Natürlich, verehrte Blogleser, haben Sie schon ungeduldig auf meine seit Jahren bewährte einseitige Berichterstattung über das venezianische Filmfest gewartet, in die ich so spät einsteige, weil ich andere, wichtigere Dinge zu tun hatte (Was meinen Sie, wie anstrengend es sein kann, auf Partys herumzustehen). In der Zwischenzeit hat natürlich bereits selbst das letzte Online-Zipfelchen sein Urteil abgegeben: über den Eröffnungsfilm (Downsizing, diese Schrumpf-Dystopie, Sie wissen schon: Klimawandel und andere Auswirkungen der Überbevölkerung sollen dadurch bekämpft werden, dass man die Menschen verkleinert), Ai Weiweis Migrationsdokumentation The Human Flow, der mich, auch wegen des Themas meines letzten Romans „Bei aller Liebe“ besonders interessiert hat. Und mich doch enttäuscht hat, ähnlich wie das meine kluge Kollegin Christiane Peitz vom Tagesspiegel beschrieben hat: „Immer schneller wechselt „Human Flow“ die Schauplätze, bis sich eben die Immunisierung einstellt, die Ai Weiwei eigentlich aushebeln will. Oder entwickelt man mit solchen Bedenken nur einen Schutzmechanismus gegen den moralischen Appell, der in jeder einzelnen seiner Aufnahmen steckt?“ Dann habe ich mir noch die Staffel von Suburra angesehen, die sich aber nicht wesentlich vom Suburra-Film unterscheidet, also: Sex&Crime&Priester&Mafia&korrupte Politiker=Rom. Und habe pflichtgemäß Paul Schraders Film First Reformed über einen Priester in der Glaubenskrise angeschaut – und während des ganzen Films an den Bombengürtel gedacht, den der Priester an sich nimmt (Hinterlassenschaft eines depressiven Selbstmörders, der sich erschossen hat) – ganz im Sinne von Hitchcocks Feststellung über den Unterschied zwischen Spannung und Überraschung:
The bomb is underneath the table and the public knows it, probably because they have seen the anarchist place it there. The public is aware the bomb is going to explode at one o’clock and there is a clock in the decor. The public can see that it is a quarter to one. In these conditions, the same innocuous conversation becomes fascinating because the public is participating in the scene. The audience is longing to warn the characters on the screen: „You shouldn’t be talking about such trivial matters. There is a bomb beneath you and it is about to explode!“
Alles gut und schön. Aber der Film, auf den ich wirklich gewartet habe, war „The Electric Horseman„: Robert Redford. My all time hero. Der gestern zusammen mit Jane Fonda (hier übrigens ein tolles Interview, das Katja Nicodemus einmal mit ihr geführt hat) mit dem Ehrenlöwen ausgezeichnet wurde und einen neuen Film vorstellte (Our Souls at Night. Späte Liebe. Robert Redford mit Lesebrille – aber egal: Der Mann ist 81 Jahre alt, er könnte auch das Postleitzahlverzeichnis vorlesen, und ich wäre hingerissen.) Und ja, sogar Wolfgang W. Wieneke hat in Bei aller Liebe einen Robert-Redford-Moment:
„Sie könnten es bereuen«, ergänzte der Kahle lächelnd.
»Werden wir ja sehen«, sagte Wieneke, deutete eine Verbeugung an und drehte sich auf seinem Absatz um, bevor er an dem Eisberg vorbei in der Dunkelheit verschwand.Ein Abgang wie Robert Redford in Der elektrische Reiter, der mit seinem Pferd einfach von der Bühne der Werbeshow in Las Vegas getrabt war, in die Dunkelheit hinein, bis die Lämpchen an seinem Cowboyanzug verglüht waren.
Hey, hey, hey.“