Ja, und das ist ganz ernst gemeint. Wie die hochgeschätzten Leser meines Blogs wissen, fahre ich neuerdings mit dem Boot durch die Lagune. (Gestern bin ich zum ersten Mal an eine Tankstelle gefahren und habe getankt, danach bin ich vor Stolz fast geplatzt).
Dieses Video hier unten habe ich gedreht, nachdem aus einer der Airbnb-Wohnungen über uns mal wieder Wasser durch die Decke kam – und ich mich bei meinen Facebookfreunden erkundigt habe, was man unternehmen kann, wenn der Besitzer der Airbnb-Wohnung sein Badezimmer nicht repariert. Die Antwort lautete: Nichts. Außer ihn zu verklagen. In Italien so wirkungsvoll, wie in die Luft zu pusten. Zur Beruhigung habe ich danach kurz eine Runde durch die Lagune gedreht.
Um die Leser meines Blogs an meinen Bootsausflügen teilhaben zu lassen, habe ich angefangen, dabei kleine Videos zu drehen, etwa das hier, als ich durch das Markusbecken fahre, praktisch das venezianische Bermudadreieck. Wo alles unterwegs ist, was schwimmt: Vaporetti, Taxiboote, Lastkähne, Müllschiffe, Gondeln und vor allem Ausflugsboote aus Jesolo und Chioggia – die einen Wellenschlag wie auf dem Atlantik auslösen, was man hier sehen kann.
Entschädigung für Wellengang und Airbnb-Pest sind die kleinen poetischen Augenblicke in der Lagune: Venezianer im „pupparino veneziano„, die für eine Regatta üben. Der pupparino ist ein Rennruderboot. Früher wurde der pupparino, auch puparin genannt, vor allem von höher gestellten venezianischen Familien genutzt, oft auch in den Farben der jeweiligen Patrizierfamilie. Sehr schwierig zu rudern, übrigens.
Was man da am Horizont sieht, ist das, was man die Bocca di Porto di Lido nennt, eine der drei Zugänge Venedigs zum Meer. Hier soll eins der drei Schleusentore der Hochwasserschleuse MOSE installiert werden. Wenn es denn dazu kommt (wahrscheinlich nicht. Oder besser: Hoffentlich nicht). Denn dieses pharaonische Projekt hat nicht nur viele Politiker reich (größter Korruptionsskandal Italiens) und Venedig arm gemacht, sondern droht auch die Lagune zu zerstören. Und das nicht nur, falls die Schleuse in Betrieb genommen werden sollte, sondern schon jetzt, weil die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers beschleunigt wurde. Nicht nur durch das viele Beton, das in die Lagune gegossen wurde, sondern auch durch das Ausgraben des Lagunengrunds: Jetzt schießt bei Flut das Wasser schneller aus dem Meer in die Lagune, was in den letzten Jahren das Hochwasser in Venedig verstärkt hat.
Ein neues Großprojekt
Für die Schleuse wurden bereits Tonnen von Beton in die Lagune gekippt – künstliche Inseln gebaut und Grund ausgegraben, was die Lagune schwer beeinträchtigt hat. Und weil das immer noch nicht reicht, gibt es jetzt noch ein neues verheerendes Projekt: Es trägt den vollmundigen Namen Venis Cruise 2.0. (By the way: Wer ist eigentlich für die Namensfindung solcher Projekte zuständig? Ich meine: Venis … von dem schwachsinnigen 2.0. jetzt mal ganz zu schweigen. Klingt wie ein Jagdbomber. Okay, ich schweife ab.)
Venice Cruise 2.0. ist ein Projekt des privaten Stahlkonzerns Duferco und des PD-Politikers Cesare De Piccoli, der alles mögliche ehemalig ist: ehemaliger stellvertretender venezianischer Bürgermeister, ehemaliger stellvertretender Verkehrsminister der Regierung Prodi, ehemaliger Europarlamentarier.
Das Projekt sieht vor, an der Bocca del Porto di Lido ein Kreuzfahrtschiff-Terminal zu bauen, 500 Meter von der künstlichen Betoninsel der MOSE-Schleuse entfernt. Damit hofft man, endlich das Problem mit den Kreuzfahrtschiffen zu lösen, die am Markusplatz vorbeifahren. Denn das besteht ungeachtet aller vollmundigen Ankündigungen eben immer noch – und kann von jedem beliebigen Touristen mit seinem Smartphone dokumentiert werden, was für Venedig aus PR-technischen Gründen natürlich extrem kontraproduktiv ist.
