familie Vinci keine Leibwächter. Und der angeblich so sehr um die Sicherheit der Bürger besorgte Innenminister Salvini hat es bei seinen Besuchen in Kalabrien vorgezogen, sich in den Mafia-Hochburgen Rosarno und San Luca hofieren zu lassen, als dem Grab eines jungen, von der Ndrangheta ermordeten Italieners die Ehre zu erweisen.
Kurz nach der Ermordung ihres Sohnes wurde Sara Scarpulla gefragt, warum sie dem Terror des Clans nicht nachgegeben habe, woher sie den Mut nehme. Und Sara sagte: „Ich würde das nicht Mut nennen, wir machen nichts anderes, als unsere Rechte zu verteidigen. Dieses Land gehört uns und unseren Vorfahren, die das Land aus Liebe zu ihren Kindern nicht mal verkauft haben, als sie Hunger litten. Ich habe keine Angst. Und ich lasse mir keine Befehle erteilen.“
Sara Scarpulla ist die kleine Dame in der Mitte, neben ihr rechts steht die Gründerin der Stiftung, die Pädagogin Alfia Milazzo, links ihr Mann Francesco Vinci und die Freundin der Familie Vinci, Maria Anna Massara.
Am Tag nach der Preisverleihung haben wir noch vor Schülern gesprochen – und dabei hat mich sehr berührt, was Sara Scarpulla auf die Frage eines Jungen antwortete. Er fragte sie, was Jugendliche tun könnten, um die Mafia zu bekämpfen. Sara Scarpulla sagte nicht: „Ihr müsst lernen, die Regeln der Legalität zu beachten“ – oder etwas ähnlich Belangloses, was viele Erwachsene in solchen Fällen sagen. Sie sagte: „Ihr müsst euren Eltern etwas beibringen. Ihr müsst sie dazu bringen, die Dinge anders zu betrachten. Denn auch Eltern können von ihren Kindern lernen.“
Das hat mich tief beeindruckt.