Vorgestern wurde Don Luigi Ciotti, Begründer der Antimafia-Bewegung „Libera“ im Goldenen Saal der Stadt Augsburg mit dem Mietek-Pemper-Preis für Versöhnung und Völkerverständigung ausgezeichnet. Ich hatte die Ehre, seine Laudatio zu halten.
Ich möchte Ihnen kurz schildern, wie meine erste persönliche Begegnung mit Don Ciotti aussah. Ich war nach Rom gefahren, weil die Antimafiaorganisation „Libera“ die „Generalstäbe der Antimafia“ versammelt hatte, in einem Auditorium in Rom, unweit vom Petersplatz.
„Die Generalstäbe der Antimafia“ – mir gefiel der Ausdruck sofort, weil es klingt, als träfe sich hier ein Kreis von ausgewählten Offizieren, die einen Umsturz planten; die Generalstäbe der Antimafia, das klingt kämpferisch, ja kriegerisch – und ist damit der richtige Ausdruck.
Denn Italien ist ein Land im Kriegszustand. Es ist ein Krieg, der seit mehr als siebzig Jahren andauert. Es ist ein Krieg der Mafia gegen die Schwachen. Gegen die Menschenwürde. Gegen die Selbstbestimmung. Gegen die Freiheit.
Es ist ein Krieg, der mit ungleichen Waffen geführt wird.
Die Mafia kämpft mit ihren Milliarden, mit Bomben und Kalaschnikows, mit Parlamentariern, die für sie Justizreformen durchsetzen, mit Unternehmern, mit Staranwälten und Verleumdungsklagen. Und ihre Gegner kämpfen mit bloßen Händen.
Die Generalstäbe der Antimafia, die ich in Rom sah, waren Studenten mit Spitzbärten, stark gepuderte Damen, die aussahen, als kämen sie gerade vom Nachmittagskaffee und kaugummikauende Journalisten. Es waren junge Priester, die ihre Priesterbinde gelockert hatten, Universitätsprofessoren in currybraunen Cordhosen und Mädchen mit ernstem Blick und Augenbrauenpiercing. Es waren militante Optimisten, die in Italien ehrenamtlich für die mehr als 1600 Antimafiavereinigungen von Libera arbeiten: Sekretärinnen, die ihre Freizeit dafür opfern, in Schulen Lesungen von Mafiabüchern zu veranstalten, Regisseure, die Theaterstücke gegen die Mafia inszenieren, Studenten, die via Facebook Protestmärsche gegen mafiose Parlamentarier organisieren und Mafiainfiltrationen in Stadträten anprangern. Auch Mafia-Aussteiger waren da, ehemalige Kronzeugen, für die Don Ciotti sich einsetzt, damit sie vom italienischen Staat nicht fallen gelassen werden, nachdem sie mit ihren Aussagen Prozesse gegen die Mafia ermöglicht haben, sondern dass ihnen am Ende ihrer Zusammenarbeit mit der Justiz eine neue Identität erstellt wird.
Es gibt Libera-Aktivisten in ganz Italien, nicht nur in Süditalien, auch in winzigen norditalienischen Dörfern – Antimafiakrieger, die nun alle durch das Foyer des Auditoriums in Rom liefen, weil das der Moment war, als ein Mädchen mit einem glitzernden Palästinenserschal um den Hals auf die Bühne stieg.
Es war ein Mädchen, deren Mutter in Neapel von der Camorra ermordet wurde – eine junge Mutter, die zufällig die Straße passiert hatte, als ein Boss ermordet werden sollte. Eine Kugel traf sie in die Schläfe. Ihre Tochter war damals zehn Jahre alt und sah vom Balkon der Wohnung aus, wie ihre Mutter erschossen wurde. Nun war sie siebzehn und las mit fester Stimme die Begrüßungsworte des Staatspräsidenten vor, der zu Mut und Tapferkeit aufrief und Gerechtigkeit versprach, und ich hörte, wie sich hinter mir jemand die Nase putzte.
