Wie ich meinen Glauben an den Journalismus wiederfand.

So geschehen dank des FAZ-Feuilletons, in dem heute dieser von Andreas Rossmann verfasste Artikel erschienen ist, mit der schönen Überschrift:

Von der Mafia lernen heißt schweigen lernen
Eine investigative Reporterin wird eingeschüchtert und von der Wochenzeitung „Der Freitag“ im Stich gelassen: Der Fall Petra Reski ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich.

Jeder, der über die Mafia schreibt, tut das auf eigene Gefahr“, sagt der italienische Journalist Alberto Spampinato. Der Sizilianer weiß, wovon er spricht: Seit sein Bruder Giovanni 1972, da war er fünfundzwanzig und in seiner Heimatstadt Ragusa Korrespondent der Palermitaner Zeitung „L’Ora“, von der Cosa Nostra ermordet wurde, hat ihn das Thema nicht losgelassen. 2009 hat er ein in der ersten Person geschriebenes Buch über seinen Bruder veröffentlicht. Im Jahr davor hat er, der lange für die Nachrichtenagentur Ansa in Rom arbeitete, das Projekt „Ossigeno per l’informazione“ ins Leben gerufen. Der, so wörtlich übersetzt, „Sauerstoff für Information“ ist eine Art „Human Rights Watch“ für Journalisten. Seit seiner Gründung hat „Ossigeno“ eine wachsende Zahl von Vorfällen dokumentiert, und das nicht nur in Süditalien: 2009 waren es 91, 2016 mehr als vierhundert.

„Auf eigene Gefahr“, das geht bis zur Lebensgefahr. In den vergangenen dreißig Jahren wurden in Italien dreizehn Pressevertreter von der Mafia ermordet. Und es heißt auf eigene Rechnung: Journalisten werden bedroht, mit durchstochenen Reifen und Brandsätzen oder mit Schadenersatzforderungen und Verleumdungsklagen, die, da die Mühlen der Justiz langsam mahlen, die Kräfte binden und zermürben können. Einige stehen – wie Roberto Saviano – unter Personenschutz, und das nicht nur in Neapel, Caserta oder Reggio Calabria. Doch Spampinato meint auch die Gefahr für die Integrität: Anfeindungen und Einschüchterungen, die Journalisten zum Schweigen bringen sollen. Davon weiß auch Petra Reski zu berichten, die als freie Autorin zur Mafia recherchiert und um deren Geschichte es hier geht.

Milliardenschwere Geschäfte auch hierzulande

Ein gesetzliches Mittel, für Schweigen zu sorgen, bietet das Persönlichkeitsrecht, das von den italienischen Gerichten im Verhältnis zum öffentlichen Interesse weniger schwer gewichtet wird. Das stärkt die Medien, ihre Aufgabe als Wächter und Mahner wahrzunehmen. In Deutschland geschieht das nur gelegentlich, auch weil gerne so getan wird, als wäre die Mafia hier kaum präsent. Wenn sie doch einmal auffällig wird wie 2007 in Duisburg, wo bei einer Fehde zwischen zwei Clans der ’Ndrangheta sechs Menschen hingerichtet wurden, oder vor zwei Jahren am Bodensee, wo acht Mitglieder der kalabresischen Organisation festgenommen wurden, vermitteln Polizei- und auch Presseberichte nicht selten den Eindruck, es handelte sich um „inneritalienische“ Angelegenheiten.

Dabei rechnet das Bundeskriminalamt mit weit mehr als fünfhundert Mafia-Angehörigen in Deutschland und hat Erkenntnisse über milliardenschwere Geschäfte im Drogen- und Waffenhandel, mit Strohmannfirmen und Geldwäsche. Doch das rechtliche Instrumentarium ist stumpf, die Strafverfolgung wenig effektiv. Die Mafia-Mitgliedschaft allein ist, anders als in Italien, kein Straftatbestand, und während hier die Behörden einem mutmaßlichen Mafioso nachweisen müssen, dass er die Millionen, die er in Immobilien investiert, illegal erworben hat, ist es dort umgekehrt: Kann der Verdächtige nicht belegen, wie er zu dem Vermögen gekommen ist, wird es beschlagnahmt.

