Die Brücke und die Multikultimilliardäre

(ANSA/ ALESSANDRO DI MARCO)

In diesen unruhigen Zeiten sind Gewissheiten tröstlich. Etwa dass der (die? das?) „Narrativ“ von der grundguten Multikultimilliardärsdynastie Benetton, die nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua von den bösen, hässlichen italienischen Populisten angegriffen werden, pünktlich und in Lichtgeschwindigkeit auch in den deutschen Medien eingetroffen ist. Hätte mir sonst Sorgen gemacht.

Die Italienanalyse der deutschen Qualitätsmedien

Der Geschwindigkeitsspezialpreis geht an Tobias Piller, Wirtschaftskorrespondent der FAZ, der schon am Tag des Unglücks nicht nur wusste, dass die Brücke immer schon ein sensibler Patient gewesen sei – sondern auch, dass der Zusammenbruch letztlich die Schuld der Fünfsterne-Bewegung sei, bekannt für ihre Blockade großer Infrastrukturprojekte.

Da wollte sich der Spiegel auch nicht lumpen lassen und verkündete, dass“ Populisten nicht schweigen können, weshalb sie Schuldige erst aus- und dann niedermachen“ müssen. Nachgelegt wurde mit „Warum Italiens Regierung den Benetton-Clan anprangert“.

Allerdings wurde dabei die nicht ganz unwesentliche Information unterschlagen, dass die Benettons von Jahr zu Jahr weniger in den Erhalt der von ihnen betriebenen Autobahnen investierten – und dass der Bau der Gronda, der alternativen Autobahntrasse, die von den Fünfsternen in Genua kritisiert worden war, ein weiteres Projekt der Benettons ist. Für das der damalige Verkehrsminister Delrio der „Unternehmerdynastie“, versprach, im Gegenzug ihren Vertrag für das Betreiben der italienischen Autobahn bis 2042 zu verlängern, inklusive einer Zahlung von 6 Milliarden Euro für den Fall, dass andere Unternehmen an ihre Stelle träten. Angesichts solch rosiger Vertragsbedingungen hat man natürlich wenig Interesse am Erhalt einer alten Brücke.

Die Süddeutsche Zeitung wollte auch nicht fehlen und tönte: „Der Staat gegen die Benettons. Die populistische Regierung aus Rom attackiert die Industriellenfamilie. Sie wurde mit Mode reich, betreibt heute Autobahnen und versteht etwas von politischer Werbung“ – („Politische Werbung“, ähem)

Freundschaftliche Nachsicht

Die Unternehmerfamilie Benetton wird all diese Solidaritätsadressen genossen haben, war sie doch so geschockt, dass sie ganze zwei Tage brauchte, bis sie sich aufraffen konnte, den Toten ihre Trauer zu bekunden. By the way: In den italienischen Medien wurden die Benettons auch erst erst Tage nach dem Unglück mit ihrem Unternehmen Autostrade per l’Italia – Atlantia als Betreiber des Autobahnstücks genannt. Die Repubblica schaffte es, 11 Sonderseiten über das Unglück zu verfassen, ohne ein Mal den Namen Benetton auszusprechen. (Im Verwaltungsrat von Benettons Autobahngesellschaft Atlantia sitzt übrigens nicht zufällig eine Dame, Monica Mondardini, die auch im Verwaltungsrat von Gedi sitzt, der Pressegruppe, die Repubblica, den Espresso und La Stampa herausgibt. Kleiner Interessenkonflikt am Rande.)

Auch in den großen Nachrichtensendungen wartete man vergeblich darauf, dass der Name Benetton fiel. Was natürlich nicht erstaunt bei Medien, die (muss ich es noch mal erwähnen?) bis auf eine einzige Ausnahme alle der großen Koalition aus Forza Italia und PD nahestehen, die Italien die letzten 25 Jahre regiert hat – und mit denen die Unternehmerfamilie Benetton seit ihren Anfängen in schönster Harmonie zusammenarbeitet.

