Ich wollte auch noch was zum #Brexit sagen, ja, Leute, tut mir leid, da müsst Ihr durch, zumal ja schon eifrig über den vermeintlichen Euroskeptizismus der Italiener berichtet wurde und wird, wobei die SZ es hinkriegte, die römische Bürgermeisterin der Fünfsternebewegung mit der Rechten zusammenrühren (Le Pen, AfD, etc.pp.): Wenn es um Fünfsterne-Bashing geht, ist man ja vor nix fies.
Bis vor wenigen Jahren waren die Italiener nicht nur Ah-La-Germania-Eiferer, sondern auch glühendste Europaverfechter: Nur Europa kann uns retten, hieß es. Retten vor der Mafia, einer korrupten Politikerkaste, der Vetternwirtschaft im öffentlichen Dienst, der Jugendarbeitslosigkeit von 42 Prozent und einer Pressefreiheit, um die es nur in der Mongolei oder Bulgarien schlechter bestellt ist. Solo in Italia! Die Italiener verlangten nicht weniger, sondern mehr Europa, weil Europa da noch kein Theorem der Hochfinanz war, sondern ein Synonym für Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und Vielfalt.
So war das – bis die etablierten italienischen Parteien die Europa-Leidenschaft der Italiener für sich entdeckten. Aus der Europa-Leidenschaft wurde die Europa-Keule. Immer wenn es darum geht, die italienischen Bürger von der Notwendigkeit eines besonders absurden Gesetzes zu überzeugen, heißt es: Das verlangt Europa von uns! Etwa Ölkännchen zu verbieten (5000 Euro Strafe, wenn das Olivenöl nicht in einer Flasche, sondern in einer Glaskaraffe auf dem Tisch steht, 8000 Euro Strafe, wenn die Flasche wieder auffüllbar ist) oder die Abhörpraxis einzuschränken: Sobald Abhörprotokolle die politische Kaste in die Bredouille bringen, werden obskure europäische Normen zum Schutze der privacy strapaziert, um die Abhörpraxis unter Strafe zu stellen. Denn die Delikte, die hier abgehört werden, sind fast alles Delikte des Establishments: Korruption, Mafia, Amtsmissbrauch.
Im Laufe der Jahre stellten die Italiener erstaunt fest, dass die europäischen Fördergelder nicht in ihre Taschen flossen, sondern in die der Mafia und der mit ihnen verbandelten Politiker. Es begann mit der „Agenda 2000“: das europäische Förderprogramm zur „Beseitigung von Ungleichgewichten zwischen den Regionen“ stimulierte ihren Appetit. (Der Ex-Senator Marcello Dell’Utri, dieser zur Zeit in Haft wegen Mafiabeihilfe befindliche Berater Berlusconis war auch Europaparlamentarier. Im Justizausschuss.)
Die Mafia hält den Süden in einer künstlich erzwungenen Unterentwicklung – ohne die keine europäischen Fördergelder mehr fließen würden, und kein Boss mehr um einen Job angebettelt würde. Deshalb herrscht in Süditalien ungeachtet aller europäischen Förderprogramme unverändert die größte Arbeitslosigkeit, der höchste Umfang an Schwarzarbeit und ein Bruttosozialprodukt, das um 53 Prozent unter dem Nord- und Mittelitaliens liegt. Was mit der „Agenda 2000“ begann, fand seinen vorläufigen Höhepunkt in den neuesten Geschäftszweigen der Mafia: der Müllbeseitigung, der Versorgung von Flüchtlingen und dem Einsatz erneuerbarer Energien. Die EU hat die Mafia reich gemacht. Und die einzigen, die das jemals öffentlich gemacht haben, war nicht Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia, nicht der Bankenfreund Mario Monti, nicht der glücklose Enrico Letta, nicht der von den deutschen Medien stets verklärte ehemalige Staatspräsident Napolitano oder der selbst ernannte Verschrotter Matteo Renzi, sondern die Fünfsterne-Bewegung. Die keineswegs aus Europa austreten wollen, wie die Briten, sondern dazu beitragen wollen, dass die EU nicht einfach ein Bankautomat ist – ein gigantischer Selbstbedienungsladen für Mafia und korrupte Politiker, sondern wieder die Werte vertritt, wofür sie einst gegründet wurde.
Und man muss nicht mal bis in den Süden gehen, um zu sehen, wo die EU-Gelder in Italien versickern – man denke nur an den gigantische Korruptionsskandal rund um die venezianische Hochwasserschleuse „MOSE“, da wurden 7,6 Milliarden Euro versenkt – eine Milliarde davon allein als Bestechungsgelder. Für ein Projekt, das vermutlich nie funktionieren wird, aber viele reich gemacht hat.
Das nur so, zum vermeintlichen Euroskeptizismus der Italiener.