Ok, ich wusste schon, dass „Bei aller Liebe“ aktuell ist – aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell so hoch her gehen würde. Zwischen Deutschland und Italien. Allein schon mal orthografisch. Von „Jugend rittet“ bis „Jugend bettet“ – war alles drin: In so gut wie keinem Artikel der italienischen Presse wurde „Jugend rettet“ richtig geschrieben, nicht mal im Beschlagnahmungsbefehl der Staatsanwaltschaft von Trapani, die letzteren auf Geheiß des Untersuchungsrichters ausgestellt haben. Das muss jetzt hier so pingelig ausklamüsert werden, weil im Eifer des Gefechts (anders kann man die Berichterstattung darüber nicht bezeichnen) doch einiges durcheinander geraten ist.
Auf Facebook, Twitter und in Artikeln wurden Südkurven-Schlachten ausgetragen, Ninja Turtles gegen Shredder, hätte man meinen können. Dabei war es nur eine normale Ermittlung rund um die „Begünstigung illegaler Einwanderung“. Die zur Folge hatte, dass die „Iuventa“, das Schiff der NGO „Jugend Rettet“ beschlagnahmt wurde und, wohlgemerkt, gegen einzelne Mitglieder der NGOs von „Jugend Rettet“, „Ärzte ohne Grenzen„, „Save the children“ und andere ermittelt wird.
Kurzum: Hier wird kein Rundumschlag gegen alle NGOs gefahren, es geht es auch nicht darum, Rettungsorganisationen zu kriminalisieren oder ihnen, wie mancher im Eifer krakeelt, ein „humanitäres Delikt“ vorzuwerfen. Es geht um Ermittlungen gegen einzelne Mitglieder einiger NGOs, die verdächtigt werden, sich in einigen Fällen so verhalten zu haben, dass sie den Schleppern ihr Geschäft erleichtert hätten – indem sie die Flüchtlinge nicht aus Seenot gerettet, sondern sie, abgestimmt mit den Schleppern, in einigen Fällen unweit der libyschen Küste aus den Booten der Schlepper entgegen genommen hätten, wobei die Schlepper ihre „Ware“ (denn nichts anderes sind die Migranten für sie) bis zum Schiff der Retter eskortiert hätten, also praktisch „lieferten“. Schlepper, die dann, so die Staatsanwaltschaft, nach erfolgter Lieferung mitsamt ihrer (unbeschädigten) Boote und Motoren, wieder an die Küste zurückkehrten, während es eigentlich Usus ist, die Boote und Motoren der Schlepper zu zerstören. (Wer mag, kann sich einen Auszug aus der Pressekonferenz hier anschauen, Ambrogio Cartosio, der Chef der Staatsanwaltschaft spricht so langsam und wohlartikuliert, dass selbst Teilnehmer von Konversationskursen Italienisch ohne Weiteres mitkommen.)
Die NGOs protestieren gegen diese Vorwürfe. „Jugend rettet“ weist jede Kontakte mit Schleppern von sich und betont, sich stets korrekt verhalten zu haben und niemals in libysche Gewässer eingedrungen zu sein. Die Motoren seien unter ihren Augen lediglich von sogenannten engine fishers geklaut worden, nichts Ungewöhnliches.
Im Grunde geht es um die Frage: Wird hier den Migranten geholfen oder ihren Peinigern? Handelt es sich um einzelne, vielleicht den Umständen geschuldeten Misslichkeiten oder um systematische Verabredungen? Diesen Fragen geht die Staatsanwaltschaft von Trapani nach – die Ermittlungen führt übrigens ein Staatsanwalt, Andrea Tarondo, der dafür bekannt ist, seit Jahren erfolgreich die Antimafia-Ermittlungen in dieser Ecke Siziliens zu führen, die von jeher als „eherner Sockel“ der Cosa Nostra gilt. Tarondo hat auch einige der größten und interessantesten Ermittlungen rund um das Geschäft gemacht, das die Mafia seit einigen Jahren mit den Migranten betreibt – was bei all der Empörung doch etwas aus dem Focus gerät.