Im Auditorium saßen auch Ehefrauen und Kinder von ermordeten Polizisten und Staatsanwälten, Brüder, Schwestern und Eltern von Mafiaopfern. Einige hatten mit dem Leben für ihren Kampf um Gerechtigkeit gezahlt, andere hatten sich nur durch Zufall zur falschen Zeit am falschen Ort befunden, als eine Bombe hochging, als sie bei einer Schießerei ein Querschläger getroffen hatte, als sie Augenzeuge einer Blutfehde geworden waren und deshalb beseitigt werden mussten.
Es war ein untröstliches und zorniges Volk, das da saß und seine Toten vor dem Vergessen bewahren wollte, mit Wikipedia-Einträgen und Gedenktagen, mit Stiftungen und Facebook-Gruppen. Es tat ihnen gut, sich nicht allein zu fühlen. Die Mafia versucht ihre Gegner stets zu isolieren, zu diskreditieren, zu verhöhnen, viele noch bis in den Tod.
Am Ende ging Don Ciotti auf die Bühne. Wie immer trug er einen dunkelblauen Seemannspullover, in dem er aussah wie ein Marinepfarrer. Don Ciotti prangerte eine Gesellschaft der Ungleichheit an, er geißelte den Egoismus, bis die Dekoblumen auf der Bühne wackelten und präsentierte eine Liste mit den Namen der Mafiatoten. Von 1893 bis heute. Und betonte zugleich, dass diese Staatsanwälte, Polizisten, Journalisten, Unternehmer, Händler – dass all diese unschuldigen Opfer der Mafia nicht gestorben sind, um eine Gedenkplatte zu zieren oder Ziel eines Gedenkmarsches zu werden. „Sie sind mit der Hoffnung gestorben“, sagte er, „dass andere, mit ihnen und nach ihnen für Gerechtigkeit kämpfen würden. Wir sind diese anderen.“
Don Luigi Ciotti hat die Antimafiabewegung Libera 1995 gegründet, um der Mafia den Boden zu entziehen – im ganz wörtlichen Sinne: Libera bewirtschaftet beschlagnahmte Mafiagüter und verwirklicht damit ein Anliegen des 1992 ermordeten Antimafia-Staatsanwalts Giovanni Falcone, der die Losung „Follow the money“ ausgegeben hatte: Verhaftungen und Urteile allein nicht reichten nicht aus, sagte Falcone schon 1983 – ohne angemessene Finanzermittlungen kann die Mafia nicht bekämpft werden.
Man kann die Mafia nur treffen, wenn man ihr das nimmt, was ihr am teuersten ist: ihren Besitz. Genau das war auch im Sinne von Pio La Torre, dem Gewerkschafter und Politiker, dem Italien das erste Gesetz zur Beschlagnahmung von Mafiagütern verdankt – ein Gesetz, das die Zugehörigkeit zur Mafia unter Strafe stellt und die Beschlagnahmung ihrer Güter ermöglicht. Das Gesetz, das seinen Namen trägt, trat 1982 in Kraft, fünf Monate, nachdem Pio La Torre von der Mafia ermordet worden war. Auf Geheiß des Bosses Totò Riina.
„Es gibt zwei Dinge, die die Mafia stören: Die Enteignung ihrer illegalen Güter und die Bewusstwerdung der Menschen, ihr Erwachen – denn eine Gesellschaft, die sich ihrer Rechte und Verantwortung bewusst ist, läßt sich nicht von der Mafia erpressen. Die Macht der Mafia basiert nicht nur auf der Komplizenschaft einiger, sondern auch auf der Gleichgültigkeit und der Untätigkeit vieler“, sagte Don Ciotti.
Und genau deshalb rief der Boss Totò Riina aus dem Gefängnis dazu auf, Don Ciotti zu töten. Beim Freigang im Gefängnishof wurde Riina dabei abgehört, wie er zu einem anderen Mafioso sagte:. „Ciotti, Ciotti … er ist wie Puglisi, wir könnten ihn auch umbringen“ – worauf der andere Mafioso entgegnete: „Mach dir keine Sorgen, wir organisieren das schon.“
Auch Don Pino Puglisi war ein Priester, der in einem Stadtviertel von Palermo zur Bewusstwerdung der Menschen beitrug und dafür 1993 von Cosa Nostra in Palermo ermordet wurde.
