Leben in Airbnb

Heute las ich in der SZ ein schönes Interview mit Murray Cox, Kritiker von Airbnb, einem in New York lebenden australischen Journalisten – das mir als „veneziana di adozione“ natürlich aus dem Herzen sprach.

In dem Interview wurde auch ein Punkt angesprochen, ein Mantra, das gebetsmühlenartig von den Verteidigern von Airbnb wiederholt wird, nämlich dass den Städten Einnahmen entgingen, wenn sie sich dieser Tourismusform verschlössen.

Nun wäre der Verzicht auf Ferienwohnungen für Venedig ungefähr so, als würde eine Gans auf die Zwangsfütterung zur Erlangung einer Fettleber verzichten: Als Ferienwohnung vermietet, kann man für ein kleines Appartement 1200 Euro pro Woche einnehmen – und nicht 1200 Euro pro Monat, wie für normale Mieter. Demzufolge ist es in Venedig praktisch unmöglich geworden, eine Wohnung zu mieten.

Ferienwohnungen ziehen den Verlust jeder städtischen Infrastruktur nach sich, was gerade jetzt, wo die kalte Jahreszeit beginnt, in Venedig schön zu sehen ist, wenn praktisch ganze Stadtviertel schließen. Die Venezianer sind schon lange nach Mestre gezogen und vermieten die Wohnungen ihrer Eltern ausschließlich als Ferienwohnungen, folgerichtig gibt es den Fischhändler nicht mehr, er verkauft jetzt Pastellansichten von Venedig, der Fleischer hat seinen Laden an Chinesen verkauft, die chinesische Taschen verkaufen, der Blumenhändler einem chinesischen Krimskramsladen gewichen …

Und so traurig geht es weiter, mit den städtischen Einnahmen, haha. Bislang warten wir in Venedig vergeblich darauf, dass die Stadt zurückschlägt. Wir leben nicht mehr in Venedig, wir leben in Airbnb.

Wirtschaft, 11.10.2016

Verbote

„Die Städte werden zurückschlagen“
==================================

Interview von Benedikt Müller

Murray Cox gilt als bekanntester Kritiker von Portalen wie Airbnb. Der Datenaktivist wertet auf seiner Webseite „Inside Airbnb“ Angebote der Buchungsplattform aus. Nach dem Besuch der Immobilienmesse Expo Real in München reist der Australier, der in New York lebt, zurzeit durch die Alpen. Er übernachtet dabei nicht in Ferienwohnungen, sondern in kleinen Gasthäusern.

SZ: Herr Cox, Plattformen wie Airbnb machen den Hotels Konkurrenz, viele Touristen freuen sich über die günstigen Angebote. Warum freuen Sie sich nicht?

Murray Cox: Ich habe nichts gegen mehr Wettbewerb auf dem Hotelmarkt. Aber die entscheidende Frage ist doch: Woher bekommen Airbnb und Co. ihr Angebot? Diese Plattformen geben Eigentümern einen Anreiz, ganz normale Mietwohnungen in Ferien-Apartments umzuwandeln. Ich denke, das ist besorgniserregend in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Es heißt zwar immer, diese Portale würden das Gastgewerbe durcheinanderbringen. Aber in Wahrheit bringt Airbnb den Wohnungsmarkt durcheinander.

Übertreiben Sie da nicht ein bisschen? In Berlin soll es etwa 14 000 Airbnb-Apartments geben. Das ist nicht mal ein Prozent des Wohnungsmarktes.

Das Phänomen konzentriert sich auf ein ganz bestimmtes Segment: kleine Wohnungen in einzelnen Innenstadt-Bezirken. Dort schreitet die Gentrifizierung voran. Ich selbst habe vor zwei Jahren angefangen, Daten über Airbnb zu sammeln, weil es in meiner Nachbarschaft in Brooklyn immer schlimmer wird. Dort wohnen ungefähr 100 000 Leute und es gibt etwa 500 Apartments, die immer wieder tageweise über Airbnb vermietet werden. Das bedeutet: Für 500 Familien gibt es keinen Wohnraum mehr. Das klingt vielleicht nicht viel. Aber stellen Sie sich mal vor, wie teuer es wäre, so viele Wohnungen neu zu bauen. Und wie lange das dauern würde.

Andererseits entgehen den Städten Einnahmen, wenn sie sich dieser Tourismusform verschließen.

Klar, Touristen sind ein Wirtschaftsfaktor. Und für kleine, schrumpfende Städte mag es sich lohnen, diese neue Form des Reisens zuzulassen. Aber man sollte nicht vergessen, dass Einheimische das ganze Jahr über Geld in der Stadt ausgeben. Wenn Einheimische verdrängt werden, verliert man diese Einnahmen für die gesamte Wirtschaft.

Die ursprüngliche Idee der Plattformen lautet: Menschen bieten Wohnraum an, den sie gerade selbst nicht brauchen. Das ist doch effektiv!

Tatsächlich denken die meisten Menschen, wenn sie von Airbnb und anderen Plattformen hören, dass dort einzelne Schlafplätze in ganz normalen Wohnungen untervermietet werden. Doch diese klassischen „Couchsurfing“-Angebote machen gerade mal ein Prozent der Inserate aus. In den meisten Städten werden vor allem ganze Apartments angeboten. Es gibt viele kommerzielle Anbieter, die nichts anderes mit diesen Wohnungen machen. Und an vielen Tagen stehen die Apartments leer, weil gerade nicht genug Touristen in der Stadt sind. Ich bleibe dabei: Es ist nicht ökonomisch, einen Anreiz zu geben, Wohnungen leer stehen zu lassen.

In Deutschland gehen viele Städte mit umstrittenen Regeln gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vor. Wie bewerten sie die Regulierung, etwa in Berlin?

Berlin hat eine der strengsten Regulierungen weltweit. Ich denke, der Ansatz ist gut, weil der Wohnungsmarkt unter großem Druck steht. Ich finde es richtig, wenn Städte kommerzielle Angebote auf Plattformen wie Airbnb gänzlich verbieten. Denn was ist die Alternative? Manche Städte erlauben es, eine Wohnung bis zu 60 Tage pro Jahr auf den Plattformen anzubieten. Doch das ist schwierig zu kontrollieren. Wenn ein Anbieter die 60 Tage bei der einen Plattform erreicht hat, kann er zu einem anderen Portal wechseln. Vielerorts bewegen sich Airbnb und seine Konkurrenten in einer Grauzone zwischen dem Gastgewerbe und dem Wohnungsmarkt, die nicht reguliert ist.

Wie stark ist der Wettbewerb zwischen Airbnb und anderen Plattformen?

In den meisten Märkten haben Konkurrenten von Airbnb nur einen Marktanteil von zehn bis 15 Prozent. Ich erwarte, dass die Zahl der Inserate bei Airbnb weiter steigen wird, weil die Plattform viel Geld für Werbung ausgibt. Sehen Sie, in meiner Stadt New York haben wir vor einem Jahr etwa 30 000 Inserate bei Airbnb gezählt. Heute sind es schon 39 700. Aber ich glaube, die Städte werden zurückschlagen. Auch in New York überlegt die Politik zurzeit, ob Werbung für kommerzielle Ferienwohnungsangebote verboten werden sollte. Vielleicht kann eine schärfere Regulierung künftig an der Marktmacht von Airbnb rütteln.