Der Hype um Relotius ist an mir völlig vorbeigegangen. Ich habe von seiner Existenz erst erfahren, als er als Meisterfälscher (hier eine sehr gute Zusammenfassung) aufgeflogen ist. Bis dahin habe ich keine einzige seiner Geschichten zu Ende gelesen, ich musste nur den Vorspann lesen, dann wusste ich wohin die Reise geht. Goodies hier, Baadies da, das Ganze ordentlich durchgemenschelt. Deshalb war mir sein Namen gar kein Begriff. Anders als der von Juan Moreno, den mochte ich schon, als er noch bei der SZ schrieb, stets selbstironisch. Was bei Journalisten ja eher eine seltene Eigenschaft ist.
Und jetzt ist es ein bißchen so wie bei Breaking Bad: immer wieder ein neuer, gruseliger Dreh. Emails fälschen, Facebook-Profile erfinden, Spendengelder für erfundene syrische Waisenkinder veruntreuen, der Mann ist vor nix fies. Und man sitzt gebannt davor und schaudert. Oder auch nicht.
Jedenfalls nicht, wenn man schon etwas länger im Geschäft ist (Damen nennen keine Zahlen). Ich erinnere mich noch an die Schockstarre im Saal während der Henri-Nannen-Preisverleihung, die das Geständnis des SPIEGEL-Reporters René Pfister ausgelöst hatte, als Pfister auf die Frage der Moderatorin blauäugig gestand, gar nicht in dem von ihm ausführlich beschriebenen Eisenbahn-Keller gewesen zu sein, aus dem er so ausgiebig seine Metaphern für sein Seehofer-Portrait geschöpft hatte. Danach: großes Drama. Ein Jahr lang kein Nannen-Preis! Es folgte: Zerknirschung, Abbitte und Wiederauferstehung.
Als ich in der Journalistenschule aufgenommen wurde, lag die Affäre mit den Hitlertagebüchern gerade drei Jahre zurück. Mein damaliger Freund, ein französischer Philosoph, den ich kurz danach verließ, sagte aufgebracht: „Schämst Du Dich nicht, in eine Schule zu gehen, die die Hitler-Tagebücher erfunden hat?“ Mal abgesehen davon, dass ich seine Kritik nicht ernst nahm, weil er nicht mal zwischen dem Stern und der Nannen-Schule unterscheiden konnte, hielt ich die Sache mit den Hitler-Tagebüchern damals für einen Fall für die Kriminalpolizei, vielleicht auch für Historiker, aber nicht für den Ausdruck einer Hybris. Das änderte sich erst, als ich beim STERN mein Praktikum machte und mit Leuten zusammenarbeitete, für die die Hitler-Tagebücher ein Trauma waren, das sie nie verwinden konnten, und das zu Recht. Der STERN hat sich davon auch nie wieder wirklich erholt.
Heute gibt es das Internetz, haha, die Socials, und wir Journalisten sind keine Gatekeeper mehr. Früher gab es allerhöchstens hier und da einen penetranten Leserbriefschreiber, meist ein Oberstudienrat. Heute gibt es Shitstorms. Ich denke, dass es manchmal ganz gut ist, die Umlaufbahn wieder zu verlassen und einen Fuß auf den Planeten Erde zu setzen. Und beim Relotiussen sollten Journalisten endlich damit aufhören, ständig Literatur mit „Erfundenem“ gleichzusetzen. Das ist Klippschul-Niveau.
Ansonsten frage ich mich natürlich, was Claas jetzt macht. Meine Freundin D. meint, dass er sich ein neues Betätigungsfeld gesucht hat: Er schreibt jetzt die Leserbriefe zu seinem Fall. (Wer könnte das besser als er?) Um nicht aufzufallen, setzt er hier und da ein paar negative Stimmen rein. Die meisten aber sind doch sehr spiegelfreundlich: Einige Leser loben sehr die Aufklärung, andere schließen jetzt Abos ab. Schöne Märchenstunde.
Claas hat es einfach drauf, meint D. Claas und der Spiegel, ein Weihnachtsmärchen.
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