Ja, die Mafia hängt am Geld. Denn sie hat nichts anderes. Sie hat keine Werte, sie hat kein ideologisches Fundament. Deshalb reagiert sie empfindlich, wenn man ihr das Geld nimmt, so wie Totò Riina, den es verrückt macht, dass sein Haus in Corleone heute von Libera bewirtschaftet wird – sein Haus mit den goldenen Wasserhähnen, in dem heute eine Landwirtschaftsschule und die Finanzpolizei untergebracht ist.
Don Luigi Ciotti war bereits ein engagierter Mensch, bevor er Priester wurde. Um denen eine Stimme zu geben, die keine haben, gründete er 1965 die Gruppe Abel, um Drogenabhängigen, Prostituierten und minderjährigen Häftlingen zu helfen – der Name „Gruppe Abel’“ ist durchaus programmatisch gemeint, geht es doch darum, unschuldigen Opfern von Gewalt Gerechtigkeit erfahren zu lassen.
1972 wurde Don Ciotti zum Priester geweiht, mit 27 Jahren – der damalige Erzbischof von Turin ernannte ihn zum Pfarrer der „Straße“. Bis heute ist Don Ciotti ein einfacher Priester geblieben, er verzichtete darauf, die Karriereleiter des Klerus emporzusteigen und blieb seiner Pfarrgemeinde verpflichtet, der „Straße“ im konkreten und übertragenen Sinne: In den Jahren des Terrorismus und der Bleiernen Zeit kümmerte sich Don Ciotti auch um ehemalige Terroristen und gründete in den Achtzigerjahren LILA: Lega italiana per la lotta contro l’Aids. Don Ciotti setzte sich dafür ein, Präservative zum Schutz vor Aids zu verteilen – für sein Engagement wurde er von einigen im Klerus hart kritisiert: Er solle sich um das spirituelle Wohlergehen der Gemeinheit kümmern und die sozialen Fragen außer acht lassen, hieß es.
Denn in Italien gab es nicht nur viele Priester, die gegen die Mafia gekämpft und dafür mit dem Leben bezahlt haben, wie Padre Puglisi oder Don Diana, es gab und gibt auch Priester, die es als ihre Aufgabe betrachten, sich vor allem um das spirituelle Wohlergehen einiger Mafiabosse zu kümmern – schließlich hofft Cosa Nostra auf himmlische Gerechtigkeit. Die irdische verschafft sie sich selbst. Prozesse können zurechtgerückt, Richter und Politiker gekauft werden.
Als Nitto Santapaola, Boss der Mafiafamilie von Catania, festgenommen wurde, ergriff er, bevor ihm die Handschellen angelegt wurden, die Bibel und küsste sie. Und als sich der Boss Michele Greco, genannt „der Papst“, während des Maxiprozesses wegen Hunderter von Morden zu verantworten hatte, bemerkte er lediglich: „Ich verfüge über eine unschätzbare Gabe – den inneren Frieden.“ In seiner Gefängniszelle lagen vier Bücher auf dem Nachttisch, mit deren Lektüre er sich die lebenslange Haft verkürzte: das Evangelium, ein Gebetbuch und zwei liturgische Bücher. Ähnlich sieht auch die Handbibliothek des Bosses Totò Riina aus, der nie ohne Heiligenbilder am Kopfende seines Gefängnisbettes schläft. Und die Bibelfestigkeit des Bosses Bernardo Provenzano ist legendär: Als er am Ende seiner 42 Jahre, 11 Monate und 2 Tagen währenden Flucht in Corleone festgenommen wurde, fanden die Polizisten fünf Bibeln mit Merkzetteln und unterstrichenen Stellen – die wie die Ermittler vermuteten, nicht nur die Gottesfurcht des Bosses belegten, sondern auch die Verschlüsselungstaktik für seine Botschaften: die pizzini, jene kleinen, gefalteten Zettelchen, mit denen ihm es gelang, im Zeitalter von Internet, Abhörwanzen und Satellitenüberwachung unsichtbar zu bleiben. Cosa Nostra dechiffrierte seine Zettelchen mit Hilfe von Gottes Wort.
