Hey, hey, hey. Ein Gespenst geht um, in Europa … Heulen und Zähneklappern. Jedenfalls bei der SZ. Denn die bangt mal wieder um Renzis politisches Überleben.
Italien flattert und flirrt. Gerade als man dachte, das Land sei politisch stabil, angetrieben von einem jungen und tatendurstigen Premier, da schwindet diese Gewissheit schon wieder. Plötzlich setzt sich der böse Verdacht in den Köpfen der Italiener fest, dass Matteo Renzis schwungvolles Regieren und Reformieren womöglich gar nichts gebracht hat. Dass alle Sparopfer und erduldeten Veränderungen der vergangenen Jahre nicht ausreichen. Die Wirtschaft? Sie steht wieder still. Die Jobmaschine? Funktioniert nicht wirklich. Die Banken? Ach, die Banken.
Ja, verflixt und zugenäht, die Gewissheiten, schon sind sie wieder fort! Und die Banken, Gottchen ja, die Kleinanleger blieben auf der Strecke, denen man ohne ihr Wissen hochriskante Produkte angedreht hatte. Etwa im toskanischen Chiusi della Verna, wo die Hälfte des Dorfes ihre Ersparnisse verloren hat, die sie in der Banca Etruria angelegt hatten. Vizepräsident der Banca Etruria war der Vater der von der (SZ hochgelobten) „Reformministerin“ Elena Boschi. Sie selbst ist Aktionärin und ihr Bruder ist der Bank angestellt. Dank Renzis schnell durchgedrücktem Gesetzesdekret wurden nicht nur die Banken gerettet, sondern vor allem einige Spekulanten sehr, sehr reich gemacht, die Anteile an der Bank kauften, kurz bevor das Gesetzesdekret durchgedrückt wurde. Aber egal.
Anleihen von Banken und vom Staat galten in Italien stets als sichere, patriotische Anlagen. Nun bangen viele kleine Gläubiger um ihre Ersparnisse. Die Regierung beschwichtigt, vermag sie aber nicht zu beruhigen. Auch das drückt auf die Stimmung. Richtig ist schließlich, dass der italienische Staat bis heute grotesk hoch verschuldet ist und dafür hohe Zinsen bezahlt.
Renzi also regiert so schwungvoll herum wie die SZ schwungvoll kommentiert: Nach dem Motto: Okay, scheiße gelaufen, das mit den faulen Krediten. Aber einer muss ja zahlen für die Schulden des italienischen Staates, und warum nicht ein paar – patriotische – Kleinanleger? Die Wirtschaft funktioniert nicht, nach wie vor gehen junge Italiener ins Ausland, um Arbeit zu finden, vom Akademiker bis zum Eisverkäufer, 2,2 Millionen italienische Familien sind arbeitslos, die Steuerlast liegt bei 70 Prozent, und Renzi fliegt mit seiner Familie plus Begleitung im Staatsflug nach Rio. Wer die Bilder von Renzi in Rio sieht, zumal im wohlhabenden Deutschland, kann sich gar nicht vorstellen, dass die Italiener unzufrieden sein könnten. Und auch irgendwie undankbar, wie die SZ findet, denn ungeachtet des schwungvollen Herumregierens
… werden wohl auch viele Italiener die Abstimmung als Gelegenheit nutzen, um ihren Frust über die Krise und ihre diffusen Ängste zu manifestieren. Mit einem „Nein“ aus dem Bauch, gegen das Establishment. Der Anlass? Egal.