Allerdings wird schon mit dem Standort Haarspalterei betrieben. Denn dieses Kreuzfahrtschiff-Terminal befindet sich keineswegs außerhalb, sondern, wie der venezianische Wassermagistrat feststellt, innerhalb der Lagune.
Weitere Zerstörung der Lagune
Was sich aber in den schöne Computeranimationen, Slideshows und Powerpoint-Folien des Venis Cruise 2.0. kaum erschließt, ist, dass für dieses Projekt weitere 2.300.000 Kubikmeter Lagunengrund ausgraben werden müssten. Was eine noch höhere Fließgeschwindigkeit des Wassers und damit eine noch höhere Erosion der Lagune bedeuten würde. Außerdem müssen die Passagiere – jedes durchschnittliche Kreuzfahrtschiff transportiert 5000 Passagiere – samt Gepäck durch die Lagune geschifft werden, was weiteren Wellengang und weitere Zerstörung bedeuten würde.
Dass ein privater Stahlkonzern gestützt von einem PD-Politiker ein solches Konzept entwickelt, hat mich nicht erstaunt. Auch nicht, dass das Projekt bereits von der letzten Regierung im vergangenen Jahr als „nicht umweltschädlich“ erklärt wurde (meine Mutter würde an dieser Stelle sagen: „Es gibt alles!“). Auch nicht, dass sich die benachbarten Gemeinden von Punta Sabbioni, Cavallino-Treporti und Jesolo klar gegen dieses Projekt ausgesprochen haben.
Ambivalenz der No-Grandi-Navi
Erstaunt, ja fast schockiert hat mich jedoch zu erfahren, dass sich die Bürgerinitiative No Grandi Navi klar auf die Seite dieses Projekt gestellt hat, wie sie in einem langen Brief an den jetzigen Verkehrsminister geschrieben haben. Eine Bürgerinitiative, deren wichtigster Slogan „Kreuzfahrtschiffe raus aus Venedig“ ist. Ähem.
Wenn aber „Raus aus Venedig“ lediglich „Rein am Lido“ bedeutet, haben wir natürlich ein kleines Problem mit der Glaubwürdigkeit der „No Grandi Navi“. Nach dem Motto: Hier in Venedig stören uns die Kreuzfahrtschiffe, ist aber okay, wenn wir sie nicht mehr sehen.
Klingt ein bißchen wie „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass“: Die Ambivalenz der „No Grandi Navi“ liegt darin, dass sie sich auf zwei Stühle setzen möchten: auf den des Gewerkschafters und den des Umweltschützers. Folglich haben sie nicht den Mut, zuzugeben, dass die Geschichte von den Arbeitsplätzen, die dank Venedigs Kreuzfahrtindustrie geschaffen wurden, ein Märchen ist, an das nicht mal die Kreuzfahrtgesellschaften selbst geglaubt haben. Vor Jahren hat der venezianische Wirtschaftsprofessor Giuseppe Tattara eine Kosten-Gewinn-Rechnung aufgestellt und kam zu dem Schluss, dass die Kosten der Kreuzfahrtindustrie (geteilt unter drei marktbeherrschenden Gruppen: Carnival, Royals Caribbean International und Norwegian Cruise Lines/Star Lines) den Verdienst bei weitem übersteigen.
Kreuzfahrtschiffe ganz raus aus Venedig!
Ehrlich wäre es zu fordern: Die Kreuzfahrtschiffe müssen ganz raus aus Venedig! Die Lagune war ursprünglich im Durchschnitt lediglich vierzig Zentimeter tief, weshalb Venedigs Hafen für Schiffe mit Tiefgang bis heute nicht geschaffen ist. In den 1960er Jahren wurde ein Kanal als Fahrrinne für die Erdöltanker der Petrochemieanlage von Marghera ausgegraben – der einer der selbst gemachten Ursachen für das Hochwasser in Venedig ist.
Kreuzfahrtschiffe sollten nur in Tiefseehäfen anlegen, in Triest beispielsweise. Von wo aus man mit einem Schnellzug bequem nach Venedig fahren könnte. Aber wie es mit Interessen von multinationalen Konzernen so ist: Sie haben ebenso mächtige Interessenverbände hinter sich. Und bis dahin sieht es in Venedig so aus:
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.