Remember Mafia Capitale? Der römische Mafia-Skandal? (Wurde vor kurzem von den Richtern als „ordinäre Kriminalität“ qualifiziert, ja, ja, ich weiß, ist aber eine andere Baustelle) Schon da fiel der Satz: „Wir verdienen mit den Migranten mehr als mit dem Drogenhandel“, ausgesprochen von Carmine Buzzi – ehemaliger Totschläger, Herr über 40 linke Genossenschaften und römischer Society-Liebling.
Und daran hat sich auch nichts geändert. Zuletzt ging der Mafia-Skandal um das Flüchtlingszentrum im kalabrischen Crotone durch die Presse, zuvor das Gleiche im Flüchtlingszentrum von Cara di Mineo
Aufgedeckt wurde der Skandal von Crotone übrigens durch die Europa-Abgeordnete Laura Ferrara, die (bitte jetzt alle festhalten, die sofort wieder etwas von der ach-so-populistischen Fünfsterne-Bewegung loswerden wollen: Tief durchatmen, denkt an Euren Blutdruck!), für die Fünfsterne-Bewegung im Europäischen Parlament sitzt.
Fakt ist nämlich, dass Journalisten zwar anfragen können, ob sie die Flüchtlingszentren besuchen können, sagen wir, zu Recherchezwecken – selten aber eine Genehmigung bekommen und wenn, dann nur die Ecken sehen dürfen, die ihnen vorgeführt werden. Anders ist das bei Parlamentariern. Die können auch unangekündigt vorbei kommen. Und genau das hat Laura Ferrara getan. Mit ihr zusammen eine italienische Journalistin. Erst danach wurde der Stein ins Rollen gebracht. Das nur nebenbei.
Und auch nur ganz nebenbei die Bemerkung, dass es der von der deutschen Presse so sehr geliebte Matteo Renzi war, der dank Triton, der „Aktion zum Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union“ 2014 anordnete, dass alle Schiffe europäischer NGOs die von ihnen aufgenommenen Migranten ausschließlich in italienischen Häfen von Bord lassen müssen. Etwas, worauf nicht nur die ehemalige Außenministerin Emma Bonino, sondern auch auch Minniti bei einer parlamentarischen Anfrage hinwies (Was sein Parteifreund und Ministerpräsident in Warteschleife Matteo Renzi nicht goutiert haben wird).
Die andere Sache ist, dass Italien seit dem Deal mit der Türkei und der Schließung der Balkanroute überrannt wird. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen fast 20 Prozent mehr Migranten in Italien an, als 2016. Genau das war der Grund, weshalb der italienische Innenminister Minniti den sogenannten Verhaltenskodex für die NGOs herausgab. Die Repubblica zitierte ihn mit dem Satz: „Erinnert sich jemand an den 28. Juni? In 36 Stunden kamen 25 Schiffe mit 12 500 Migranten an. Wie kann man die Stimmung vergessen, die damals herrschte? Wenn es in diesem Rhythmus weitergegangen wäre, wären im Land starke Spannungen entstanden.“
Eilfertig wurde auf Spiegel-online gejubelt, dass die Flüchtlingszahlen in diesem Jahr im Grunde nicht höher seien als 2016, womit sie sich die Jubelarien der italienischen Regierung zu eigen machten. Als Journalist hätte ich mich aber gefragt: Warum? Erst kommen fast 20 Prozent mehr und plötzlich weniger? Woran kann das liegen?
Es liegt natürlich nicht daran, dass jetzt weniger NGOs unterwegs sind, wegen der bösen, bösen Staatsanwälte. Sondern daran, dass die Migranten in Libyen in Lagern festgehalten werden. Unter unmenschlichen Bedingungen. Weshalb einige von ihnen nach Marokko aufbrachen. Und andere an spanischen Stränden anlandeten, in ihren Schlauchbooten und die Urlauber aufschreckten.
Wie man es auch dreht: Das Problem ist da. Und wird sich mit Hashtags nicht lösen lassen.