Jetzt mal echt. So was gibt es, den Tag der Trinkhallen im Ruhrgebiet (Sagen wir natürlich nicht, im Ruhrgebiet, Trinkhalle. Wir sagen Bude. Und weil ich gerade im Ruhrgebiet war und beim Herumklicken auf Facebook sah, dass die wunderbare Sabine Brandi (Dortmunderin und erotischste Stimme des WDR) bei dem Trinkhallen-Festival anner Bude in Essen las, habe ich mich kurzentschlossen in den Zug nach Essen geworfen.
Auch wegen der Aussicht auf Mäusespeck und Weingummi.
Sabine Brandi las vor dem, wie ich erfuhr, „Kultkiosk“ von Sven Lauer in Essen-Rüttenscheid
zusammen mit dem Schauspieler Neven Nötig –
sie lasen Buden-Kurzgeschichten, ausgewählt von den Ruhr-Poeten. (Sehr lustig:“Zwei Gauleuse und Bilder mit Mäuse“ von Matthias Reuter).
Natürlich, und das ist jetzt die Werbeeinblendung, sind außer mir auch Serena Vitale und Wolfgang W. Wieneke im Ruhrgebiet aufgewachsen, was Sie als geübter Reskisrepublikleser selbstverständlich wissen, weshalb beide sich mit Buden bestens auskennen, das aber einander nie zugeben würden. Auch weil sie im Moment total beschäftigt sind, mit einem neuen Fall, nach Palermo Connection und Die Gesichter der Toten.
Aber weil in meinem Schriftsteller-Leben eine Würdigung der Bude natürlich nicht fehlen darf, hier ein winziger Auszug aus Ein Land so weit (erschienen im Jahr 2000 – obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass ich da schon geboren war), in dem es um die Verwirrung geht, die der Diercke-Weltatlas in meinem Kopf angerichtet hatte. Ostpreußen, stand in Großbuchstaben über dem Land, befand sich zur Zeit unter polnischer bzw. sowjetischer Verwaltung.
Wenn wir mittags nach der Schule Pfefferminzbruch kaufen wollten, hing manchmal an Fillers Bude ein Schild: Zur Zeit geschlossen. Dann war auch die Klingel abgestellt, weil Frau Filler in der Küche hinter dem Verkaufsraum Mittagessen kochte. Manchmal hing das Schild schon um zwölf da, manchmal erst um eins. Es gab Tage, da öffnete die Bude bereits um zwei Uhr wieder, dann war sie um halb vier noch zu, und an manchen Tagen blieb sie ganz geschlossen. Die Filler macht auf und zu, wann sie will! hieß es immer. Nicht auszudenken, wenn das auch für die polnische und sowjetische Verwaltung gelten sollte. Vielleicht von halb neun bis eins unter polnischer und sowjetischer Verwaltung und von drei bis sechs unter finnischer und ungarischer? Und am Ende wurde an manchen Tagen vielleicht gar nicht verwaltet? Dann fiel mein Blick auf das Kleingedruckte unten auf dem rechten Rand der Seite: Neben dem breiten, roten Grenzstrich stand: Grenze des deutschen Reiches vom 31.12.1937. Die richtige Grenze war also gar nicht der dicke, rote Strich, sondern eine dünne, gepunktete Linie, die allerdings kein Mensch bemerkte, weil der dicke, rote Strich Deutschland unübersehbar einrahmte. Ich fand den Diercke-Atlas, in dem es so willkürlich zuging wie an Fillers Bude und wo man die Grenzen nur im Kleingedruckten fand, wenig glaubwürdig.“
Pfefferminzbruch, Brauseherzen und Mäusespeck sind übrigens aus.