Und vor kurzem ließ sich ein Mafiaboss in Rom im Stil des „Paten“ beerdigen. An der Kirche, in der die Trauerfeier stattfand, hing ein überdimensionales Bild, auf dem der wie ein Kleriker gekleidete Boss als „König von Rom“ bezeichnet wurde.
„Als Geistliche haben wir natürlich die Aufgabe, alle zu empfangen, niemanden abzulehnen – aber auch, zu unterscheiden“, sagte Don Ciotti – nicht ohne zu versäumen, darauf hinzuweisen, dass die Mafia sich ihre eigene Gottheit erschaffen hat: Der Glaube, der den Bossen passt, ist ein Glaube ohne Ethik – um sich selbst freizusprechen.
Don Ciotti weiß den Papst an seiner Seite. Wobei Papst Franziskus nicht der erste Papst ist, der die Mafia verdammte, das hatten Papst Paul II. und auch Papst Benedikt bereits getan. Papst Franziskus aber hat es dabei nicht versäumt, auf die enge Verbindung zwischen Mafia und Korruption hinzuweisen, die moralische und materielle Korruption, die jede Hoffnung raubt – in einem Wirtschaftssystem, das, wie Don Ciotti zu betonen nicht müde wird, jede Ethik und Verbindung zum Gemeinwohl verloren hat.
Die lange Wirtschaftskrise in Italien hat die Mafia reich gemacht. Viele Unternehmer sahen keine andere Lösung, als sich an private Geldinstitute zu wenden, hinter denen sich mafiose Wucherer verbargen. Don Ciotti hat immer wieder darauf hingewiesen: Die Mafia hat schneller als alle anderen gemerkt, dass die Globalisierung, die Erweiterung des sogenannten „freien Markts“ im Wesentlichen bedeutet, ein Markt ohne Regeln zu sein. Die Mafia konnte dank des „freien Markts“ ihren Reichtum unendlich ausdehnen: Dank ihrer wirtschaftlichen Bedeutung kann sie Börsengänge beeinflussen und komplizierte Finanzmechanismen kontrollieren: Dadurch ist eine enorme Grauzone entstanden, zwischen legaler und illegaler Wirtschaft kann kaum noch unterschieden werden.
Oder wie ein palermitanischer Antimafia-Staatsanwalt sagte: „Die Mafia ist heute ein struktureller Bestandteil des internationalen Finanzkapitalismus.“
Wie sehr sich die illegale Wirtschaft der legalen angenähert hat, ist auch daran zu sehen, dass die Europäische Union beschlossen hat, seit 2014 zum Bruttosozialprodukt der europäischen Staaten auch den Umsatz zu zählen, der mit Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel gemacht wird.
Die Geldwäsche, so hat Don Ciotti betont, stellt das Verbindungsstück dar zwischen der Gesellschaft und der Kriminalität, sie ist die Brücke, weil sie den Kriminellen die Möglichkeit bietet, vom System empfangen und integriert zu werden, bis sie schließlich in den Aufsichtsräten sitzen, in denen wichtige wirtschaftliche, politische und soziale Entscheidungen getroffen werden. Geldwäsche ist für die Mafia das Mittel, in der Gesellschaft anzukommen, mit ihr Entscheidungen zu treffen, integriert zu sein.
In den letzten Jahrzehnten kam es nicht nur zu einer Globalisierung der Wirtschaft, sondern auch zu einer Globalisierung der Mafia. Kein Land entkommt ihr. In Italien werden die Güter konfisziert – während die Mafia sich Europa untertan macht, ja Europa kolonisiert.
Und an dieser Stelle möchte ich auf die besondere moralische Verantwortung Deutschlands hinweisen: Deutschland ist ein Eldorado für Mafiosi. Die Mafia ist in Deutschland seit 40 Jahren zu Hause. Und seit 40 Jahren wird sie ebenso regelmäßig entdeckt, wie sie wieder vergessen wird.
Die Mafia schätzt an Deutschland die Stabilität, den Wohlstand und die Tatsache, unterschätzt zu werden. Die Mafia liefert Prostituierte, Kokain, Kinderpornomaterial, Waffen und billige Arbeitskräfte. An Dienstleistungen bietet sie Investitionskapital an, falsche Rechnungen, mit denen Steuern „gespart“ werden können, illegale Giftmüllbeseitigung und – qua Gewalt oder Korruption – Unterstützung bei der Vermittlung öffentlicher Aufträge und beim Erreichen von Verwaltungsgenehmigungen.