Die Folgen ihrer couragierten Arbeit

Schon 2013 hatte die Bundesregierung die Beweislastumkehr angekündigt, doch solange die Reform ausbleibt, hat die Mafia leichtes Spiel und die Polizei einen schweren Stand. Gemessen an den Schäden für Wirtschaft und Zivilgesellschaft, finden die Geschäfte der Mafia wenig Beachtung. Recherchen sind aufwendig und schwierig, und obwohl die Verdachtsberichterstattung rechtlich privilegiert ist, erwarten manche Pressekammern von Journalisten Beweistatsachen, die über Verdachtsmomente hinausgehen.

Petra Reski schreibt kontinuierlich und kenntnisreich über die Mafia. Sie ist gut vernetzt und zweisprachig, seit mehr als zwanzig Jahren verfolgt sie von Venedig aus die Entwicklungen und Verflechtungen in beiden Ländern. In Artikeln und Büchern, darunter „Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ (2008), hat die 1958 in Unna geborene Publizistin Machtstrukturen und Machenschaften durchleuchtet, die Gefahren deutlich gemacht und sich selbst in Gefahr begeben. In ihren Arbeiten verbinden sich Anschauung und Analyse mit Unerschrockenheit und Courage. Die Folgen bekam sie zu spüren: Unterlassungs- und Verleumdungsklagen, Pressionen, Prozesse.

Ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Fall

„Jeder, der über die Mafia schreibt, tut das auf eigene Gefahr.“ Der Satz wird auch von Petra Reski in einem Artikel zitiert, der am 17. März 2016 unter dem Titel „Die Bosse mögen’s deutsch“ in der Wochenzeitung „Freitag“ erschienen ist. Auf einer ganzen Seite stellt sie dar, wie schnell und umstandslos die Mafia in Ostdeutschland Fuß fassen konnte, beschreibt die Schwierigkeiten, über deren Aktivitäten zu berichten, und belegt sie mit eigenen Erfahrungen. Ein Jahr später hat der Satz die Autorin in beunruhigender Weise eingeholt. Die erfolgreiche Klage eines italienischen Geschäftsmanns vor dem Landgericht Leipzig, der in dem Artikel namentlich erwähnt wird und seine Persönlichkeitsrechte verletzt sieht, hat die Journalistin getroffen – finanziell, in ihrer Ehre und Existenz. Genau darum dürfte es dem Kläger auch in erster Linie gehen. Denn sein Name war in anderen Zeitungsberichten über das Urteil schon genannt worden, und die einstweilige Verfügung beantragte er zunächst gegen die Autorin, erst danach erhielt der „Freitag“ eine Abmahnung.

Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Denn Aufhänger des Artikels von Petra Reski war ein früheres Urteil ebenfalls des Landgerichts Leipzig zugunsten desselben Geschäftsmanns. […]

