Brauchen wir einen anderen Auslandsjournalismus?

Ja, #Relotius und kein Ende. Vor ein paar Tagen las ich die zehn Fragen zur Relotius-Affäre, die der Medienjournalist René Martens gestellt hat. Eine der Fragen lautete: Hat Relotius nicht nur gefälscht, sondern auch geklaut? Das hat mich daran erinnert, dass ich am Anfang meiner Journalistenkarriere mal eine Kollegin verklagt habe, die ganze Passagen aus einer meiner Reportagen abgeschrieben hatte. In einer Branche, in der das „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“- Gebot gilt, macht man sich damit übrigens nicht unbedingt Freunde.

Und weil ich mir schon damals vermasselt habe, zur Klassensprecherin gewählt zu werden, leiste ich es mir auch, hin und wieder die Mängel der deutschen Italienberichterstattung zu beklagen, unter anderem hier oder  hier und hier und hier. Weshalb mich die Frage „Brauchen wir einen ganz anderen Auslandsjournalismus?“, die Martens im Zusammenhang mit Relotius gestellt hat, natürlich besonders interessiert. (Und: Ja klar, es gibt auch eine verzerrte Darstellung Deutschlands in den italienischen Medien).

Fünfsterne als Ausgeburt des Teufels

Die Fünfsterne-Bewegung wurde von den Auslandskorrespondenten unisono als Ausgeburt des Teufels beschrieben, ich erinnere mich kaum an einen Artikel, in dem ein Korrespondent mal den Versuch unternommen hätte, den Gründen für die Entstehung der Fünfsterne nachzugehen – die vor allem in der unangefochtenen Herrschaft Berlusconis zusammen mit der demokratischen Partei zu finden sind.

In den Medien des Mainstreams ist kein Halten mehr, seitdem die „Grillini“ in das italienische Parlament eingezogen sind. Nahezu täglich werden die Sympathisanten der Fünfsterne-Bewegung wahlweise als Faschisten, Berlusconi-Anhänger, Lega-Anhänger, geistig Behinderte, Pädophile, Terroristen, Feiglinge, Idioten, Diebe, Rassisten, Antidemokraten, Impotente, Scheißdreck, Scheintote oder Schweine geschmäht.
Was kein Problem wäre, wenn die Schmähungen nicht auch von den deutschen Medien verbreitet würden. Wie hätte man in Deutschland reagiert, wenn die italienische Presse den Einzug der Grünen in den Deutschen Bundestag Anfang der 1980er Jahre mit ebenso viel Häme bedacht hätte? An Heterogenität konnten es die deutschen Grünen mitsamt ihrer Ex-Generäle, romantischen Pazifistinnen und grenzwertigen Naturschwärmern mit der Fünfsterne-Bewegung sicher bestens aufnehmen. Und doch haben sie es mehr als jede andere deutsche Partei geschafft, die politische Kultur unseres Landes zu verändern.

schrieb ich im Sommer 2017, als ich für die Internationale Politik den Mythen nachging, die in deutschen Medien über Italien verbreitet werden.

Dass es weitergehen würde mit dem Fünfsterne-Bashing, deutete sich schon kurz nach der Wahl mit den ersten Artikeln an. Ich habe darüber im letzten Sommer etwas in einer Talkshow auf Arte gesagt, die den schönen Titel “Scheidung auf Italienisch” trug – nicht nur eine Referenz an den gleichnamigen Film, in dem Marcello Mastroianni seine Frau umbringen will, weil er sich nach dem damaligen Recht nicht von ihr scheiden lassen darf, sondern vor allem der Hinweis darauf, dass sich Italien angeblich von der Europäischen Gemeinschaft trennen will. Was ich etwas anders sehe. Und in der Runde auch nicht die einzige war. Interessant fand ich vor allem die Politologin Nadia Urbinati.

Die Italiener: alles Populisten und Faschisten.

Jetzt warte ich jetzt eigentlich nur noch auf einen Artikel in der Art wie der, den Relotius über Fergus Falls geschrieben hat. Also, dass alle Italiener komplett verblödet sind. Populisten eben. Und Faschisten noch dazu. Weil: Salvini. Über den habe ich bereits in Cicero geschrieben. Überraschenderweise hat die ZEIT sogar Marco Travaglio, den Chefredakteur der Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ gebeten, ein Portrait von Salvini zu schreiben, das ich für sehr lesenswert halte.