Erst Pullover, dann Palazzi

Was sich nicht nur in Venedig  niedergeschlagen hat, wo sich die Benettons die Tortenstücke aussuchen durften, weshalb Venedig auch Benettown genannt wird. Den Benettons gehört hier nicht nur die ehemalige Handelsniederlassung Fondaco dei Tedeschi, sondern auch den Bahnhof, wo auch gleich noch eine Brücke mit im Geschenkpaket enthalten war: Der „Philosophenbürgermeister“ Cacciari hat die Brücke zum Benetton-Bahnhof allerdings als Geschenk des spanischen Architekten Calatrava an die Venezianer präsentiert, ein Schnäppchen für 3,6 Millionen Euro. Leider verrechnete sich der Architekt, weshalb es zu Statikproblemen kam und die Brücke die italienischen Steuerzahler am Ende 11,6 Millionen Euro kostete. Das nur so als Hintergrund.

Denn die Benettons haben im Laufe der Jahre ihre Freundschaft zu den Mächtigen gepflegt, was sich eine Zeit lang in Parteispenden niederschlug, und heute in Spenden, die Parteien nahestehenden Stiftungen zugute kommen. Übrigens hat Benetton auch keine Vorbehalte gegenüber der Lega, für dessen Regionalpräsidenten Luca Zaia Benetton im Jahr 2010 die Wahlkampfkampagne im Veneto mit dem firmeneigenen Thinktank Fabrica übernahm, was dem einstigen Spiritus Rector der Fabrica, dem Fotografen Toscani, übrigens gar nicht gefiel.

Für die Benettons hat sich die Nähe zu den Mächtigen bestens ausgezahlt: Nicht zuletzt dadurch, dass sie die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreiben, womit sie allein im letzten Jahr 3,9 Milliarden Umsatz machten, davon 2,4 Milliarden Gewinn. Kein schlechter Deal.

Der Bankautomat der Benettons

Allerdings wird der Gewinn nicht in den Erhalt oder die Modernisierung der Autobahnen gesteckt, sondern darin, den Flughafen von Nizza, Anteile am größten Betreiber des spanischen Autobahnnetzes und an der Gesellschaft zu kaufen, die den Eurotunnel betreibt: Die Autobahnen sind zum Bankautomaten der Benettons geworden.

Dies alles dank bizarrer Klauseln, die in Verträgen enthalten sind, die in den 1990er Jahren mit den Benettons geschlossen wurden, und beispielsweise bei Baustrukturen, die vor 1967 gebaut wurden, nicht vorsehen, dass der Betreiber einen Plan über die Erhaltungsmaßnahmen vorlegt. Diese Klausel trifft auf die Brücke von Genua zu. Und nicht nur das: Wenn das Autobahnteilstück kontrolliert wird, sind das Ingenieure, die vom Unternehmen selbst benannt und bezahlt werden – keine neutralen Sachverständigen. Der genaue Inhalt der Verträge zwischen den Benettons und dem italienischen Staat ist übrigens  geheim.

Okay, ich will Sie, meine hochgeschätzten Blogleser, nicht länger mit italienischem Bau- und Verwaltungsrecht langweilen. Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass sich die italienische Wirklichkeit nicht so schlicht verhält, wie sie in den deutschen Qualitätsmedien dargestellt wird.

Als bekannt wurde, dass den Benettons die Betreiberlizenz für ihre Autobahnen entzogen werden könnte, brach der Aktienkurs ihres Autobahnbetriebs Atlantia übrigens ein. Tja.

24 Kommentare

  1. „Ad acta gelegt“ ? … auch nicht gerade die seriöse Berichterstattung . Es gibt nun mal Zeugenaussagen, die von einer Explosion , kurz vor dem Einsturtz berichten.

    1. Genau darum werden sich die von der Staatsanwaltschaft berufenen Gutachter kümmern. Alles andere sind bislang nichts anderes als Hypothesen. Darunter gibt es wahrscheinliche, weniger wahrscheinliche und unwahrscheinliche. Eine Explosion gehört zu den sehr unwahrscheinlichen. Mehr ist mit „ad acta“ gelegt nicht gemeint.