Nicht einmal der Versuch, der Autorin beizuspringen

Dieses öffentliche Urteil hat Petra Reski im „Freitag“ referiert. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte das Gericht, wie es dem Kläger mitteilte, zunächst für „jedenfalls hier unzulässig“ gehalten. Im Übrigen sei fraglich, „ob die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung vorliegend überhaupt Anwendung finden“, die der Kläger verletzt sah. Dann aber ließ das Gericht, das in Presseverfahren als besonders klägerfreundlich gilt, den Antrag entgegen diesem ersten Hinweis zu und gab der Klage statt: Petra Reski wurde am 24. Februar 2017 auf Unterlassung der Verbreitung verurteilt und das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5000 Euro für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Beantragt hatte der Italiener, der in Erfurt ein Eiscafé und Restaurant betreibt, die Verfügung am 28. Juni 2016, mehr als drei Monate nach Veröffentlichung. Der in Venedig lebenden Journalistin konnte sie erst im November 2016 zugestellt werden, im September 2016 wandte sich der Kläger auch an den „Freitag“. Dass eine Zeitung, die mit der Entscheidung, den Artikel zu drucken, hinter dem Autor steht, sich im Falle einer juristischen Auseinandersetzung vor diesen stellt, sich mit ihm berät und dagegen wehrt, ist übliche Praxis. Eine Umfrage unter Justitiaren und Medienrechtlern ergab, dass keiner von einem Fall gehört hat, in dem nicht so verfahren wurde. Ja, selbst dann, wenn die Zeitung im Nachhinein zu einer anderen juristischen Bewertung kommt als der Autor, übernehme sie in der Regel das Risiko. Der „Freitag“ aber hat gar nicht erst versucht, seiner Autorin beizuspringen, sondern den Artikel ohne Rücksprache mit ihr gleich von der Internetseite gelöscht.

„Redaktionen sind keine Rechtschutzversicherung“

„Die Anwaltskosten sind für einen kleinen Verlag wie unseren eine ziemliche Belastung“, habe ihr die zuständige Redakteurin, mit der sie mehrfach gut zusammengearbeitet habe, erklärt, sagte Petra Reski der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Vom „Freitag“ fühlt sie sich im Stich gelassen: „Dass die Gerichts- und Anwaltskosten für eine kleine Autorin wie mich, die an dem Artikel 321 Euro brutto verdient hat, eine ziemliche, wenn nicht sogar größere Belastung sind, darauf scheint beim ‚Freitag‘ niemand gekommen zu sein.“ Um eine Stellungnahme gebeten, sagte Jakob Augstein, der Herausgeber des „Freitag“, der F.A.Z.: „Wir sind als Zeitung darauf angewiesen, uns auf die korrekte Arbeit unserer Autoren zu verlassen. Wenn wir unwissentlich Behauptungen drucken, die sich als nicht haltbar erweisen, müssen wir die Zusicherung geben, solche Behauptungen nicht zu wiederholen. Das ist in der deutschen Medienlandschaft die übliche Praxis und gerade in Zeiten, die von den Stichworten ‚Fake News‘ und ‚Lügenpresse‘ geprägt sind, richtig und wichtig.“ Auf den Vorwurf der fehlenden rechtlichen Unterstützung angesprochen, sagte er: „Redaktionen sind keine Rechtschutzversicherung für mangelhafte Recherche.“

Damit übernimmt Augstein nicht nur ungeprüft die Entscheidung aus Leipzig, sondern diskreditiert auch die zuvor von der Zeitung geschätzte Autorin und teilt mit, was eine freie Mitarbeit beim „Freitag“ bedeuten und kosten kann. Für Petra Reski mag diese Erfahrung ein Argument mehr sein, statt investigativer Artikel und Sachbücher besser Romane über die Mafia zu schreiben. Im August erscheint bei Hoffmann und Campe ihr dritter Roman über die Mafia-Ermittlerin Serena Vitale „Bei aller Liebe“.

Gute Gründe dafür, das Genre zu wechseln, gibt es für sie schon länger: Angefangen mit jener Begebenheit 2008 in Erfurt, als bei ihrer Lesung ein elegant gekleideter Italiener aufstand, die Kläger gegen ihr Buch „Mafia – Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ verteidigte und die Autorin ironisch zu ihrem Mut beglückwünschte. „Der Unterlassungsantrag an meine Adresse in Venedig“, so berichtet sie, „enthielt einen Zusatz auf das Stockwerk, obwohl ich das nie angebe. Das kriegt nur raus, wer vor der Wohnungstür gestanden hat.“

Petra Reski weiß, was ihr damit mitgeteilt wird.