Die Kartoffelchips der Literatur

Mondello im Winter (Foto: ©Rosario Riina)
Mondello im Winter (Foto: ©Rosario Riina)

Manchmal werde ich auf Lesungen gefragt, welche Krimis ich am liebsten lese. „Ich lese keine Krimis“, sage ich dann. Klingt jetzt snobistischer, als es gemeint ist. Wobei: Nichts gegen Snobismus.

Tatsächlich habe ich meine Lektüre nie nach Genres ausgesucht, sondern weil mich eine Geschichte neugierig gemacht hat oder ein Autor. Zumal die Bezeichnung „Krimi“ für Romane, die im weitesten Sinne mit Verbrechen zu tun haben, nicht mal ein Genre ist, sondern vor allem eine Vermarktungsstrategie. Gegen die nichts einzuwenden ist –  auch wenn sie wenig aussagekräftig, wenn nicht sogar kontraproduktiv ist, weil sie Erwartungen weckt, die viele Autoren gar nicht zu befriedigen beabsichtigen. Der Krimi gilt als die Tüte Kartoffelchips der Literatur: Unterhaltung, leicht konsumierbar. Ein vorschneller Stempel, der vor allem in Deutschland aufgedrückt wird: Als ich nach meiner allerersten Reportage in Palermo Leonardo Sciascia entdeckte und mit meinen noch dürftigen Italienisch-Kenntnissen Jedem das Seine las, einen Roman über die Mafia in einem kleinen, sizilianischen Dorf, wusste ich gar nicht, dass Sciascia in Deutschland als „Krimiautor“ galt. In Italien wurden seine Romane nie als „Krimi“ bezeichnet.

In Deutschland gilt auch Graham Greene als Krimiautor  (Ich sage nur: Unser Mann in Havanna – ein Staubsaugervertreter als Geheimdienstagent und die Konstruktionsskizze eines Staubsaugers als militärische Anlage! Oder Der stille Amerikaner, mit dem Greene nicht nur den Vietnamkrieg vorwegnahm, sondern auch die Heuchelei mit dem Weltpolizisten) – genauso gut hätte man auch sagen können, dass Louis Aragon Liebesromane schrieb und Balzac Parisromane.

Ich liebe alles, was Patricia Highsmith schrieb, besonders aber die Ripley-Romane, als Studentin habe ich fast alle Romane von Léo Malet gelesen, auf den ich über Émile Zola und Eugène Sue aufmerksam wurde – Sue wurde von einigen Professoren der Romanistik übrigens etwas herablassend als Erfinder des „leicht konsumierbaren“ Feuilletonromans bezeichnet, was mich aber nicht abgeschreckt hat, weil Sue mit seinen Mystères de Paris vor allem ein gesellschaftlich engagierter Schriftsteller ist – und ein Avantgardist dazu: Die Leser konnten Vorschläge machen, wie denn die Handlung weitergehen solle – Eugène Sue war lange vor der Erfindung des Internets schon social. Literatur ist eben immer gesellschaftlich.

Noch viel früher, als Schülerin, habe ich Frederic Forsyths Akte Odessa verschlungen: Ein Roman, über den Wikipedia mäkelig anmerkt, dass er nicht als literarische Meisterleistung gelte, was mir aber völlig egal war, weil mich vor allem die, haha, Vergangenheitsbewältigung interessierte: Hier haben wir einen deutschen Journalisten, der bei der Verfolgung ehemaliger Kriegsverbrecher von seinen Chefs nicht unterstützt, sondern behindert wird. Und die Geschichte von den Persilscheinen im Namen Gottes, also die katholische Kirche, die Naziverbrechern zur Flucht nach Argentinien verhalf, fand ich damals unglaublich. Wie gesagt: Ich war noch sehr jung.

Was haben die Romane von Patricia Highsmith, Graham Greene, Léo Malet, Eugène Sue, Frederick Forsyth und Leonardo Sciascia gemeinsam? Letztlich nur, dass in ihnen Verbrechen vorkommen. Gemessen daran wäre die Odyssee auch ein Kriminalroman und Homer ein Krimiautor. Warum zum Teufel gilt ein Roman zwingend als Krimi, nur weil er sich mit Verbrechen beschäftigt? Genauso oft wie um Verbrechen geht es in Romanen doch auch um die Liebe, dann wäre Goethe doch ein Autor von Liebesromanen, weil er die Wahlverwandtschaften geschrieben hat.

Egal. Sobald man über Verbrechen schreibt, gilt man – zumindest in Deutschland – automatisch als „Krimischriftsteller“, ich natürlich auch, seitdem ich Romane schreibe, die sich mit der Mafia beschäftigen. Ich finde diese Etikettierung etwas zwanghaft – zumal das Kästchendenken noch viel weiter geht, Krimi allein reicht nicht, es gibt dann noch den Landhauskrimi, den gerichtsmedizinischen Krimi, nicht zu verwechseln mit dem Gerichtskrimi, den Thriller, der Krimi sein kann oder nicht, vielleicht auch ein medizinischer Thriller oder ein Verschwörungsthriller, ganz zu schweigen vom Regio-Krimi (der „Bretagne-Krimi“, der „Köln-Krimi“) – was besonders für die Autoren ein Fluch sein kann, die gar nicht die Absicht hatten, einen Regio-Krimi zu schreiben. Dazu auch ein schönes Zitat von Rosemarie Bus:

Was ich mich frage: Warum haben sogenannte Regionalkrimis einen schlechten Ruf? Raymond Chandler, Henning Mankell, Stieg Larsson, Don Winslow – alle Regionalkrimiautoren. Paul Auster, John Updike, Philipp Roth – Regionalautoren. Jede Geschichte spielt in einer bestimmten Region. Auch Berlinromane. Die Region ist kein Kriterium für die Qualität eines Buches. Auch nicht bei einem Krimi.

Und nachdem der Krimi-Zoo in einzelne Gehege eingeteilt wurde, gibt es dazu natürlich auch noch die passenden Zoo-Wärter, also Krimi-Kritiker – die nichts anderes als Krimis rezensieren. Was ich auch eigenartig finde. Nicht nur, weil sie oft so breitbeinig daher kommen (liegt vielleicht am Geschlecht: Kriminalliteratur und noch viel mehr die Beurteilung selbiger gilt immer noch als männliches Privileg), sondern auch, weil ich nicht der Meinung bin, dass der Krimi eine eigene Kritikerzunft benötigte. Es gibt nicht gute und schlechte Krimis, sondern gute und schlechte Romane. Und jede Menge schlechte Romane selbst unter denen, die nicht als Krimi, auch nicht als Chick-Lit, sondern als Literatur verkauft werden – wobei die Amerikaner natürlich die unerreichten Champs darin sind, einen Hype um idiotische Romane herzustellen. (Ich erinnere mich nur an „Super Sad True Love Story“, wobei ich absolut die Meinung von Ijoma Mangold teile: „Der neue Roman von Gary Shteyngart ist leider sehr schlecht. Und zwar auf eine Art, die den Leser auf der Strecke seiner 450 Seiten zunehmend wütend macht.“).

Und das war jetzt das Wort zum Samstag.

P.S. Oben ist übrigens Mondello im Bild, der Badevorort von Palermo – unter Schnee ein sehr ungewöhnlicher Anblick. Im Vordergrund das auf Stelzen gebaute Kurhaus, das besonders hier an ein russisches Lustschloss erinnert, das auf dem Weg nach Sankt Petersburg verlorengegangen ist. Wunderbare Lesestimmung, finde ich.

 

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