(„Er nennt sich Trump. Aber in Wirklichkeit ist er es immer noch.“)
Dieses Bild ging am Morgen nach dem Trump-Sieg durch die (italienische) Social-Media-Welt. Hashtag: #ErectionNight.
Zwanzig Jahre Berlusconi haben uns gestählt. Weshalb am Morgen danach in Italien fast jeder an B. und an Bunga-Bunga dachte.
Als B. damals gewählt wurde, habe ich auch gedacht: Die haben einen Knall, die Italiener. Und auch damals war jedem klar (selbst vielen, die B. gewählt haben), dass B. bei jedem Atemzug log und seine Geschichte vom Selfmademillionär, Verzeihung, ein Scheißdreck war. Damals wussten zwar nur wenige gut informierte Menschen von Berlusconis Verbindungen zur Mafia und von den Ermittlungen zu ihm und seinem Mafia-Buddy Marcello Dell’Utri. Ermittlungen, von denen übrigens der Antimafia-Staatsanwalt Paolo Borsellino in seinem letzten Interview gesprochen hat – bevor er in die Luft gesprengt wurde. Aber ob es die Berlusconi-Wähler abgeschreckt hätte? Nicht unbedingt. Viele hätten einfach nur gesagt: Was spricht gegen gute Beziehungen?
Ich hätte mir damals auch gewünscht, dass die Italiener anders gewählt hätten. Aber sie haben nicht auf mich gehört.
Stattdessen begriff ich nach und nach, dass zumindest die erste Wahl von B. auch eine Protestwahl war. Ein Protest gegen eine verknöcherte und korrupte Politiker-Kaste: Gegen alte Parteien, die auf der rechten Seite von Persönlichkeiten wie Giulio Andreotti verkörpert wurden, dem siebenfachen italienischen Ministerpräsidenten, der damals wegen Unterstützung der Mafia vor Gericht stand (sein sizilianischer Statthalter war kurz zuvor von der Mafia ermordet worden – als Denkzettel für Andreotti, dem vorgeworfen wurde, den Pakt nicht respektiert zu haben). Auf der linken Seite wurde die korrupte Kaste von den Sozialisten verkörpert, die infolge des Parteispenden-Skandals um Bettino Craxi gerade erst im Orkus verschwunden waren.
„B. hat genug eigenes Geld, er hat es nicht nötig, uns zu beklauen“, sagten die Italiener, als sie Berlusconi wählen. Ganz im Ernst. Es war der historische Moment, als auch die Lega Nord am Horizont des politischen Panoramas Italiens auftauchte und Roma ladrona skandierte: Der arbeitssame Norden gegen den faulen Süden, gestützt vom räuberischen Rom – das war der Glaubenssatz der Lega Nord, als sie Anfang der 1990er Jahre an Berlusconis Seite in das Parlament einzog.
Der große, alte Journalist Indro Montanelli hielt B. für etwas wie Ebola: eine Krankheit, von der die Italiener erst geheilt seien, wenn sie sich impfen lassen würden, durch eine ordentliche Dosis Berlusconi als Ministerpräsident und Berlusconi als Staatspräsident. Die Epidemie hielt zwanzig Jahre an. Geheilt ist Italien bis heute noch nicht. Mit Renzi regiert eine Art jüngerer B. mit weniger Vorstrafen.
Italien ist also gewissermaßen Avantgarde. Wie bei vielem. Im Guten und Schlechten.
Sicher, Trump kann nur acht Jahre lang regieren, nicht zwanzig. Aber für die Presse war er eine Art Waterloo.
Bei den Italienern hieß es immer noch: Gottchen ja, die Italiener, so sind sie halt. Schließlich hat man vom Norden aus schon lange auf sie herabgeblickt. Anders war das bei den Amis, den Lieblingsfreunden der Deutschen, zu denen sie immer hochgeblickt haben. Ausgerechnet die haben jetzt so einen Schmierfink gewählt. Deutsche Austauschschüler, lese ich, wollen nicht mehr nach Amerika. Hat man eigentlich schon mal recherchiert, wie viele Journalisten sich nach Trumps Sieg vor die U-Bahn geworfen und wie viele Rapper ihre Sammlung von 50 cent verbrannt haben, ganz zu schweigen von den Kinofreunden, die zu Mahnwachen vor Kinos aufrufen, die Clint-Eastwood-Filme zeigen? Schuhverkäufer sollen sich geweigert haben, Cowboystiefel zu verkaufen und ganz Mutige rufen zum Boykott gegen MacDonald’s auf.
Von Italien aus betrachtet, fand ich es bereits bizarr, wie die deutschen Medien während des amerikanischen Wahlkampfs monatelang über jeden Big Mac berichtet haben, der in Minnesota während der Wahlkampfveranstaltung von Hillary Clinton zu Boden gefallen ist – während man über das Erdbeben in Italien hinwegging wie über einen starken Schneesturm.
Heerscharen von Amerika-Korrespondenten berichteten über jeden Tweet eines Abgeordneten aus Ohio – und irrten sich dennoch so massiv in ihren Einschätzungen, dass man den Eindruck hat, es sei hier weniger um Journalismus, als um Wunschdenken gegangen.
