Italienische Politik und andere Mysterien

Photo by Rajeevan MSN on Unsplash

„In der Liebe betrügt man, in der Politik ändert man seine Meinung“ – sagt einer der von Berlusconi gekauften Senatoren in „Loro 2“, den zweiten Teil von Paolo Sorrentinos Film über Berlusconi. Ein Film, der sehr schön, sehr poetisch und sehr traurig ist. Für Italien.

Es ist vielleicht der passendste Satz, um Italien zu beschreiben. Hier ändern nicht nur Politiker ihre Meinung, sondern auch Richter. Am Freitag wurde Berlusconi praktisch rehabilitiert, indem er wieder als wählbar erklärt wurde – nachdem er wegen Steuerhinterziehung dazu verurteilt war, eigentlich fünf Jahre lang keine öffentlichen Ämter auszuüben. Wenn sich jetzt ein Senator von Forza Italia zurückzieht, kann ihn Berlusconi sofort ersetzen.

Um so wichtiger war der Moment, der in den italienischen Tageszeitungen nur am Rande aufgetaucht ist, obwohl er die italienische Politik besser erklärt, als drei Hauptseminare Politikwissenschaften: Es war, als Berlusconi am Ende der „Beratungsgespräche“ im Präsidentenpalast darum bat, den Präsidenten ein paar Minuten allein zu sprechen. Für Cicero habe ich mal wieder versucht, die italienische Politik zu erklären:

 

Die Schwanzschläge des Krokodils

Bereits am Sonntag sollen die Koalitionsverhandlungen zwischen Lega und Fünf-Sterne enden. Möglich wurde dies, weil Silvio Berlusconi seine Forza Italia zurückgezogen hat. Trotzdem bleibt er eine Schlüsselfigur in der italienischen Politik

Und am Ende, als alle das Krokodil für erledigt hielten, hat es mit einem einzigen Schwanzschlag wieder alles umgeworfen: Silvio Berlusconi hat den Weg für eine Regierung der Parteien Fünf-Sterne und Lega freigemacht, indem er sich und seine Partei Forza Italia aus der Allianz mit der Lega zurückgezogen hat. Forza Italia kündigte eine „wohlwollende Enthaltung“ bei der Vertrauensfrage für eine Regierung Lega-Fünf-Sterne an – ein weiteres Oxymoron der an logischen Widersprüchen reichen italienischen Politik. So soll nun bis Sonntag die neue Regierung stehen.

Warum Berlusconi diesen Schritt gemacht hat? Natürlich, weil er Neuwahlen fürchtet, genauso wie sein politischer Widersacher Matteo Renzi von der Demokratischen Partei. Laut Umfragen liegt Berlusconis Forza Italia bei 10 Prozent, Renzis Demokratische Partei bei 15 oder sogar 12 Prozent. Renzi hat in seiner zweijährigen Regierungszeit viele politische Niederlagen eingefahren und so seine Partei zum schlechtesten Wahlergebnis in der Geschichte der italienischen Linken geführt. Er ist nicht mehr Generalsekretär, sondern einfacher Senator – bestimmt aber unverändert die Geschicke der unrettbar masochistisch veranlagten Demokratischen Partei. Für Renzi und Berlusconi wären Neuwahlen ihr politisches Ende. Auch aus diesem Grunde jubelte Renzi nach Berlusconis Ankündigung. Er kündigte seinerseits an, es sich jetzt mit Popcorn gemütlich zu machen und zuzusehen, wie die neue Regierung vor die Wand fährt.

Der unsichtbare Gast
Die mögliche Koalition verfügt über 346 Stimmen und hat damit 30 mehr als notwendig. Im Falle von Neuwahlen wäre es für Berlusconi bereits ein Traumergebnis, noch mal zehn Prozent zu erlangen. Außerdem ist die Finanzlage seines Medienimperiums angeschlagen. Klar, dass es da besser ist, minimal an der Regierung beteiligt zu sein, als von draußen zusehen zu müssen, wie Gesetze verabschiedet würden, die sein Ende besiegeln. Und genau das ist der Knackpunkt der Verhandlungen zwischen den Fünf-Sternen und der Lega: Berlusconi wird nicht tatenlos zusehen, wenn (notwendige) Gesetze zum Interessenskonflikt und über seine große Medienkonzentration verabschiedet werden.

Die Frage ist: Wie weit zieht der Lega-Chef Matteo Salvini mit? Und mit wem? Tatsächlich mit den Fünf-Sternen oder doch mit seinem Bündnispartner, dem Krokodil? Im Senat bringen es Fünf-Sterne und Lega lediglich auf eine Mehrheit von acht Stimmen. Da kommt Berlusconis Ankündigung ins Spiel, gegebenenfalls ein paar von den „Hungerleidern“ der Fünf-Sterne-Bewegung zu kaufen, die nicht bereit sind, sich an die parteiinterne Regel zu halten, einen Teil ihres Gehalts in einen Fonds für Mikrokredite für Kleinunternehmer einzuzahlen.. Berlusconi sitzt also wieder mal als unsichtbarer Gast mit am Tisch. Auch weil er in Kommissionen vertreten sein wird, die traditionell den Oppositionsparteien vorbehalten sind, also Berlusconis Forza Italia und Renzis Demokratischer Partei.