    2. Unter anderem wird geprüft, ob die Flaschen mit Acetylen-Gas (das zum Schweißen benutzt wird) explodiert sein könnten (was als eher unwahrscheinlich bezeichnet wird) oder ob ihr Gewicht eine Rolle beim Einsturz gespielt haben könnte.

  2. Sehr verehrte Frau Reski,
    aus den deutschen Medien ist die „Ponte Morandi“ nahezu restlos verschwunden. Keine Diskussionen über mögliche Schadensursachen, über zu ergreifende Folgemassnahmen oder juristische Konsequenzen. Man hat den Eindruck, dass der Staat sich und den Medien ein „Schweigegelübde“ verordnet hat. Liest man den interessanten Artikel von Daniel Stelter in der „Wirtschaftswoche“, keimt der Verdacht, die Politik will ihre Ruhe konservieren und keinesfalls schlafende Hunde (die deutschen Wähler) wecken.
    https://www.wiwo.de/politik/deutschland/schwarze-null-statt-nachhaltiger-finanzen-es-ist-nicht-nur-die-oeffentliche-infrastruktur-die-verfaellt/22921768-all.html
    Italien ist auch hier, sogar im Quadrat.
    Gute Fahrt bei Ihrem nächsten Deutschlandbesuch wünscht
    Kurt Noll

  3. Sehr verehrte Frau Reski,
    der (die?, das?) „Narrativ“ – läßt sich, wie Sie zu erkennen gegeben haben, nicht klären. Aber das ist es nicht, was mir die Gänsehaut auf den Körper treibt, sondern der inflationäre Gebrauch dieses, faktisch nicht existierenden, Wortes. Verbunden mit der Tatsache, daß die meisten Menschen ein „Narrativ“ als bare Münze nehmen. Tatsächlich ist es aber nichts anderes, als der politisch korrekte Übergang von der Realität zu Fake News.

    Es grüßt
    Kurt Noll

    1. Habe den NZZ-Artikel noch einmal aufgerufen. Es war ursprünglich eine Kurznachricht gewesen, die nun nochmals reduziert wurde und der ganze Artikel inzwischen nur noch angemeldeten (zahlenden) Nutzern zur Verfügung steht. Das ist natürlich das gute Recht der NZZ, schade finde ich es aber, daß der Hinweis auf einen Artikel von l´Espresso der Eindampfung zum Opfer gefallen ist. Hier der Link (italienisch – die Mühe einer Übersetzung lohnt): http://espresso.repubblica.it/inchieste/2018/08/19/news/genova-tiranti-su-ponte-morandi-ridotti-del-20-per-cento-ministero-e-autostrade-sapevano-1.326085?ref=HEF_RULLO

      Grüße
      Kurt Noll

  4. Allmählich wagen sich mehr kritische Stimmen hervor, die kritisieren, wie schamlos sich der BenettonClan an den Autobahnen (und nicht nur) bereichert:
    https://www.petrareski.com/2018/08/17/die-bruecke-und-die-multikultimilliardaere/
    Die deutsche Qualitätspresse traut sich natürlich nicht, so deutliche Stimmen gegen die Provatisierung von Gemeingut (wie eben die Autobahnen) zu Wort kommen zu lassen. Unser Zwangsgebührenfersehen bislang natürlich auch nicht. Ganz anders klingt da schon das Schweizerische Fernsehen:

    https://www.facebook.com/100009237712502/videos/2106508153000421/

  5. sehr schön aufgedröselt, frau reski. allerdings nehmen Sie mir mit dem text wieder ein stück hoffnung, daß es in italien im allgemeinen und den deutschen medien im besonderen doch noch besser werden könnte.
    danke für Ihre analyse.
    (ich habe über das ZON-forum zu Ihrer seite gefunden. ist es möglich, Ihren blog zu abonnieren? ich bin technisch zu einfältig, das selbst herauszufinden)

    1. Auf der ersten Seite meiner Homepage befindet sich rechts unten das Symbol des RSS-Feeds, auf das müssen Sie klicken, um meinen Blog zu abonnieren.

