Und wieder, liebe Kinder, war Zeit für die Märchenstunde. Endlich wieder eine schöne David&Goliath-Geschichte, endlich mal wieder etwas für die zarten Seelen da draußen, die nach good news dürsten.
Offenbar ohne jede Nachfrage wurde gestern eine ministerielle Propaganda-Nachricht auf allen Kanälen durch die Medien geblasen: Tagesschau titelte „Ciao Crociera“, Spiegel online bejubelte das „Ende für die Kreuzfahrtkolosse“ und genauso ging es weiter bei Focus, der FAZ, der Welt, der Süddeutschen Zeitung etc.pp.
Das einzige Problem daran: Es stimmt nicht. Genauso wenig wie Dornröschen vom Prinzen wachgeküsst wurde, genauso wenig ändert sich an der Zerstörung der venezianischen Lagune durch die Kreuzfahrtschiffe.
Hier ist der Begriff Fake News endlich mal angebracht (früher haben wir so etwas übrigens Ente genannt): Es stimmt nicht, dass keine Kreuzfahrtschiffe mehr durch Venedig fahren sollen, geplant ist lediglich, dass sie nicht mehr am Markusplatz vorbeifahren, sondern eine andere Route nehmen sollen, weil es eben sehr kontraproduktiv ist, wenn jeder Tourist mit seinem Smartphone diesen Skandal dokumentieren kann. Jetzt sollen sie nur hintenrum fahren, damit bedeutet das: Aus den Augen, aus dem Sinn. Für die Lagune und den Schaden, der durch die Kreuzfahrtschiffe entsteht, bedeutet das keinerlei Veränderung.
Dadurch würden jetzt noch grössere (!!!) Kreuzfahrtschiffe (diejenigen mit mehr als 40 000 Bruttoregistertonnen) Venedig anfahren – die in Marghera anlegen und über den tiefer auzubaggernden Kanal Vittorio Emanuele und den Canale dei Petroli fahren sollen. Was eine noch viel größere Belastung für die Lagune darstellt.
Es ist genau so skandalös, wie hier vom Comitato Nograndinavi beschrieben: Dass ein Minister, der kurz vor dem Ende seiner Amtszeit steht, eine schwerwiegende, skandalöse, die Umwelt schädigende Entscheidung trifft – die Lagune also den Interessen der Kreuzfahrtschiffbetreiber opfert, und nicht nur ihnen, sondern auch allen anderen obskuren Interessenten, den Finanziers (um jetzt nicht das böse, böse Wort „Mafia“ zu benutzen) und Immobilienbesitzern – und dafür auch noch von komplett ignoranten und servilen Journalisten gefeiert wird.
Denn solange jeder, der Zeuge davon wird, wie die Marmorsäulen des Markusplatzes vor den vorbeiziehenden schwimmenden Wolkenkratzern zu Stecknadeln schrumpfen, ahnen kann, dass hier etwas nicht stimmt, (auch wenn er nichts weiß über die Folgen des Drucks von tausenden Tonnen Wasser auf die fragilen Ufer Venedigs, über die Verseuchung der Lagune durch hochgiftige Benzopyrene von den Schiffsrümpfen, den Elektrosmog durch die Radaranlagen, die Feinstaubbelastung und dem Zusammenhang mit der amtlich anerkannten „signifikanten Zunahme an Lungentumoren“: Venedig ist die Stadt mit der höchsten Lungenkrebsrate in Italien.) – so lange hat Venedig ein kleines Image-Problem.
Das zu lösen, haben sich die Journalisten echt bemüht. Toll.
Wobei natürlich niemand erwähnt, dass der venezianische Hafen ein Hafen inmitten einer Lagune ist, die für Riesenschiffe naturgemäß nicht tief genug ist. Um den Hafen für die Petrochemieanlage von Marghera nutzen zu können, wurden einzelne Kanäle tiefer gegraben: Der Canale dei Petroli (auch genannt Malamocco-Kanal) war bereits seit den 1970er Jahren als größter Verursacher der Zerstörung der Lagune ausgemacht – und sollte, einstimmig vom italienischen Parlament beschlossen, eigentlich beseitigt werden. Diese Fahrrinne für Großtanker, der Malamocco-Kanal, wurde in den 1960er Jahren ausgehoben. Ursprünglich 15 Meter tief gegraben, hat ihn die Erosion bis auf 20 Meter ausgespült, an einer Stelle sogar auf 59 Meter. Dadurch gelangt bei Flut immer mehr und immer schneller Meerwasser in die Lagune – die einst 40 Zentimeter flach war und heute 2,5 Meter tief ist. Das Hochwasser in Venedig ist von Menschen gemacht.
