Wie eigentümlich doch, dass ausgerechnet die Deutschen zu den größten Liebhabern Siziliens gehören. Der FAZ-Journalist Andreas Rossmann gehört dazu.
Mit diesem Satz habe ich den Text über Andreas Rossmanns Buch „Mit dem Rücken zum Meer“ vor ein paar Wochen angefangen. Man muss seine eigenen Sätze nur etwas liegen lassen, schon merkt man, was man sich da für einen Quatsch zusammenfaselt. Denn warum zum Teufel sollte diese Liebe eigentümlich sein und nicht viel mehr naheliegend?
Und damit meine ich nicht die gerade Linie, die über den Stauferkönig Friedrich II. und Goethe direkt zu Andreas Rossmann führt (die auch). Also das mit dem „Ewigen Sommer“ und dem „Endlich den atlantischen Tiefausläufern entkommen“. Nicht umsonst stellte Goethe fest: „Vom Klima kann man gar nicht Gutes genug sagen.“ Aber er schrieb auch: „Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier erst ist der Schlüssel zu allem.“
Andreas Rossmann hat das mit der Seele in seinem sizilianischen Tagebuch wörtlich genommen. Er ist ihr auf den Leib gerückt: dem marokkanischen Koch, der in Santa Flavia sizilianisch kocht, dem Müllsammler am Strand von Porticello, Leonardo Sciascias Großneffen, die in Racalmuto, dem Geburtsort des Schriftstellers leben, wo der Tag der Eule gerade fortgeschrieben wird, weil die Stadtverwaltung wegen Mafia-Infiltration unter Zwangsverwaltung steht. Die Fotografin Letizia Battaglia erinnert am Tag der Wahl des Sizilianers Sergio Mattarella zum Staatspräsidenten an den Moment, als sie fotografiert hat, wie sein tödlich verwundeter Bruder Piersanti Mattarella nach dem Mafia-Attentat aus dem Auto gehoben wurde. Und die Pensionswirtin in Syrakus preist ihren Schwiegervater, weil sie mit seinen Geburtsdaten nach seinem Tod zweihunderttausend Euro im Lotto gewonnen hat.
Es sind kleine sizilianische Skizzen, mit denen Andreas Rossmann zusammen mit den Fotos von Barbara Klemm die sizilianische Seele näher bringt – eine Seele, die im Übrigen, und da liegt der Grund für die Wahlverwandtschaft zwischen Deutschen und Sizilianern, stets von einer gewissen – sonnengetränkten – Schwermut geprägt ist. Ja, so etwas gibt es. Nicht nur bei heimwehkranken Emigranten, sondern auch bei deutschen Immigranten, wie dem ehemaligen Kaufhof-Abteilungsleiter, der sich nach Sizilien verzehrte, seitdem er sich als Student in eine Sizilianerin verliebte, was ihn vierzig Jahre später dazu brachte, als Rentner nach Sizilien zu ziehen.
Meine persönliche Lieblingsstelle ist die, die im Krankenhaus von Trapani spielt, als Herr Rossmann auf Drängen seiner Frau (Ärztin!) wegen gewisser Kreislaufstörungen eingeliefert wird. Die ist von erhabener Komik. Im Selbstversuch nimmt der Autor das berüchtigte sizilianische Gesundheitssystem in Augenschein („schon schiebt mich eine Krankenschwester durch endlose Gänge … Patienten mit bandagierten Händen, Nasentamponaden … der nächste Patient … trägt – wir sind in Sizilien – Handschellen und wird von einem Carabiniere eskortiert“) – das sich als erstaunlich reibungslos erweist und kostenlos dazu, wie in Italien üblich. Am Ende bekommt der Autor nicht nur den Befund von Gallensteinen mit auf den Weg, sondern auch noch einen Reisetipp: nicht nach Favignana, sondern nach Levanzo zu fahren. Wegen der Felszeichnungen in der Grotta del Genovese.
Und was den Titel betrifft: In der Tat schätzen die Sizilianer das Meer nicht. Lu mari è amaru, „Das Meer ist bitter“ lautet eines der vielen Sprichwörter, mit dem der Schrecken des Meeres hier beschworen wird. Mari, focu e fimmini, Diu nni scanzai „Meer, Frauen und Feuer – davor möge Gott uns beschützen“. Schließlich kam alles Schlechte vom Meer, Piraten, Eroberer, Feinde. Und heute auch noch die Flüchtlingsschiffe mit den Afrikanern. Und wenn man das Meer schon nicht beseitigen kann, dann möchte man es wenigstens ignorieren. Wenn man Sizilianer ist.
Aber wenn man Deutscher ist, möchte man am liebsten morgen wieder hinfahren. Auch dank dieses Buches.