Nach dem Erdbeben ist vor dem Erdbeben, in Italien. Millionen für den Wiederaufbau, lese ich auf SPON – wenn man seit langem in Italien lebt, hat man diesen Satz schon öfter gehört, genauer gesagt, nach jedem Erdbeben. Das Geschäft läuft glänzend, für die Mafia, für die Bauindustrie – nur nicht für die Opfer der Erdbeben.
Nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert“ versucht man gar nicht mehr, den Zynismus dahinter zu verbergen: Auf Rai Uno konnten sich der Talkmaster Bruno Vespa und Graziano Delrio, Minister für Infrastruktur, gar nicht mehr einkriegen vor lauter Begeisterung über die Steigerung des Bruttosozialprodukts qua Erdbeben:
Vespa: „Ein toller Stoß für den Wirtschaftsaufschwung, wenn man bedenkt, was die Bauwirtschaft jetzt alles machen kann.“
Minister: „L’Aquila ist jetzt die größte Baustelle Europas und auch die Emilia ist eine riesig wachsende Baustelle, die das Bruttosozialprodukt steigern wird“
Vespa: „Wird einem Haufen Leuten Arbeit geben.“
In der ZEIT habe ich vor langer Zeit darüber geschrieben, was Erdbeben für Italien bedeuten. Der Text ist nach wie vor aktuell. Im Grunde muss man nur an die Stelle von L’Aquila „Amatrice“ setzen. Leider.
Aus der Geschichte wissen die Italiener: Der Gewinner eines Erdbebens ist immer die Mafia. Auch die Hilfsfonds zum Wiederaufbau von L’Aquila drohen zur Einkommensquelle verbrecherischer Kreise zu werden
Von Petra Reski
8. April 2009
Die Erde bebt noch und schon jetzt teilt sich die Mafia die Aufträge auf. So sagt man in Italien – und das nicht erst seit dem Erdbeben in den Abruzzen. Silvio Berlusconi hat ein erstes Hilfspaket von 30 Millionen Euro angekündigt, man erwartet auch EU-Gelder aus dem Solidaritätsfond für Naturkatastrophen – am Ende werden Milliarden von Euro nach Abruzzen strömen. Private Spenden und staatliche Gelder, regionale Zuschüsse und europäische Notstandsfonds: Ein langer, ruhiger Fluss, den die Clans in ihre eigenen Taschen umzuleiten gedenken.Seit Jahrzehnten sind öffentliche Bauaufträge eine Einkommensquelle der Mafia – die in der Bau- und Immobilienbranche immer schon zu Hause war. Was kann da Besseres passieren, als wenn eine ganze Region wieder aufgebaut werden muss? In der vom Erdbeben betroffenen Region sind laut Francesco Forgione, dem Präsidenten der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, vor allem die aus Kampanien stammende Camorra aktiv sowie die apulische Sacra Corona Unita, die jüngste und kleinste Mafia-Organisation.
Die historische Erfahrung hat die Italiener gelehrt, dass der Gewinner eines Erdbebens immer die Mafia ist. Auch dank dieser Naturkatastrophen gelang es ihr, zu „Italiens größtem Unternehmen“ aufzusteigen. Der Umsatz betrage mehr als sieben Prozent des italienischen Bruttosozialprodukts, teilte der italienische Unternehmerverband mit.
Am 20. Januar 1968 zerstörte ein Erdbeben ein Drittel der Häuser im Belice-Tal in der sizilianischen Provinz Agrigent – ganz so, als hätte die Natur der ärmsten Provinz Italiens noch den letzten Stoß versetzen wollen. Als die Erde in jener Januarnacht bebte, starben 370 Menschen unter den Trümmern ihrer Häuser, rund 1000 wurden verletzt, 70.000 Menschen verloren ihre Bleibe. Ganze Dörfer waren von der Erde verschluckt worden, und in Partanna, Montevago und Santa Margherita di Belice zogen die Überlebenden in Notunterkünfte – in der Hoffnung, hier nur den Winter überstehen zu müssen. Aus einem Winter wurden für die meisten mehr als 25 Jahre. Das Belice-Tal verkörpert seither für ganz Italien die Macht der Allianz von Mafia und korrupten Politikern: Von jenen 2600 Milliarden Lire, die von der römischen Regierung damals für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt wurden, erreichte nur ein verschwindend kleiner Teil die Bedürftigen.
Das große Geld machte die Mafia. Sie übernahm das Baugeschäft, sicherte sich die privaten und öffentlichen Bauaufträge und wurde so zum größten Arbeitgeber im Belice-Tal. Wer Arbeit gibt, der kontrolliert auch Wählerstimmen. Das ist heute noch ein Naturgesetz in Süditalien. Dank der römischen Subventionsmilliarden konnte sich die bäuerliche Mafia des Belice-Tals zum politischen Faktor entwickeln. Wer wie die Erdbebenopfer in Partanna, Montevago oder Santa Margherita di Belice ein Vierteljahrhundert in Wellblechhütten und Pappcontainern überlebt hat, der glaubt nicht mehr an Gerechtigkeit – außer, er verschafft sie sich selbst.
Beim Erdbeben in Irpinia 1980, einem Landstrich in Kampanien, stellte die italienische Regierung 50.000 Milliarden Lire für den Wiederaufbau zur Verfügung, aber nur die Hälfte wurde tatsächlich für den Wiederaufbau genutzt. Stattdessen entstanden Firmen, Stadtviertel, ganze Dörfer nur auf dem Papier. Das Epizentrum befand sich in Neapel – und zwar nicht nur das des Erdbebens, sondern auch das der Camorra-Clans, die dank der Subventionsmilliarden erst richtig reich wurden. Sie verschafften sich damals den politischen und sozialen Einfluss, von dem sie noch heute profitieren.
Ponticelli, ein Vorort von Neapel, der noch heute aus den Bauruinen des Erdbebens besteht, wurde zur Camorra-Festung. Der Camorrista Ciro Sarno wurde „o’ sindaco“ genannt, der Bürgermeister, weil er sich zum Gebieter über das Volk der Terremotati erklärte: jener vom Erdbeben 1980 Vertriebenen, die Ponticellis Bauruinen besetzten – Bauskelette, die von neapolitanischen Bauunternehmern hinterlassen worden waren, nachdem diese ihre Subventionen kassiert hatten. Ciro o’ sindaco hatte die Wohnungen aufgeteilt. Und für Strom, Wasser und Gasanschlüsse gesorgt. Und sich damit die bedingungslose Ergebenheit derer verschafft, die nichts mehr zu verlieren haben.
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Als Staatsanwälte einen Korruptionsskandal rund um die Arbeiten der Zivilschutzbehörde für den auf Berlusconis Betreiben ausgerechnet in L’Aquila abgehaltenen G8-Gipfel aufdeckten, hörten sie die Telefone zweier Bauunternehmer ab, die bereits in der Nacht, als in L’Aquila die Erde bebte, von der Aussicht entzückt waren, dass ihnen nun viel Geld in die Taschen fließen würde. Der eine sagte: „Kümmer dich um die Sache, wir müssen sofort los, im vierten Gang! Ein Erdbeben passiert nicht jeden Tag.“ Und der andere jubelte: „Ich weiß, ich weiß, ich habe mich kaputtgelacht, heute morgen im Bett um halb vier.“
L’Aquila ist bis heute nicht wieder aufgebaut worden. Sieben Jahre danach.