Die Mafia schätzt vor allem die deutschen Gesetze: Mafiazugehörigkeit ist in Deutschland auch kein Strafbestand wie er in Italien definiert wird, wo die alleinige Zugehörigkeit zu einem Clan bereits strafbar ist. Und weil es die Mafiazugehörigkeit in Deutschland praktisch nicht gibt, gibt es naturgemäß auch keine Urteile wegen selbiger – woraus folgt, dass ein weiteres Instrument zur Bekämpfung der Mafia, nämlich die Beschlagnahmung von Mafiagütern, in Deutschland praktisch nicht existiert.
Und dank der Beweislastumkehr müssen die Mafiosi auch nicht fürchten, nachweisen zu müssen, woher ihr Geld kommt, das sie in Deutschland waschen.
Als ein kalabrischer Mafioso von der deutschen Polizei kontrolliert wurde, stellte sie fest, dass er 425 000 Euro bei sich hatte, die er, wie er auf Nachfrage mitteilte, einem Freund bringen wollte. Als die italienische Polizei vorschlug, das Geld vorsorglich zu beschlagnahmen, wurden sie von ihren deutschen Kollegen darüber belehrt, dass eine „vorsorgliche Beschlagnahmung“ in Deutschland nicht vorgesehen sei. In Italien hingegen kann Besitz bereits beschlagnahmt werden, wenn nur der Verdacht auf Mafiazugehörigkeit besteht.
Auf ihrem Siegeszug durch die Welt arbeitet die Mafia keineswegs ausschließlich mit Gewalt, mit Brutalität, ganz im Gegenteil. Sie arbeitet mit Geld und guten Worten.
Gute Worte, die sich häufig nicht nur in Artikeln wiederfinden, sondern auch in Romanen. Unzählige Journalisten, Kriminalschriftsteller und Regisseure haben die Mafia ein popkulturelles Phänomen verwandelt.
„Mit der romantisierenden Darstellung im Fiktionalen wird der Mythos befeuert, der suggeriert, dass sowohl die Mafia (die Bösen) als auch Antimafia (die Helden) weit weg von uns, zu abgehoben seien – dass sie nichts mit uns zu tun haben“, sagte Don Ciotti.
Er war es auch, der darauf hinwies, dass selbst das Enthüllen der vermeintlichen „Geheimnisse“ der Mafia nicht dazu beiträgt, die Mafia zu bekämpfen, ganz im Gegenteil. Natürlich ist es wichtig, die Riten, den Kodex, der Symbole der Mafia zu verstehen – wenn man sich aber allein darauf konzentriert, dient das viel mehr der Entlastung: Man gibt man sich der Illusion hin, dass die Mafia etwas „anderes“ ist: „eine Welt für sich“ – und nicht viel mehr ein Teil unserer Welt.
Die Mafia aber ist keine Welt für sich, im Gegenteil.
Ich möchte mit den Worten eines sizilianischen Mädchens schließen, deren Vater und Bruder zur Mafia gehörten und die von der Mafia ermordet wurden.
Rita Atria war 16 Jahre alt war, als sie beschloss, der Justiz alles zu sagen, was sie über die Mafia in ihrem Dorf wusste. Daraufhin wurde sie von ihrer Mutter verstoßen und lebte unter fremden Namen in Rom. Als ihr Mentor, der Staatsanwalt Paolo Borsellino, von der Mafia ermordet wurde, nahm sie sich das Leben. Sie wurde keine 18 Jahre alt.
In ihr Tagebuch schrieb sie: „Bevor du anfängst, gegen die Mafia zu kämpfen, musst du dein eigenes Gewissen prüfen – erst wenn du die Mafia in dir besiegt hast, kannst du gegen die in deinem Freundeskreis kämpfen. Denn die Mafia, das sind wir selbst und unsere verkehrte Art, uns zu verhalten.“
Ich gratuliere Don Ciotti zu diesem Preis und beglückwünsche die Jury zu ihrer Wahl.