Der „Anlass“ wird zwar in dem Artikel selbst zart angedeutet (Die Wirtschaft? Sie steht wieder still. Die Jobmaschine? Funktioniert nicht wirklich. Die Banken? Ach, die Banken) – aber gut. Doch weil ja auch das Ausland mäkelt,
Unlängst hob das britische Magazin The Economist Italien auf sein Cover. Auf der Zeichnung sieht man einen Bus in Grün-Weiß-Rot, der mit offener Hecktüre prekär über einer Klippe hängt, etwas Geröll fällt schon in die Tiefe. Das Bild entspricht dem Lebensgefühl, aber war auch ein wenig platt, wie die italienischen Zeitungen fanden.
schnell noch eine kleine Rolle rückwärts, zumal der Economist ja nicht die Bäckerblume ist:
Allerdings ist Renzi nicht schuldlos an der latenten Unsicherheit im Land. Dem Premier unterlief eine bemerkenswerte Fehleinschätzung: Im Glauben, er sei unschlagbar, verband Renzi sein persönliches Schicksal mit dem Ausgang der nun bevorstehenden Abstimmung über die Verfassungsreform. Verliere ich, sagte er, trete ich ab.
Ja, die Verfassungsreform. Klingt schon so kompliziert. Ist im Grunde aber ganz einfach – und ein gigantisches Hütchenspiel: Der Senat wird keineswegs abgeschafft, sondern lediglich mundtot gemacht. In Zukunft sitzen im Senat nicht mehr von den Bürgern gewählte, sondern nur noch von den Parteien bestimmte Bürgermeister und Regionalpräsidenten – die auf diese Weise auch noch in den Genuss der parlamentarischen Immunität kommen. Eine „Jahrhundertreform“, von der Berlusconi vergeblich geträumt hat: Dank ihr hätte er alle Kritiker und ermittelnden Staatsanwälte ausschalten können – Gesetze könnten im Eiltempo ohne jeden Widerstand durchgepeitscht werden. Aber die undankbaren Italiener könnten tatsächlich so irre sein, nicht dafür zu stimmen. Befürchtet die SZ. Die ein einziges Armageddon prophezeit, sieben Jahre Dürre und Hungersnöte und die Grillini an der Macht:
Niemand wagt vorherzusagen, was mit dem Land nach einem Sturz Renzis geschähe. Gäbe es bald Neuwahlen, würde wohl die Protestbewegung Cinque Stelle von Beppe Grillo gewinnen. Und die möchte Italien am liebsten sofort aus dem Euro lösen. Es wäre keine Fünf-Sterne-Lösung – weder für Italien noch für Europa. Renzi bleiben nur noch drei Monate Zeit, um die Italiener von den Vorzügen seiner Reform zu überzeugen und die Abstimmung von seiner Person zu entkoppeln. Das wird schwierig, denn die Materie ist trocken und kompliziert. Die Sommerunruhe zeugt davon, dass Italien vor entscheidenden Monaten steht.
Dem ganzen Hin- und Her merkt man natürlich deutlich den Wunsch an, sich möglichst geschmeidig zu positionieren, für den Fall der Fälle, besagtem Armaggedon. Schließlich gibt es da schon im Ausland einige, die auf den fahrenden Zug aufspringen, unter anderem die Times, die nicht auf den Zug, sondern auf die Vespa gesprungen ist, mit der Alessandro Di Battista einen Monat lang Italien auf der coast-to-coast-Tour durchquert, um auf Plätzen zu erläutern, was es mit der Verfassungsreform auf sich hat. Eine Verfassungsreform, gegen die nicht nur die 5Sterne-Bewegung kämpft, sondern auch der ehemalige Präsident des italienischen Verfassungsgerichts zusammen mit weiteren 56 Verfassungsrechtlern, namhaften Juristen, Intellektuellen, Journalisten, Schriftstellern und Künstlern.
Gestern Abend hat Alessandro Di Battista in Chioggia gesprochen – nachdem der Bürgermeister von Jesolo, wohl um die Seelen der Badegäste bangend, ihm verboten hat, in Jesolo seine Kundgebung gegen die Verfassungsreform abzuhalten. Di Battista forderte eine Lehrerin aus dem Publikum auf, eine Passage aus der vorgeschlagenen Reform vorzulesen – die komplett unverständlich war. Nicht weil die Lehrerin schlecht gelesen hatte. Sondern weil sie unverständlich geschrieben ist.
„Wer schlecht schreibt, denkt auch schlecht“, sagte Alessandro Di Battista.
Schöner Satz.