Wobei: Nichts gegen persönliche Vorlieben. Ich mag es, wenn mir ein Autor seine persönliche Vorliebe erläutert. Und wenigstens nicht vorgibt, objektiv zu sein.
Interessant finde ich die offensichtliche und jetzt viel beklagte Distanz der sogenannten liberalen Zirkel zu normalen Menschen. Es ist natürlich einfach, liberal zu sein, wenn man in einer Altbauwohnung in Eppendorf wohnt, anstatt in zwei Zimmern in Hammerbrook und gerade bei Schlecker gekündigt wurde. In Deutschland hat sich die AFD die Leute gekrallt, die woanders kein Gehör finden. Ich glaube nicht, dass man das einfach nur mit einem „Die haben einen Knall“ abtun kann, mit Pegida etc.pp. Es hat auch etwas mit der paternalistischen Haltung der Medien zu tun – die für viele letztlich nichts anders sind, als der verlängerte Arm der Regierungsparteien, von denen sie sich im Stich gelassen fühlen, aus welchen Gründen auch immer.
In Italien hat die Fünfsterne-Bewegung das Land davor bewahrt, dass die vielen Unzufriedenen (ein Drittel der Italiener hat Grillo gewählt) zu den rassistischen Rechten übergelaufen sind, das hat sogar der von der Presse viel geliebte ehemalige venezianische „Philosophenbürgermeister“ und Vorzeige-Linke Massimo Cacciari zugeben müssen, beileibe kein Freund der Fünfsterne-Bewegung. Die Fünfsterne engagieren sich für Ökologie, für mehr Bürgerbeteiligung, gegen die Mafia – im Grunde all das, was früher (vor etwa 50 Jahren) die Linken machten – und die heute mausetot sind, verbürgerlicht und an der Seite von B. reich geworden. Und die Supermarktverkäuferin darüber belehren, was politisch korrekt ist.
Für die deutschen Medien ist Renzi eine Art Hillary auf Italienisch. Und Grillo ist für sie Trump – jedenfalls wurde über ihn und seine Fünfsterne-Bewegung in ähnlicher Form berichtet. Aber damit erschöpfen sich auch schon die Gemeinsamkeiten (das sei nur all denjenigen gesagt, die ständig Schaum vor dem Mund haben, wenn nur irgendwo das Wort „Grillo“ oder „Fünfsterne-Bewegung“ fällt: Mit Trump und dem amerikanischen Establishment haben sie außer der Aversion der deutschen Presse nichts gemein, sorry.)
Der vorläufige Höhepunkt der Renzi-Propaganda in der deutschen Presse wurde erreicht, seitdem sich in Deutschland herumgesprochen hat, dass am 4. Dezember in Italien über die sogenannte Verfassungsreform (ein paar Erklärungen dazu hier) abgestimmt wird. Da hat sich der deutsche (!) Innenminister Thomas De Maizière tatsächlich nicht entblödet, den unbelehrbaren Italienern den Rat zu geben, dafür zu stimmen. Die SZ zittert schon jetzt um Renzi. Und die ZEIT kann kaum fassen, dass sich selbst seriöse italienische Verfassungsrechtler gegen Renzis Verfassungsreform aussprechen. Was natürlich besorgniserregend ist. Jedenfalls für DIE ZEIT:
Pardi: Ja, die Regierung behauptet, diese sogenannte Reform würde die Arbeit der Institutionen billiger, schneller und effizienter machen. Nichts davon trifft zu.
ZEIT: Aber die Regierung hat den Senat verkleinert und seiner Kompetenzen beraubt. Das schwerfällige Zwei-Kammern-System ist damit abgeschafft.
Pardi: Nein, das ist es nicht. Renzi hat ein neues geschaffen. Der Senat wird ja weiterbestehen, auch wenn er kleiner sein wird. Wollte Renzi einen völlig machtlosen Senat haben, hätte er ihn einfach abschaffen können. Das aber hat er nicht getan.
ZEIT: Warum nicht?
Pardi: Tja, gute Frage. Der neue Senat wird mit Abgeordneten aus den Regionen bestückt, die von den Parteien entsandt werden. Diese Abgeordneten genießen Immunität. Wir befürchten, dass die Parteien in dem Senat die Leute platzieren, die Probleme mit der Justiz haben.
ZEIT: Im Ausland, auch in Berlin, sieht man in Renzi eine Art letzte Chance für Italien.
Pardi: Wir wollen nicht an der Debatte teilnehmen, was nach, ohne oder mit Renzi passiert. Er ist jedenfalls nicht Gottvater. Er ist ein Produkt der politischen Kaste Italiens wie alle seine Vorgänger auch.
ZEIT: Und wenn ein Sturz Renzis den Weg für die Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung frei macht?
Pardi: Italien wird auch ohne Renzi weiterleben können. Es gibt mindestens 50 andere fähige Leute für das Amt des Ministerpräsidenten. Es ist verrückt zu sagen: Nach mir die Sintflut. Das konnte Charles de Gaulle sagen, Renzi kann das nicht.
Das war jetzt mein Wort zum Sonntag. Und jetzt muss ich ins Kino.