  6. Ihrer Liste koennen Sie seit eben leider auch sehr prominent den Kommentar von Herrn Kienzle fuer die Tagesschau anfuegen. Ich bin wirklich froh dass es Sie gibt. Die Italuen-Berichterstattung vieler grosser deutscher Medien ist desastroes uninformiert, oberflaechlich, voreingenommen und einseitig, was mich ehrlich schockiert.

  7. Sehr verehrte Frau Reski,
    aktuell verdichtet sich der Verdacht, daß ein Teil der Tragseile des 3. Pylons versagt haben könnte und durch die plötzliche asymetrische Belastung den gesamten Pylon mit in die Tiefe gerissen hat. Bei dem ersten Pylon – von der Hügelkette aus gesehen – wurden nachträglich zusätzliche Tragseile gespannt und zwar außerhalb der Betonummantelung die die alten Tragseile umgibt. Nachdem was man so hört, war das aus technischer Sicht gesehen wohl in Ordnung – mutet aber irgendwie sehr provisorisch an. Wenn Sie oben das Bild Ihrer Blogseite betrachten, kann man dies bei dem rechten Pylon – wenn auch sehr vage – erkennen. Schauen Sie sich bitte die Schrägseile genau an, am besten das eine ganz rechts: Dort sieht man kleine schwarze Querstriche, das sind die Befestigungen über die die neuen Tragseile aufgezogen wurden. Es gab somit offensichtlich bereits Probleme damit. Ob wirklich fehlerhafte Wartung oder ausgebliebene Instandhaltung die Ursache des Unglücks war, bleibt abzuwarten. Falls ja, dann dürfte Familie Benetton in der Verantwortung stehen. Bei alledem sollte man das Leid der Menschen nicht aus den Augen verlieren und vielleicht einen Moment innehalten.
    In diesem Sinne verabschiede ich mich

    Kurt Noll

  8. 2. kleime Anmerkungen:
    1.Es heißt „das Marrativ“
    2. Was soll das „Multikulti“ in der Überschrift suggerieren? Man kann Ihrem Kommentar zu den Zuständen zustimmen oder nicht, aber dass irgendetwas an diesen Zuständen bei ÖPP-Projekten besser oder schlechter wäre, wenn Benetton nir auf weiße Haut gesetzt hätte, um bunte Mode zu verkaufen, ist ein bisschen absurd.

    1. Es geht beim Ausdruck „Multikultimillardäre“ darum, klarzumachen, dass das Unternehmen eine gesellschaftliche Tendenz lediglich für den Verkauf seiner Produkte genutzt hat, ohne die moralische Verpflichtung einzugehen, die damit verbunden ist.

    1. Auch ich neige zu dieser Ansicht! – Denn es sind deutlich auf dem Video
      – zwei Lichtblitze zu sehen und zu hören! Und sie hören sich nicht wie Donner sondern eher wie Sprengung an! Weiterhin
      – wurde auf so ein Gewitter gewartet, da der Regen
      – – den Schall dämpft
      – – Blitze zu einem Naturphänomen zuordnen lassen kann! (Verschleierung)
      – wer die Pfeiler sich ansieht, erkennt leicht, das pro Pfeiler ggf. nur zwei Ladungen genügen um diesen durch die Schwerkraft zu Fall zu bringen. Mit etwas Glück kommt es zu eigenresonanz, welche den Pfeiler dann nochmals in weitere Teilstücke zerbricht.
      – – und es sicher einen Gibt, der in einem Machtkampf „hinter den Kulissen!“ (MAFIA?) einen Vorteil damit gehabt hat – wer den neuesten Artikel in linke Zeitung dazu liest kann einen leichte Ahnung davon bekommen…
      Es wäre natürlich auch möglich in den Reihen der Konkurrenz wie auch bestimmter ander Player zu suchen, die bewirken wollen, dass die Autobahnen den aktuellen Firmeneigentümer wiedder aus den Händen gerissen werden!

      1. Sorry, aber das mit den Blitzen ist schon ad acta gelegt, wir brauchen hier auch keine weitere Verschwörungstheorie, die Realität reicht völlig aus.

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