Und die Medienkrise ist von Journalisten gemacht. Denn solange sie solche ministeriellen Propaganda-Nachrichten unkritisch in die Welt blasen, darf sich niemand darüber wundern, dass das Vertrauen der Menschen in die Medien schneller schwindet, als die Zahl der letzten Venezianer.
Hallo Frau Reski,
vielleicht haben mich Ihre Bücher für dieses Thema sensibilsiert, vielleicht sind Venedigs Probleme endlich auch in Deutschland bei den Medien angekommen – Berichte über Venedig springen mich inzwischen regelrecht an. Wie auch immer, hier ein Link zur FAZ mit einem Artikel und einem kleinen Video über Venedig vom 02.12.2017 (falls Sie inzwischen nicht schon selbst fündig geworden sein sollten).
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/venedig-leidet-unter-klimawandel-und-touristenansturm-15319901.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
Beste Grüsse
Kurt Rüdiger Noll
Sehr geehrte Frau Reski,
Wir leben in der Nähe von Hamburg und auch unsere Zeitung „Buxtehuder Tageblatt“ hat diese „Ente“ unter der Überschrift „Die Kreuzfahrtriesen sollen draußen bleiben“ übernommen.Die Zeitung schreibt: Der europäische Kreuzfahrtverband CLIA warnt vor einer Verbannung der Kreuzfahrtschiffe aus Venedig. Gründe: Die Branche beschäftige 4300 Menschen in der Region; 283Millionen Euro würden jährlich durch die Reedereien und ihre Passagiere in die Stadt gepumpt Und jetzt der Hammer: „Die Kreuzfahrtindustrie ist nicht nur gut für die Wirtschaft der Stadt, sondern bemüht sich intensiv um die langfristige Erhaltung der Umwelt und des kulturellen Erbes von Venedig? Jetzt wissen Sie klipp und klar, wem Venedig in Zukunft seinen Fortbestand zu verdanken haben wird.
Wie Sie ganz richtig schreiben, sind auch die Medien, die solche Sachen kommentarlos verbreiten schuld, dass die Leser alles glauben.Ich bin aber auch überzeugt, dass die Kreuzfahrtindustrie Reedereien, Touristikverbände etc. die Zeitungen durch Anzeigen und sonstige Vergünstigungen (wenn man das mal so nett wertfrei ausdrücken will)gnädig stimmen. Und gerade in Regionen wie Hamburg, die den Kreuzfahrtboom auch wohlwollend betrachten, weil finanziell soviel davon abhängt, ist man mit Kritik sehr sparsam und verschweigt schamhaft die Nachteile. „Ein Kreuzfahrtschiff verursacht soviel Abgase wie 5 Millionen PKW“ sagt der NABU.