Ein kleiner Gefallen
Und deshalb war in diesen Tagen der italienischen Regierungsbildung ein kleiner Moment viel aussagekräftiger, als jeder Kommentar und jede blumige und noch so kämpferische Ankündigung der Wahlsieger Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, und Matteo Salvini. Es war, als der 81-jährige Berlusconi nach dem letzten Beratungsgespräch im Präsidentenpalast um einen kleinen Gefallen bat. Darum, ein paar Minuten mit dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella unter vier Augen sprechen zu können. Nein, um die Regierungsbildung sei es ihm nicht gegangen. Sondern stattdessen habe er versucht, den Staatspräsidenten zu überzeugen, sich für die vorzeitige Haftentlassung des wegen Unterstützung der Mafia einsitzenden Freundes Marcello Dell’Utri einzusetzen.

Dell’Utri, ehemaliger Senator, Gründer von Forza Italia und rechte Hand von Berlusconi, sitzt seit 2014 in Gefängnis, verurteilt zu sieben Jahren Haft. Seine Anwälte haben sich bereits mehrmals vergeblich um seine vorzeitige Entlassung bemüht. Sie wiesen darauf hin, dass ihr illustrer Klient an der Prostata, an Herzbeschwerden und einer Diabetes leide. Die Gerichte lehnten jedoch ab und wiesen darauf hin, dass sein Gesundheitszustand mit den Haftbedingungen kompatibel sei. Die Haft habe ebenfalls erzieherischen Charakter. Der sei umso notwendiger, als die Gesundheitsprobleme Dell’Utri im Jahr 2014 auch nicht davon abgehalten haben, in den Libanon zu flüchten, um der Haft zu entgehen. Jetzt sei die Fluchtgefahr noch immer groß, da er erst vor wenigen Wochen zu weiteren zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Die Gerichte sahen es als bewiesen an, dass Dell’Utri der „Transmissionsriemen“ zwischen der Forderungen der Mafia und der Regierung Berlusconi war.

Der Tumor der italienischen Politik
Das ist die traurige Realität in Italien. Silvio Berlusconi ist vorbestraft, darf nicht bei Wahlen kandidieren und für fünf Jahre kein politisches Amt ausüben. Trotzdem darf er den Präsidentenpalast betreten und Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung führen. Für ihn ist es normal, einen Staatspräsidenten, dessen Bruder von der Mafia ermordet wurde, darum zu bitten, seinen wegen Unterstützung der Mafia verurteilten Freund aus der Haft zu entlassen. Das hat viele Italiener verbittert – nicht zuletzt die 11 Millionen Italiener, knapp 33 Prozent, die für die Fünf-Sterne-Bewegung gestimmt haben.

Dass ein politischer Führer die Politik ausschließlich für seine persönlichen und unternehmerischen Interessen nutzt, ist eine Anomalie, die sich durch die italienische Politik der vergangenen 25 Jahre zieht. Unter dem wohlwollenden Blick der EU übrigens. Diese protestierte nicht, als sich Mitglieder von Forza Italia der Europäischen Volkspartei anschloss.

Berlusconi ist der Tumor der italienischen Politik, gegen den nichts hilft. Berlusconi schaffte es, die italienische Linke in eine seiner Krücken zu verwandeln, auf die er sich stützen konnte, wenn es anders nicht mehr ging. Es gelang Berlusconi, Umberto Bossis Meuterei gegen ihn niederzuschlagen und die Lega in einen Selbstbedienungsladen für Parteifunktionäre zu verwandeln. Und er war es auch, der letztlich den Anstoß für die Entstehung der Fünf-Sterne-Bewegung gab. Die lehnte sich dagegen auf, dass es jahrzehntelang keine echte Opposition gegen Silvio Berlusconi gab. Um so mehr grummelt es jetzt im Bauch der Fünf-Sterne-Basis – jenen „Grillini“, die für Berlusconi vor ein paar Tagen noch gerade gut genug waren, bei seinem Fernsehsender Mediaset die Toiletten zu putzen.

Bangen um politische Ziele
Natürlich: Die Einigung mit Salvini war für die Fünf-Sterne alternativlos. Die Gespräche mit Demokratischen Partei waren gestoppt worden, noch bevor sie angefangen hatten, als Renzi in der Talkshow „Che tempo che fa“ sein „Nein“ sprach. Jetzt bangt die Basis der Fünf-Sterne darum, dass ihre politischen Ziele auch von der Lega geteilt werden: Wird der Gesetzesvorschlag zur Lösung des Interessenskonflikt in den Koalitionsverhandlungen auftauchen? Wie wird es aussehen mit den Antimafia-Gesetzen? Mit Gesetzen gegen Steuerhinterziehung? Mit Antikorruptionsgesetzen? Wie weit wird Salvini gehen? Sollte die Regierung abgesegnet werden, muss sie sofort über eine umstrittene Rechtsreform zur Regelung der Abhörpraxis und eine Haftstrafenreform entscheiden und außerdem die Geheimdienstchefs, Polizeichefs und den Rundfunkrat ernennen. Zentrale Fragen, auch für Berlusconi.

Staatspräsident Mattarella versucht, die beiden Koalitionspartner schon jetzt auf Europakurs zu bringen. Er wird auch die Liste der Minister absegnen. Zu hoffen ist dabei, dass er sich besser verhält als sein Vorgänger Giorgio Napolitano, der den Antimafia-Staatsanwalt Nicola Grattieri als Justizminister verhindert hat. Damit tat er Berlusconi und der Mafia einen großen Gefallen. In den kommenden Tagen, wenn die Namen der Minister und des Premierministers (weder Salvini noch Di Maio), bekannt gegeben werden, wird sich herausstellen, ob das Krokodil wirklich tot ist. Oder ob noch weitere Schwanzschläge zu befürchten sind.