Ich kann verstehen, wenn sich mancher Korrespondent schlecht bezahlt und unter Zeitdruck durch die italienische Wirklichkeit haspelt und angesichts von Redakteuren verzweifelt, die nur auf Themen anspringen, die sie so bereits sieben Mal bei der Konkurrenz gelesen haben. Aber dennoch: Wie wäre es mit einem kleinen Versuch, Italien mal nicht aus der Sicht des deutschen Regierungssprechers zu beschreiben?

Mehr Transparenz …

In der Süddeutschen las ich ein Interview mit Jay Rosen, einem Journalismus-Professor der University of New York, der den letzten Sommer in Deutschland verbrachte, um die Medienlandschaft zu beobachten (seine Schlussfolgerungen sind hier zu lesen). Natürlich ging es im Interview um den Kampf der Medien um Glaubwürdigkeit. Und da sagte Rosen, dass die Leser den Medien schon lange nicht mehr das Argument abnähmen, keinen eigenen Standpunkt zu haben und nur die Fakten zu berichten – weil dadurch Objektivität vorgegaukelt werde, die de facto nicht existiere. „Der Ausweg heißt: mehr Transparenz. Journalisten sollten gegenüber ihren Lesern offenlegen: Schaut her, das ist mein Hintergrund, hier komme ich her.“

Falls das meinen geschätzten Bloglesern noch unbekannt sein sollte, dann hier an dieser Stelle der Hinweis: Ich habe stets als freie Autorin gearbeitet, weshalb ich mich weder einer redaktionellen Linie, noch dem Tagesgeschäft unterwerfen musste. Luxus? Ja, wenn man Freiheit als Luxus betrachtet.

Ich habe die letzten drei Jahrzehnte in Italien verbracht und das Geschehen aus nächster Nähe beobachten können – von der Ermordung Falcones und Borsellinos, über die danach übergangslos anschließenden und nicht enden wollenden Berlusconi-Jahre – während der die Fünfsterne-Bewegung entstand – hin zu ihrem Wahlsieg im Frühling vergangenen Jahres. Ich gehöre keiner Partei an und beobachte die Fünfsterne-Bewegung mit Sympathie, weil sie – anders als die Lega – bislang die einzige Partei ist, die keine Mitschuld trägt, für das politische Desaster der letzten dreißig Jahre und die keine Nähe zur Mafia pflegt, bislang.

und weniger Schaum vor dem Mund.

Jetzt ist die Fünfsterne-Bewegung seit einem halben Jahr in der Regierung, zusammen mit Salvini – und ich hätte mir gewünscht, dass die Berichterstattung der italienischen Realität gerecht wird und nicht nur aus Copy&Paste aus Repubblica-Corriere-La-Stampa-Messaggero besteht. Eine Berichterstattung, die auch in nachrichtlichen Texten die Quellen offen legt. In Deutschland hat doch niemand einen Schimmer davon, was für Herausgeber sich hinter den italienischen Tageszeitungen verbergen. Etwa, dass die Repubblica dem Industriellen De Benedetti gehört, der bekanntermaßen die PD unterstützt. Oder dass der Messaggero, dem römischen Baulöwen Caltagirone gehört.

Ich würde mir eine Italien-Berichterstattung wünschen, die endlich aufhört, die PD zu verklären, und damit beginnt, auch ihre Schwächen zu beschreiben – genau wie die Schwächen der Fünfsterne-Bewegung, die ihren Wählern viele Wahlversprechen schuldig geblieben ist, vor allem, was den Umweltschutz und Großprojekte betrifft. Tatsächlich wird Salvini stets mit den Fünfsternen verrührt während alle anderen Parteien, allen voran die demokratische Partei, einschließlich des einstigen Messias Matteo Renzi, verschwiegen werden. Was auch nicht dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit der Italien-Berichterstattung wieder herzustellen. Was ich sehr bedauerlich finde. Für uns alle.

Wie soll Europa funktionieren, wenn wir nicht mal in der Lage sind, vernünftig über unsere nächsten Nachbarn zu berichten?