In diesem Sinne viele Grüße aus Hamburg
Helga Pehrke
Venedig – Ausverkauf eines Juwels? (Film SWR-3, 45 Min)
Der Film ist nun auch in der Mediathek des SWR zu sehen, hier der Link für alle die es interessiert: http://swrmediathek.de/player.htm?show=0c851080-cae8-11e7-a5ff-005056a12b4c
Als Leser des Blogs von Frau Reski erfährt man allerdings nicht allzu viel neues. Es lohnt sich dennoch den Film anzusehen (auch wegen der schönen Bilder). Der Film greift fast alle Probleme auf: riesige Schiffe, Wasserverdrängung, Gebäudeschäden, schädliche Abgase, Touristenmassen, fehlende Wohnungen bedingt durch airnb, fehlende Geschäfte für den täglichen Bedarf usw.. Es kam eine Stadträtin mit einigen Vorschlägen zu Wort. Unter anderem schlug sie vor, sich mit 4, 5 anderen Touristenorten zusammenzuschliessen um dann mit airnb über eine Verbesserung der Wohnungsssituation für die Einheimischen zu verhandeln. In Italien ist es sicherlich ebenso schwer wie in Deutschland, gleichlaufende Bündnisse mit anderen Städten zu schmieden – vermutlich ein aussichtsloses Vorhaben. Aber warum Bündnisse mit anderen Städten? Ist es der Stadtverwaltung von Venedig nicht möglich, airnb in vernünftige Schranken zu verweisen? Z.B könnte man als Hebel, das Baurecht, Gewerberecht und Steuerrecht ansetzen. Letzen Endes wird es schwierig sein, eine wirksame Kontrolle zu implementieren – aber so wie es derzeit ist, stellt es zudem noch eine vortreffliche Möglichkeit dar, Geld an der Steuer vorbei zu verdienen (wird auch im Film thematisiert). Und das auf dem Rücken derer, die sich in Venedig keine Wohnung mehr leisten können. Bei allem Respekt, ich hatte den Eindruck, der Stadträtin fehlt das Interesse die jetzige Situation zu korrigieren, da andere Interessen für die Stadtverwaltung eher Priorität haben könnten – vielleicht aber auch, weil das Geld für weitergehende Massnahmen nicht vorhanden ist.
Ein weiterer interessanter Punkt war noch, dass zwei deutsche Umweltschützer Luftmessungen vornahmen, welche katastrophal ausfielen. Nicht ersichtlich war leider, ob die Luftverschmutzung nur von den Kreuzfahrtschiffen verursacht wurde, oder ob nicht die Petrochemieanlage von Marghera, als auch die dort möglicherweise anlegenden Tank-/Containerschiffe mit verantwortlich sein könnten.
Eines ist jedenfalls sicher, die durch die hohe Wasserverdrängung der grossen Kreuzfahrtschiffe entstehenden Schäden, werden die Stadt zerstören – die Zeit drängt.
Ja, ich habe den Film gesehen und mich gefreut, dass die richtigen Leute befragt wurden! Und, ja, Bündnisse mit anderen Städten, sind eine gute Idee, aber nicht auf offizieller Ebene: Wie aus dem Film auch hervorging, haben sich die Stadträte von Florenz, Rom und Venedig wohl getroffen – ohne aber irgendeine Beschränkung für Airbnb zu beschließen. Und ja, der venezianischen Stadträtin fehlt definitiv der politische Wille, an dieser Situation etwas zu ändern. Es sind bislang nur die Bürgerinitiativen, die sich dagegen (erfolglos) zur Wehr setzen.
Hallo Frau Reski,
heute Abend kommt im deutschen Fernsehen (SWR-3, 20:15) eine 45-minütige Sendung mit dem Titel „Venedig – Ausverkauf eines Juwels?“. Ob es in den nächsten Tagen noch in deren Mediathek abrufbar sein wird, ist noch nicht erkennbar. Habe vor kurzem ein paar Photos gesehen, mit der MSC Musica vor dem Markusplatz – schrecklich. Man hatte nicht das Gefühl, hier Venedig zu sehen, sondern eher so etwas ähnliches wie „Legoland“. Sowohl dieses Problem, als auch das der Touristenmassen in der Stadt selbst, dringt, so nach und nach, immer mehr in das Bewusstsein der ausseritalienischen Öffentlichkeit. Ich denke, dies ist wichtig, da vermutlich die meisten Kreuzfahrten ausserhalb Italiens gebucht werden – vielleicht werden es bald ein paar weniger.
Grüsse von Kurt R(Punkt) Noll
Vielen Dank !
Sie bestätigen was ich vermutet habe (mein Italienisch ist nicht gut genug um’s zu lesen). Bei den Meldungen dt. Printmedien auch hierzu war und bin ich eh skeptisch. (smh)
Auch Ihr letzter Satz : traurig jedoch wahr.
Und es tut mir so leid um (hier) Venedig – neoliberaler Kaputtkapitalismus über alles.