Cineasten-Einheit (Filmfest 3 und Schluss)

Wehmut weht über den Lido. Die Badekabinen werden geräumt, aus den aufblasbaren Krokodilen wird die Luft rausgelassen, die letzten, halbleeren Flaschen Sonnenöl weggeworfen. Die Kinder bekommen am Strand ein letztes Wassereis und quengeln so lange herum, bis sie sich aus dem Automaten ein letztes Abziehbild  ziehen dürfen, das so begehrt ist, weil es wie eine echte Tätowierung aussieht.

Wenn der Gewinner der Mostra verkündet wird, ist der Sommer vorbei. Und das bei Temperaturen von dreißig Grad, einem spiegelglatten und perfiderweise vermutlich  komplett quallenfreien Meer. Natürlich könnte man sich auch noch später an den Strand legen, wenn es das Wetter erlaubt, aber man macht es nicht. Weil der Anblick der geschlossenen Badekabinen so wehmütig stimmt. Weil man weiß, dass dieser Sommer endgültig vorbei ist. Sprach der Rabe: Nimmermehr.

Endgültigkeit ist schrecklich.

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Ich werde  morgens früh nicht mehr zum Vaporetto rennen – und durch Anblicke wie diesem morgens

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oder diesem abendsimg_5799

für die Gemeinheiten der Welt entschädigt. (Kreuzfahrtschiffe alle weggephotoshopt)

Es war so schön, in dieser cineastischen Seifenblase zu schweben. Apropos Seifenblase:

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Eine Cineasten-Staffel! So was gibt es nur in Italien, schwärmten wir, meine romantisch infizierten deutschen Kritiker-Freundinnen und ich: Cineasten unter den Polizisten!

Jedes Mal, wenn wir an dem Wagen der Unità cinofila vorbeiliefen, lächelten wir die Polizisten verständnisinnig an. In Deutschland, dachten wir, wäre es undenkbar, Polizisten zum Schutz der Mostra del Cinema nach cineastischen Kriterien auszusuchen, also nur diejenigen, die wissen, wer der Regisseur vom „Fahrstuhl zum Schafott“ ist und was er für die Kinogeschichte bedeutet, oder dass der russische Regisseur Michalkow der Bruder des Regisseurs Konschalowsky ist, dessen (schauerlicher) Film hier lief. Und vielleicht hatten die Beamten von der Cineasten-Einheit sogar auch ein gewisses Stimmrecht? Vielleicht verbargen sie sich hinter dem ominösen „Pubblico“, das bei der täglichen Bewertung der Wettbewerbsfilme dem schönen „La La Land“ eigenartigerweise nicht vier, sondern nur drei Sterne verlieh? Wir wissen es nicht.

Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, mehr gute Filme als in anderen Jahren gesehen zu haben. Nur aus einem Film bin ich rausgegangen: Als in dem Kannibalen- Film „The Bad Batch“ das zweite Bein abgeschnitten wurde, war mir die Handlung etwas zu voraussehbar. (Wetten, dass er einen Preis kriegt?)

Meine Favorites sind:

  • La La Land
  • der Argentinier: „El ciudadano ilustre„: Ein Schriftsteller und Nobelpreisträger kehrt nach vierzig Jahren zum ersten Mal wieder in sein Heimatdorf zurück, das ihm Inspirationsquelle und Sehnsuchtsort zugleich war und ihn nun spüren lässt, dass ihm seine Bewohner nicht unbedingt wohlgesonnen sind.
  • Jackie
  • Der Alien-Film „The Arrival
  • Tom Fords Film „Nocturnal Animals
  • Der Papstfilm „The Young Pope“ von Sorrentino (kein Wettbewerbsfilm)
  • Rocco (auch kein Wettbewerbsfilm)

„Rocco“ ist ein Dokumentarfilm über den Pornodarsteller Rocco Siffredi – der in Italien wie ein Nationalheiliger verehrt wird (remember: Cicciolina hat es hier bis ins Parlament geschafft), ja Rocco Siffredi ist ein italienisches Kulturgut, wie Pompeji oder die Markuskirche oder das Kolosseum, auf jeden Fall etwas, auf das man in Italien sehr stolz ist. Und das nicht nur, weil Rocco mit Sex reich und berühmt geworden ist, sondern auch, weil Italien nicht zuletzt auch das Land des Vatikans, der Bigotterie und der Doppelmoral ist.
Der Film über Rocco Siffredi ist klug, witzig und erstaunlich tiefsinnig.

Und zum Schluss noch etwas Prosaisches: Unità cinofila heißt auf deutsch „Hundestaffel“. Okay,okay, okay. Aber die Vorstellung war zu schön.