An diese Passage aus „Bei aller Liebe“ musste ich denken, und daran, dass man in Italien Il tempo è galantuomo sagt, die Zeit ist ein Gentleman, als ich auf der Liste der 186 Verhafteten der Mafia-Razzia „Stige“ (Styx) den Namen eines „erfolgreichen italienischen Unternehmers“ las – ein alter Bekannter, über dessen erstaunliche Karriere, Fähigkeiten und Freundschaften ich bereits in Mafia und Von Kamen nach Corleone geschrieben habe. Seine wichtigste Freundschaft war natürlich die zum ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger – der aber, wie Oettinger zu versichern nicht müde wird, schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm hat.
Wie traurig, dass Jürgen Roth das nicht mehr erleben durfte, er hat sich diesem „erfolgreichen italienischen Unternehmer“ ebenfalls oft gewidmet. Ganze Journalistengenerationen haben sich an dem Oettingerfreund die Finger wundgeschrieben – während die Staatsanwälte erfolglos gegen ihn ermittelten: die Staatsanwaltschaft Stuttgart erfolglos wegen Geldwäsche und Drogenhandels, die kalabrischen Staatsanwälte erfolglos wegen Mafiazugehörigkeit: Die Richter sprachen ihn vom Vorwurf der Mafiazugehörigkeit frei, weshalb er daraufhin, wie das BKA vermerkte, in Stuttgart wieder rauschende Feste feierte. Schon im Jahr 2008 stellte er seine besonderen Fähigkeiten unter Beweis, die, wie es italienische Staatsanwälte vermuteten, bei der großen Wahlfälschungskampagne italienischer Wählerstimmen im Raum Stuttgart und Frankfurt zum Einsatz kamen: In Stuttgart sorgte der ‘Ndrangheta-Clan Arena zusammen mit dem Clan Farao bei der Europawahl 2008 dafür, dass die Stimmen der italienischen Gemeinschaft dem Senator Nicola Di Girolamo zugute kamen – der 2010 festgenommen und bald darauf als Angeklagter des Fastweb-Telecom-Geldwäscheskandals verurteilt wurde: eines der größten Betrugsskandale, der selbst die skandalgewöhnten Italiener überraschte. (Millionengewinne dank falscher Rechnungen über denVerkauf nicht existierender Telefonkarten und Telefonate). Damals fand ich sehr interessant, wie mir ein deutscher Staatsanwalt in Stuttgart erklärte, dass man gegen die Fälschungen italienischer Wählerstimmen in Deutschland leider, leider nichts tun könnte, dazu gäbe es gar keine Gesetze, das sei allein eine „italienische Angelegenheit“.
Letztendlich ist es immer ein „italienische Angelegenheit“, wenn die Mafia in Deutschland mal wieder entdeckt wird, und, wie es sich für das zupackende Deutschland gehört, natürlich auch gleich zerschlagen wird: Schlag gegen die Mafia oder Elf Festnahmen – Polizei zerschlägt Mafia-Clan oder Deutschland und Italien schlagen gegen die Mafia zurück – das ZDF änderte sogar sein Programm weil es den Weißkragen der Mafia an den besagten ging. Der einzige lesenswerte Kommentar war der in der TAZ:
Die Verhaftungen seien „ein wichtiger Erfolg gegen die Unterwanderung unserer Wirtschaft“, sagt nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). „Wir lassen es nicht zu, dass kriminelle Organisationen wie die Ndrangheta Deutschland als Rückzugs- und Investitionsraum nutzen und hier ihr kriminelles Geschäft erledigen.“ Dafür ist es natürlich zu spät. Die ‚Ndrangheta hat sich längst in Deutschlands Mitte eingekauft, besitzt insbesondere im Osten wahre Gastronomie-Imperien.
In Deutschland beschäftigen die Mafiosi inzwischen ganze Anwaltskanzleien, die jede kritische Berichterstattung sehr genau beobachten und gerichtlich zu verhindern versuchen – koste es, was es wolle, Geld haben sie ja nun wirklich genug
Kapital ist ein scheues Reh und im boomenden Deutschland ein so gern investierter wie gesehener Gast. Wer denkt, dass seien doch letztlich nur Milliarden-Peanuts und Panikmache, der könnte genau hinhören, wenn die Carabinieri den Begriff „radikal“ benutzen, was die Methoden, vor allem aber was die Zielsetzung der ‚Ndrangheta angeht.
Denn was da heute so eifrig bejubelt wurde, ist de facto ein Armutszeugnis für Deutschland. Die deutschen Gesetze hätten nicht mal für einen Haftbefehl ausgereicht: Die Zugehörigkeit zur Mafia ist bis heute kein Strafbestand in Deutschland. Die Italiener hatten einen Antrag auf Rechtshilfe gestellt, daraus wurde dann ein europäischer Haftbefehl. Ohne die Italiener wäre kein einziger der in Deutschland lebenden Mafiosi festgenommen worden – was nicht der Fehler der deutschen Polizei oder der deutschen Ermittlungsbehörden ist, sondern allein der mangelnden deutschen Gesetze, die, remember, von den Politikern gemacht werden, die wir wählen.
Anyway. 186 Personen wurden verhaftet, 11 davon in Deutschland. Ihnen wird versuchter Mord, Erpressung, Geldwäsche und Verstoß gegen das Waffengesetz, internationale Kfz-Verschiebung, illegaler Handel und illegale Verschiebung von Müll bis hin zu unlauterem Wettbewerb vorgeworfen. Sie übten ein Monopol auf ganze Wirtschaftszweige aus, darunter die Herstellung und der Verkauf von Lebensmitteln. Egal ob Fisch, Wein oder Pasta: Sie zwangen die italienischen Restaurants in Deutschland zur Abnahme ihrer Waren. Der gesamte Fischmarkt im Stuttgarter Raum: ein Monopol des Clans Farao. Und alle italienischen Restaurants unter der Kontrolle der Clans der ‘Ndrangheta.
