Okay, es war natürlich blöd, dass jeder Tourist mit seinem Smartphone ein Foto von den Kreuzfahrtschiffen machen konnten, die so penetrant am Markusplatz vorbeifuhren: Lange wurde darüber gebrütet, wie man es hinkriegen kann, die Schiffe praktisch hintenrum nach Venedig kommen zu lassen. Nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Gesagt getan: In Zukunft sollen sie eine andere Route nehmen: über den Kanal von Malamocco, dann weiter über den Canale dei Petroli, dem Kanal, der früher von den Erdöltankern genutzt wurde – und der einen der Gründe für das Hochwasser in Venedig darstellt: Weil er schon vor Jahrzehnten ausgebaggert wurde und sich inzwischen eigenständig vertieft hat. Die Lagune ist im Durchschnitt nur knapp anderthalb Meter tief, um sie schiffbar zu machen, wurden Kanäle gegraben, die inzwischen bis zu 50 Metern tief sind. Durch sie entstehen entstehen immer mehr, immer bedrohlichere Hochwasser, wenn der Wind das Meer in die Lagune drückt, werden die Sedimente der Lagune immer mehr ins Meer gespült und die Lagune verwandelt sich in einen Meeresarm. Durch die Schleuse sollte nicht Venedig vom Hochwasser geschützt werden, sondern der Hafen – und damit vor allem die Kreuzfahrtindustrie.
Wenn die herrschende Kaste aus Politikern, Funktionären und Unternehmern nicht über Jahrzehnte die milliardenschwere Hochwasserschleuse verbissen gegen billigere und umweltschonendere Alternativen verteidigt hätte, wäre Venedig schon seit vielen Jahren vom Hochwasser verschont geblieben: Man hätte einfach nur die für die Erdöltanker – und nun auch für die Kreuzfahrtschiffe – ausgebaggerten Kanäle wieder auffüllen können, schon wäre eine wesentliche Ursache des Hochwassers beseitigt gewesen – allerdings hätte dann auch niemand eine Milliarde Euro an Schmiergeldern ausgeben können, für eine Hochwasserschleuse, die deren Kosten am Ende bei 7 Milliarden Euro vermutet werden – und die wahrscheinlich nie funktionieren wird. Was vielleicht die beste Lösung wäre, denn allein die Kosten für den Erhalt werden auf bis zu 80 Millionen Euro jährlich geschätzt.
Das letzte Stück des Weges zum Hafen sollen die Kreuzfahrtschiffe auf dem Kanal Vittorio Emanuele zurücklegen, der soll bei der Gelegenheit auch noch tiefer gebaggert werden. „Die Lagune ist nicht unantastbar“, meinte der Minister für Infrastruktur und Transport. Und (ausschließlich von den Festlandsbewohnern gewählte und auf dem Festland lebende) Bürgermeister Brugnaro ist natürlich auch glücklich: Noch mehr Tagestouristen, noch mehr Feinstaub, noch schlechtere Luft, noch mehr Hochwasser – wen juckt’s?
It’s the economy, stupid.
Wie pharisäerhaft es im Veneto zugeht: Auf der einen Seite die Venezianer, die „No ai grandi navi!“ sagen, auf der anderen Seite die, die Beifall klatschen beim jüngsten Stapellauf eines neuen Kreuzfahrt-Riesen mit Platz für 6500 Personen bei Fincantieri in Venedig. Alle werden in Zukunft sicher noch genug Gelegenheit zur Inhalation der „polveri sottili“ haben und sich fragen müssen, warum sie das seinerzeit zugelassen haben.