Petra für die PETRA. (heute: Matrophobie)

On revient toujours à ses premiers amours (Für die Nicht-Frankophonen unter uns: Man kehrt immer zu seiner ersten Liebe zurück) In meinem Fall sind das Kolumnen. Neulich habe ich schon einmal auf meine Vergangenheit als Kolumnenschreiberin des Playboy verwiesen, später schrieb ich jahrelang Kolumnen für die Amica. Danach folgte eine längere kolumnenfreie Zeit in meinem Leben, die seit letztem Sommer glücklicherweise zur Vergangenheit gehört, seitdem ich wieder eine kleine Kolumne für die PETRA schreibe. Denn es gibt so unfassbar viele Themen, denen man sich nicht nur kolonisierend (Poesie der Autokorrektur!) kolumnisierend nähern kann. Etwa der Matrophobie. Sie wissen nicht, was das ist? Ich wusste das auch nicht. Bis ich eine Kolumne darüber schrieb.

Ich habe nie befürchtet, dass ich mal so werden würde wie meine Mutter. Wir sind so was von unterschiedlich. Schließlich ist man ja kein Klon, keine willkürliche Anhäufung von Zellen, Gewebe, Schleim und Drüsen, sondern ein Individuum mit Charakter. Die eine blond (meine Mutter), die andere brünett (ich, jedenfalls bis vor kurzem). Deshalb kannte ich das Wort auch gar nicht: „Matrophobie“ nennt man die Angst, so zu werden wie die Mutter. Klingt anstrengend. Sitzen im Stuhlkreis und Regale voller Mutterbeziehungsratgeber.

Und ich wäre auch immer noch brünett, wenn die Brünetten nicht ständig als so natürlich und unkompliziert gepriesen worden wären, mit jeder Menge innerer Werte, voll von diesem Ich-will-für-das-wahrgenommen-werden-was-ich-bin-und-nicht-für-das-was-ich-scheine, alles Dinge, die ich mir nicht nachsagen lassen wollte, weshalb ich zum Friseur ging und „Ein Mal blond, bitte“, sagte. Und nicht ahnte, was dann mit mir passierte. Seitdem höre ich meine Mutter aus mir heraus sprechen.

Jedenfalls habe ich den Eindruck. Zumal unsere Stimmen identisch sind, ständig höre ich aus mir heraus meine Mutter reden, so dass ich mich manchmal vor mir selbst erschrecke. Neulich, als ich im Meer schwamm und mich ein Stück Seegras berührte, das ich für ein Seeungeheuer hielt, hörte ich, wie eine tiefe, dunkle Stimme aus mir sprach, die argwöhnisch „Was’n das jetzt?“ sagte – und genauso klang wie meine Mutter, wenn sie sich erschreckt, das aber nicht zugeben will.

Überhaupt das Skeptische. Meine Mutter ist supersupersuper skeptisch. Skeptiker neigen dazu, das gesamte menschliche Wissen in Frage zu stellen, was manchmal ziemlich anstrengend sein kann, etwa, wenn es um die Rotweinmarke geht („Das ist doch nicht der Rotwein, den ich das letzte Mal getrunken habe, da wette ich“) oder den Fisch, den sie das letzte Mal gegessen haben („Das war doch keine Seezunge, das war eine Scholle“). In der Antike waren Skeptiker dafür bekannt, eine Sache von allen Seiten zu untersuchen, um ihre Beschaffenheit festzustellen, weshalb meine Mutter von ihrer Überzeugung nicht abzubringen ist, selbst wenn ich ihr ein schnell gegoogeltes Beweisfoto unter die Nase halte. Ich auch. Ich kann meinen Skeptizismus nur besser verbergen, als meine Mutter. Finde ich. Findet der Italiener an meiner Seite natürlich überhaupt nicht, sondern beschwert sich ständig darüber, dass ich nie, nie, etwas einfach mal so akzeptieren kann, sondern immer erst alles in Frage stellen muss. (Ja, gut, aber wo steht geschrieben, dass man sich mit dem Augenschein zufrieden geben muss?)

Und dann dieses durch meine mütterlichen Gene übertragene, gelegentlich Rechthaberische, also das (würde ich natürlich dem Italiener gegenüber nie zugeben!) stelle ich gelegentlich auch an mir fest.

Außerdem haben meine Mutter und ich die identisch gleichen Ticks, etwa dass wir nicht essen können, wenn der Teller zu voll ist. Vergeht mir sofort der Appetit. Wobei es mich natürlich wahnsinnig aufregt, wenn meine Mutter sagt: Mach mir den Teller bloß nicht so voll. Denn all die Ticks, die ich an mir feststelle, regen mich bei meiner Mutter total auf.

Aber wenn es etwas gibt, was ich in meinem Leben zutiefst bereue, dann ist es jeder Tag, an dem ich nicht blond war.

 

(erschienen in PETRA 9/2016)