Mich haben die Verhaftungen gestern an eine besorgte Frage erinnert, die mir bei jeder Lesung gestellt wird: Zahlen die italienischen Restaurants in Deutschland der Mafia etwa Schutzgeld?? Ich antworte dann immer etwas gebetsmühlenartig, dass die Mafiosi längst nicht mehr unelegant in ein Restaurant einfallen, Schutzgeld verlangen und am Ende das Restaurant anzünden (wie in den 80er Jahren geschehen, als selbst die Deutschen misstrauisch wurden). Stattdessen werden die italienischen Restaurantbesitzer seit langem gezwungen, die Waren gegen einen überhöhten Preis einem bestimmten Lieferanten abzunehmen. So wie in den Akten jetzt davon zu lesen war, wie jemandem plötzlich 50 Kisten Wein geliefert werden, die er nicht bestellt hat. Und dem Restaurantbesitzer, dem den Wein nicht annehmen möchte, ein Foto seiner in Italien lebenden Verwandten gezeigt wird. Der Witz an der Sache ist, dass ein deutscher Richter an dieser Stelle sagen würde: Ja, wo ist denn das Problem, wenn einfach nur ein Foto von Verwandten gezeigt wurde, ist das doch keine Drohung!
Ein paar Zahlen gefällig?
- 23 Milliarden Euro Umsatz macht die Mafia jährlich allein in der Agrar- und Lebensmittelindustrie (gefälschte Lebensmittel, gefälschtes “Made in Italy”)
- 562 italienische Mafiosi leben nach Auskunft des BKA in Deutschland, 333 davon gehören zur ‘Ndrangheta.
- Pro Jahr werden jährlich von der Mafia mindestens 100 Milliarden Euro in Deutschland gewaschen.
- 150 Milliarden Euro setzt die Mafia jährlich um, davon sind 105 Milliarden Euro Reingewinn.
- Die ‘Ndrangheta ist die reichste und damit auch gefährlichste italienische Mafiaorganisation: mit ihren geschätzten knapp 53 Milliarden Euro Jahresumsatz wäre sie Italiens viertgrößtes Unternehmen – nach den italienischen Energiekonzernen Eni und Enel und nach Exor, der Investmentgesellschaft der Firma Agnelli.
Zum Schluss noch ein paar Sätze aus den Ermittlungsakten:
„… der Kaffee, das ist für uns so viel Wert wie das weiße Zeug“ (Will heißen, dass man dank der Erpressung der italienischen Lokale in Deutschland allein mit dem Kaffee so viel wie mit Kokain verdient)
“ … an dem Abend, als sie uns angehalten haben, und wir neunzig Euro Strafe zahlen mussten, hat Gott sei Dank die Computerverbindung nicht funktioniert, sonst wären wir echt am Arsch gewesen, ich meine, Vittorio war dabei, die hätten uns sofort mitgenommen.“ (als die Mafiosi in Deutschland von einer Streife kontrolliert wurden)
„Melsungen muss so rein wie eine Kirche bleiben! Weißt du überhaupt, was Kirche bedeutet? Melsungen muss so sauber wie eine Kirche bleiben, weil unsere Freunde kommen und gehen, und sie dürfen uns nicht mit ihrem Scheiß auf den Sack gehen, hast du das kapiert, du Vollidiot?“
„Waschen, waschen, hier geht es nur um die große Wäsche, und es gibt hier nur diese Wäscherei in Deutschland!“
Geldwäscheprävention in Germania
Auszug aus dem Artikel „Selbst der Fiskus blickt nicht mehr durch“ von Manfred Schäfers – aus der FAZ vom 17.02.2018:
„Viele Bürger suchen schon lange ihr Heil mit Hilfe eines Steuerberaters, vor allem diejenigen, die nicht nur vom Arbeitslohn oder von der Rente leben. Und auch ihr Verhältnis wird nicht einfacher, wie ein Brief zeigt, den ein sichtlich verzweifelter Berater seinen Mandanten geschickt hat. Er verweist auf die Zwänge aus dem neuen Geldwäschegesetz und schreibt: „Wundern Sie sich bitte nicht, wenn diese Pflichten, die wir nachfolgend aufzeigen, auch den Rentner, der nur eine Rente erhält, den Arbeitnehmer, der nur Lohn/Gehalt bezieht, oder die Hausfrau, ohne eigene Einkünfte, die mit ihrem Ehemann zusammen veranlagt wird, und schließlich sogar das minderjährige Kind, das mit den Eltern steuerlich zusammen veranlagt wird, betreffen.“ Der Gesetzgeber zwinge ihn, von allen Personen eine Kopie des aktuellen Personalausweises oder bei Minderjährigen eine Kopie der Geburtsurkunde anzufordern. Als Berater müsse er alle überprüfen, auch wenn er es selbst als völlig ausreichend ansehe, das auf risikobehaftete Personen und Geschäftsmodelle zu beschränken. „Wir bedauern außerordentlich, in einer derartigen Weise als Büttel des Staates missbraucht zu werden“, stellt er klar.“
Und da sage einer, hier in Germania ginge es nicht vorwärts. Damit wäre doch alles lückenlos abgedeckt bis auf ………. na ja, das gibt´s in Deutschland sowieso nicht.